Erinnerungen an den Wittenberger Durchbruch

„Durchbruch“ sagen die Wittenberger und meinen damit die Passage zwischen Collegien- und Mittelstraße. Dabei war die Straßenöffnung an der Collegienstraße zur Elbebrücke gemeint,
die 1934/35 durchgebrochen wurde. Dazu musste das Haus Collegienstraße 75 abgetragen werden in dem sich die Gaststätte „Deutsches Haus“ befand. Bei den Bauarbeiten entdeckte man eine germanische Urne (3. Jh. v. u. Z.), damals der erste bekannte urgeschichtliche Fund in der Innenstadt.

Doch zurück zur Passage auf der anderen Straßenseite. Zwischen Mittel- und Collegienstraße gab es nach einem Plan von 1623 neben drei breiten Verbindungen eine ganze Anzahl schmaler Durchgänge. Der Wittenberger sagte „Schluppen“ oder „Lücken“ dazu. Möglicherweise sind sie durch die Dachtraufen bedingt entstanden, denn viele Häuser standen damals mit dem Giebel zur Straße. Sie waren aber auch zur Wasserentnahme aus dem durch die Mittelstraße fließenden Bach notwendig, besonders bei Bränden.

Keine dieser „Schluppen“ besteht noch heute. Eine war gegenüber dem Melanchthonhaus. Und eine weitere befand sich gegenüber der Einmündung der Neu- in die Mittelstraße direkt neben der Passage im Haus Nummer 51. Sie wurde erst nach dem letzten Krieg zugemauert. Diese „Schluppe“ ist aber auf der Seite Mittelstraße noch sichtbar. Mit der Erweiterung der Stadt nach Norden, besonders in den 30er Jahren, wurde diese Lücke zu einem wahren Engpass. Erst nach 1936 wurde aus diesem Grund ein Laden im Haus Collegienstraße 23/Mitteistraße 50 nach beiden Seiten geöffnet und zur Passage ausgebaut.

Von Interesse wird für viele Wittenberger die alte Bebauung der Ecke Neu- und Mittelstraße sein. Insgesamt befanden sich dort fünf Grundstücke. Zur Neustraße gehörten drei Häuser (Nr. 19 bis 21), zur Mittelstraße zwei (Nr. 12 und 13). Sie waren zweigeschossige Bauten, lediglich das Eckhaus hatte zur Neustraße zwei Oberge-schosse. Nach Adressbüchern befanden sich in der Neustraße 19 nacheinander drei Friseur Geschäfte und ein Babyausstatter. Die Nummer 20 beherbergte über viele Jahre die Werkstatt und das Geschäft des Schuhmachermeisters Max Nitze. Schon 1898 wird im Eckhaus Mittelstraße 12 eine Fleischerei genannt, der dann um 1925 das Lebensmittelgeschäft Thams & Garls folgte. Zuletzt war darin ein Tabakwarengeschäft. Diese Häuser wurden ab 1965 abgerissen, 1967 folgte Mittelstraße 13. Auch hier befand sich eine Fleischerei. Nach dem Abriss der Häuser wurde die Fläche bis 1990 als Parkplatz genutzt.

In der zuletzt als Parkplatz genutzten Brache Neustraße / Mittelstraße ist das bis dato die Grundmauern des ältesten Haus Wittenbergs ausgegraben worden. Es wurde um 1200 errichtet und war damit älter als beispielsweise Stadtkirche oder Franziskanerkloster. Zum Einsatz kamen aufwendig gearbeitete Feldsteinquader – von denen nach mehr als 800 Jahren und intensiver Bautätigkeit auf dem Gelände freilich nur noch Mauerreste überliefert sind. Die allerdings sind dann auch einen ganzen Meter dick. Der damals in einiger Entfernung zum Stadtzentrum gelegene Hof des reichen Mannes gibt auch Aufschluss über die Entwicklung des archäologisch wenig erforschten Elsterviertels. Als Besonderheit gilt, dass das Gebäude aus Stein und nicht in der damals ungleich häufigeren Fachwerkbauweise gebaut worden war. Späteren Jahrhunderten war das Steinhaus als „Windmühle in der Neuen Gasse“ ein Begriff. Bis dort Lucas Cranach auf den Plan trat und ohne mit der Wimper zu zucken zur Spitzhacke griff. Lucas Cranach hatte das gesamte Grundstück 1521 erworben und ließ die alte Bebauung abreißen.
Cranachs Neubau selbsl wiederum ist ebenfalls in Teilen erhalten und stellt für die Archaologen seinerseils einen besonders interessanten Fund dar:
Freigelegt wurde ein beachtlicher Keller mit einer Tiefe von 4,50 m, 9 m lang, 6 m breit und mit Ziegelboden gepflastert. Es sei wahrscheinlich, daß hier Bier gebraut und gelagert wurde.

Irina Steinmann
Mitteldeutsche Zeitung vom 27.03.2010

Quellen:
Günter Göricke – Elbe-Elster-Rundschau vom 24.08.1992