Elster, Hahn, Henne und Friseur!

Sie hatten sich kennen und lieben gelernt und waren bei der Elster ins warme Nest gezogen.
Der Hahn und die Henne!
Das Hühnerhaus stand an der Straße neben der Kirche, und wenn der Hahn krähte, schallte es bis über die nahe Elbe.
Es wohnten noch allerhand sündige Menschen bei der Elster, die sich beim Hahn eine gute Nummer machen wollten. Hahn und Henne wurden also besonders gut gepflegt.
So wuchs der Hahn mit den Jahren nicht nur an Alter, Weisheit und Gnade, sondern auch an Größe und Gewicht zu einem recht ansehnlichen Kerl heran.
Bei den letzten Fastnachten nahm ihm Elster Maß und stellte fest, daß er bei einer Größe von 1,95 m ein Lebendgewicht von 208 Pfd. aufwies. Hier war sein ganzer Behang mit gewogen.
Zwar hatte die Henne bereits vor Pfingsten erklärt, er sähe aus wie Brösens Ernsten sein Kettenhund, es würde Zeit, daß er sich die Federn stutzen lasse.
Aber der Hahn stand mit dem einzigen Barbier, den Elster hatte, auf
Kriegsfuß, weil ihm dieser im Vorjahr in die Nase geschnitten hatte. Seitdem marschierte er zu Emil Pape nach Wittenberg, Collegienstraße 68, und ließ sich dort die Federn stutzen.
So sollte es auch heute geschehen.
Die Henne revidierte die Speisekammer.
Zum Mitgeben auf die Fahrt war alles vorhanden.
Der Hahn sollte in Wittenberg nicht hungern!
Sofort wurden 7 stramme Klapp-Bemmen in das rot und weißkarierte Schnupptuch eingeknotet, und der Hahn geht mit viel Glück- und Segenswünschen auf große Fahrt, Endstation Wittenberg.
Der Bahnhofswirt Gustav Tietz ist gerade aus dem Bette, denn gestern war wieder lange Sitzung.
Er grüßt den Hahn ehrerbietig und warnt zugleich, nicht zuviel abschneiden zu lassen, sonst kennt ihn nicht nur Elster, sondern auch die Henne nicht wieder.
Kurz darauf sitzt er im Zuge und das Zügeli erreichte die erste Station Prühlitz, da hatte der Hahn die 7 Klapp-Bemmen schon verschluckt. Nun kann er sie nicht verlieren, und in Wittenberg wird’s ja auch was geben.
Ja! Es gibt was!
Was sich Elster, Hahn, Henne und Friseur nicht träumen lassen. Vorläufig studiert er sorgenlos seinen Mitbringerzettel, den ihm die Henne zusteckte.
– Baldrian für die Katze,
– von Senf das Buch „Wie werde ich schlank?“,
– eine Mausefalle,
– Manschettenknöpfe und
– vieles mehr.
Darunter der Geleitspruch:
Bleibe fromm und gut, wie du es bisher. gewesen.

Als er in Wittenberg aussteigt, tritt der Versucher in Gestalt des Piccolo mit dem Bauchladen an ihn heran.
Er ruft am Zuge aus: Apfelkuchen, belegte Brötchen, Fischers
Würstchen, Bier, Kognak usw.
2 Paar Würstchen, 2 Glas Bier bringen den Hahn auf die Beine, und so watschelt er zu seinem Freund Pape, Collegienstraße 68.
Dieser ist ein rundlicher, sehr witziger Herr, der immer besetzt ist.
Auch heute wollen schon 5 Kunden bei ihm Haare lassen.
Der Hahn liest gemütlich die Zeitung.
Plötzlich kommt ihm etwas an!
Nanu! Die 6 Brötchen zum Kaffee ißt er doch täglich!
Sollte das Bier zu kalt, die Würstchen nicht frisch gewesen sein? Jetzt oder nie! denkt der Hahn.
Er bittet Freund Pape, ihm das Örtchen in seinem Hause zu zeigen.

