Die 1869 entstandene und 1870 in Wittenberg wirksam
gewordene preußische Gewerbeordnung regelte u.a.
das Verhältnis zwischen den selbtändigen Gewerbetreibenden
(er mußte nicht Meister oder Fachmann sein) und den Gesellen, Gehilfen und Lehrlingen.
Danach konnte für die Lehrlinge
in Dringlichkeitsfällen auch Arbeit an Sonn- und Feiertagen vereinbart werden, es mußte nur Zeit für den Schul- und Religionsunterricht gelassen werden. Der fand aber in Wittenberg grundsätzlch an Sonntagen statt. Die Lehrlingen konnten zum Besuch der Fortbildungsschule verpflichtet
und Entlassungen
„… im Tage der polizeichen Execution erzwungen…“ werden.
Für den Umfang der Tätigkeit und Arbeitstag gab es keine Festlegung. Außerhalb der Arbeitszeit waren die Lehrlinge
für das gesamt Hauswesen mitverantlich für Reinigung,
Einkäufe, Kinderbetreuung, Bodendienste, Gartenarbeit,
Beteilung bei der Wäsche, Zuarbeiten für die Küche u.a.m.
Zum Haushalt gehörten oft in gemeinsamen Schlafzimmern
die Familienmitglieder, Gesellen und Lehrlinge. In Wittenberg
lag die Regelarbeitzeit in der Zeit von 6.00 bis 20.30 Uhr, auch
an Samstagen und dann folgten noch die Sonderbeschäftigungen, z.B. des Reinigen der Ölfunzeln, der Einkauf in den Läden,
die alle noch geregelten Ladenöffnungszeiten.
In viele Häuser mußte das Wasser aus öffentlichan Brunnen herangeschafft werden. Abends wurde Brennmaterial für den
Tag beschafft und Holz ges gesägt. Danach erst gab es trockenes Brot, Butterstullen, in Ausnahmefällen Quark, Pellkartoffeln,
einen halben Hering und ähnliches. Nach den Abendessen
begann oftmals noch die Nacharbet und 4 bs 6 Stunden Schlaf waren de Regel.
Die Gewerbeordnung hatte viele negative Wirkungen,
z.B. die „Lehrlingszüchterei“ d.h. die Zahl der Lehrlinge wurde ständig gesteigert, die Qualität der Ausbildung sank,
die Lehrzeiten wurden ausgeweitet. So mancher Lehrling wurde
zur billigen Arbeitskraft und offtmals mußten die Eltern sogar
noch ein Lehrgeld entrichten. Sie selbst erhielten kein
persöhnliches Lehrgeld.
Dr. Wolfgang Senst †
aus: Wittenberger Bürgergeschichten