Gasmangel und Bälle
Zu Beginn des Jahres 1890 konnten wiederholt die Gaslaternen unserer Stadt und in den späteren Nachmittagsstunden die Sombartschen-Gasmotoren bei Wittenberger Gewerbetreibenden nicht mehr betrieben werden, weil in den zahlreichen Lokalen ständig Bälle von Vereinigungen und Vereinen stattfanden, für Festbeleuchtung notwendig war. Die 1864 erbauten Gasometer kamen selten über 60 ccm Gasvorrat hinaus, des „Gasprodukt“ war wegen der „oft gebotenen Überstürzenden Eile“ meist von minderer Qualität. Die nun 1873 endlich von der Festung befreiten Bürger bestanden auf Geselligkeit, die Gewerbetreibenden auf Sicherung ihrer Antriebskräfte und der Rat der Stadt mußte die Stadt- und Schaufensterbeleuchtung sichern. So einigte man sich auf einen Neubau und die Vergrößerung eines Gasometers. Wegen der fortwährend steigenden Eisenpreise wurde sofort Material gekauft, das Gaswerk 30.344,– Mark selbst erarbeitete Mittel einsetzen und dann künftig 13.000,– bis 14.000,– Mark jährlich an Rücklagen für Erweiterungen und Reparaturen selbst erwirtschaften. Bis zum Jahresende waren die Erweiterungen abgeschlossen: es gab neue Bälle, die Straßenbeleuchtung funktionierte, die Gasmotoren liefen: Marktwirtschaftliche Prinzipien hatten sich zum Wohle aller Bürger durchgesetzt.
aus: Wittenberger Bürgergeschichten
Dr. Wolfgang Senst †