Ein historischer Kurzkrimi

Die hölzernen Bockwindmühlen, vereinzelt auch die massiv gebauten Holländerwindmühlen, waren noch in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts nicht aus der Landschaft wegzudenken.
Mit modernen Antriebskräften versehen bestanden einige sogar noch in den fünfziger Jahren.
Um den Wind besser nutzen zu können, lagen die Mühlenanwesen immer etwas außerhalb der Ortschaften.
In der sogenannten Feise, einem außen an die Bockwindmühle angebauten Kasten, hatte der Müller einen engen, aber heizbaren Aufenthaltsraum, in dem sich auch eine Schlafmöglichkeit befand. Diese wurde besonders dann genutzt, wenn das Wohnhaus nicht bei der Mühle stand.
Die abseits liegenden Mühlengrundstücke waren bis in unsere Zeit hin und wieder Ziel von Raub- und Mordüberfällen.
Eine solche Begebenheit spielte sich 1831 bei Priesitz ab.
In einer fröhlichen Runde bei Bier und Schnaps lernten sich der Müllerbursche Gottfried Herrmann, der bei Priesitz in einer Windmühle wohnte, und der in Pretzsch arbeitende Fleischer Ernst Elias Friedrich Wollkopf kennen.
Letzterer liebte solche Zechgelage und war dadurch oft in Geldnot. In einer solchen Situation kam er auf den Gedanken, den Priesitzer Müllerburschen zu überfallen und zu berauben.
Mit einem „frisch geschliffenen Schlachtemesser“ begab er sich am Abend des 10. Dezember dorthin, traf aber den Herrmann nicht an. Zwei Tage später wiederholte er mit gleicher Ausrüstung nach 22 Uhr den Besuch der Mühle, die ihm von dem arglosen Bewohner gastfreundlich geöffnet wurde.
Sie verließen aber bald die Mühle, um für Wollkopf ein Quartier im Dorf zu beschaffen.
Als Herrmann die Tür verschließen wollte, griff Wollkopf nach dessen Uhr. Sogleich kam es zu einem Handgemenge, in dem beide die Treppe herunterrutschten.
Unten stach Wollkopf seinem Gegner in die Brust, worauf dieser lautlos zusammenbrach.
Nach weiteren Misshandlungen raffte Wollkopf den größten Teil des in der Mühle befindlichen Eigentums seines Opfers zusammen und zog von dannen.
Da er nicht nach Pretzsch zurückkehrte, zog er schnell den Verdacht auf sich.
Bereits am 15. Dezember wurde er bei Kropstädt gestellt und festgenommen.
Nach langem Leugnen, einem Geständnis, einem Widerruf mit Beschuldigung eines anderen, zwei Befreiungsversuchen mit Gewalttätigkeiten, legte er endlich ein umfassendes Geständnis ab.
Das Oberlandesgericht in Naumburg verurteilte Wollkopf zum Tode durch das Rad.
Dieses Urteil wurde am 11. März 1834 vom preußischen König bestätigt und dann am 9. Mai früh um 6 Uhr auf dem Galgenfeld, zwischen Reinsdorfer- und Neumühlenweg, vollstreckt.
Trotz der frühen Morgenstunde drängte sich eine riesige Menschenmenge um den von Militär abgesperrten Richtplatz, um diesem grausigen Schauspiel beizuwohnen.
Es war die letzte öffentliche Hinrichtung in Wittenberg.
Zur Abschreckung gab das „Königlich Preußische Inquisitoriat“ eine „Warnungs-Anzeige“ in Form eines Flugblattes heraus, in der der gesamte Vorgang genauestens geschildert wurde.

Günter Göricke †

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aus: Freiheit vom April 1980