Dies steht in seiner ganzen Größe 50 x 50 cm und 1,75 m Höhe
in der Hofecke.
Das Örtchen war vor mehr als hundert Jahren mal jung gewesen und für Familie Pape groß genug, aber für den Hahn desto knapper.
Pape öffnet die kleine Tür, gebückt kriecht der Hahn hinein, die Tür wird zugeworfen, der große Riegel vorgeschoben.
Gebückt und ungeduldig versucht der Hahn sein Glück mit den Hosenknöpfen, aber alle Mühe ist vergeblich.
Der Schweiß tritt auf die Stirne, erregt trampelt der Hahn mit den Beinen und liegt im selben Augenblick in der Unterwelt.
Hier hilft kein Schreien und kein Strampeln, er steckt den Kopf durch die Brille, um sich daran hochzuziehen.
Zum Glück bricht auch die Sitzgelegenheit zusammen und rettet ihm das Leben.
15 Vaterunser würde er beten, könnte er nur an den Türriegel fassen.
Je mehr er strampelt, je tiefer sinkt er, deshalb muß er still auf Hilfe warten.
Inzwischen hat Pape die 5 Kunden abgefertigt, gerade hat er den ersten, neu Hinzugekommenen eingeseift, da vermißt er den Pastor von Elster, den Hahn!
Als er die Hoftür öffnet, riecht er die Bescherung, als er die Tür vom Örtchen aufreißt, sieht er die Bescherung.
Rausziehen kann ihn Pape nicht, auch für 2 bis 3 Mann ist kein Platz vorhanden.
Er ruft um Hilfe, aber die Leute von der Straße rücken schnell wieder aus. Nur der Eingeseifte sucht eine Leiter und sagt zum Hahn:
Wir schuppen jetzt das Örtchen um!
Tauchen Sie mal unter, damit Sie kein Dachziegel trifft.
Gehorsam zieht der Hahn den Kopf aus dem Brillenloch und kriecht unter die Bretter der Sitzgelegenheit.
Schnell liegt das Örtchen um, die Leiter über die Grube, 2 Mann ziehen den Hahn aufs Trockene.
Frau Pape opfert einen silbernen Blechlöffel, mit dem das Gröbste abgekratzt wird, dann tritt Reisbesen und Gießkanne in Tätigkeit. Als dies nicht fruchtet, wird der Gartenschlauch angeschlossen und der Hahn muß Polka im Hof tanzen.
Bald kocht der Waschkessel, und der Hahn sitzt in der Waschwanne und übt Tauchen fürs nächste Mal.
Zum Schluß schüttet Pape seinen gesamten Vorrat an Parfüm über ihn aus, was wohl von allen der größte Fehler war.
Dann steht der Hahn immer wieder an der offenen Grube und beantwortet endlich die vielen Fragen mit Schillers Versen aus dem „Taucher“:
Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp‘,
zu tauchen in diesen Schlund hinab?
Ich habe daselbst meine Uhr verloren und zahle, so wahr ich Hahn noch heiße, 3 Mark wer sie mir wiederholt aus der Grube.
Der Hahn will nun nach Hause, aber wie?
Hirschfeld, Salzmann, Holtzhausen, keiner hat Anzüge dieser Größe. Bäcker Flemming, Brauer Zimner, Doktor Schmidt schicken Notbehelfe, so daß der Hahn im Mantel eingehüllt, per Gespann in die Arme seiner Henne fahren kann.
Diese reißt die Augen auf, zieht den Parfümgeruch durch die Nase und schreit:
Wo bist du gewesen, wer hat deinen Anzug gestohlen, warum sind deine Haare nicht geschnitten, wo ist dein Portemonaie usw?
drei Tage und drei Nächte war sie ungläubig.
Erst als Pape die sauberen Sachen brachte, trat Ruhe ein.
Was das Örtchen angerichtet hatte, wurde am Stammtisch mit Pape besprochen.
Am Sonnabend stand es als erster Punkt bei Maiwalde zum Bierabend an.
Hier bat Pape den Zimmermeister Adolf Thondorf sen. um ein neues Örtchen.
Thondorf erklärte:
Es ist nicht mehr zeitgemäß, Örtchen in der Stadtmitte zu bauen.
Ich schlage vor, reiße das Vorderhaus auch ab und baue ein neues mit allem Komfort.
Wer dafür ist, die Hand hoch!
Alle Hände gehen hoch, der Wille der Bürger dringt durch alle Türen der Stadtverwaltung.
Die Bauerlaubnis wird sofort erteilt, die Zeichnung wird nachgereicht, wenn nötig übernimmt die Stadt die erste Hypothek.
Am Montag stehen Dachdecker, Zimmerleute, Maurer, Arbeiter usw. zum Abriß bereit, damit noch vor der Vogelwiese der Neubau fertig ist.

Die Stadt hat wieder ein neues Haus mehr!

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