Ein Ausflug nach dem Schwarzen- und dem Michelsberge

1924.08.12. Wittenberger Zeitung

Ein Ausflug nach dem Schwarzen- und dem Michelsberg

Unser Wittenberg liegt nur 77 m über N N.
Viele von auswärts hierher Verzogene , die aus höhergelegenen Gegenden kamen, werden Jahre gebraucht haben oder brauchen, ehe sie sich an das Wittenberger „Klima“ gewöhnt haben oder gewöhnen. Die Luftsäule ruht schwer auf ihnen! Sie fühlen sich erst wieder wohler, wenn sie auf einem Spaziergang höhergelegene Orte aufsuchen. Es genügt schon, wenn sie den Hubertusberg oder auch nur die Teucheler besuchen. In etwas weiterer Entfernung – etwa 10 Kilometer vom Marktplatz aus gerechnet – haben wir zwei schöne Berge, die leider viel zu wenig besucht werden. Es sind dies der Schwarze Berg und der Michelsberg.
Man erreicht sie bequem in zwei Stunden. Zu ihnen gibt es zwei Wege. Der eine führt die schattige Linden-Allee der Berliner Chaussee entlang über Mailand bis auf die Höhe und dann links ab über Thießen und Mochau. Von hier führt ein schmaler Fußweg, der auch auf der Generalstabstarte punktiert eingezeichnet ist, zunächst zum Schwarzen Berg.
Der andere Weg führt von der Berliner Chaussee (beim „ Stern “ abbiegend) halbwegs nach Teuchel zu und führt dann rechts ab nach dem Walde. Man verfolgt diesen Weg, sich stets rechts haltend, läßt auch Thießen rechts liegen und erreicht so, immer bis kurz vor dem Dorfe im Walde bleibend, Mochau. Dieser Weg ist etwas kürzer und hat den Vorzug, daß man fast stets in schattigem Kiefernwalde auf moosigem Waldboden geht.
Der Schwarze Berg, auf den man gleich hinter Mochau gelangt, ist mit 178 m eine der höchsten Erhebungen des Flämings. Sein Baumwuchs besteht aus Kiefern. Von seinem höchsten Punkte hat man eine schöne Aussicht nach Osten in das bewaldete Tal nach Köpenick und der Berliner Chaussee.
Wieder etwas bergab wandernd, erreicht man durch Felder, durch die der (punktierte) Pfad sich schlängelt, bald den schöneren 183 m hohen Michelsberg. Auch sein Baumbestand besteht vorwiegend aus Kiefern; sie sind aber bei weitem größer und schlanker. Der Bestand ist älter. Auf dem Michelsberg stand vor langen Zeiten eine Raubritterburg. Die alte Straße von Berlin nach Wittenberg führte in der Nähe vorbei. Die Ritter, die damals auf der Burg hausten, erleichterten (auf ihre Weise) die Krämerkarawanen, die aus der Mark Brandenburg kamen und südwärts und in umgekehrter Richtung zogen. Die Burg ist jetzt vollständig dem Erdboden gleich gemacht. Nicht eine hohe Säule zeugt von entschwundener Pracht! “ Die Steine sind von den Bauern der umliegenden Dörfer zum Häuserbau nach und nach abgefahren worden. Schwache Merkmale darüber, daß hier einmal etwas einem festen Bauwert ähnliches gestanden haben mag, sind jedoch noch zu erkennen. So vergeht der Ruhm der Welt! Vom Michelsberg hat man eine schöne Aussicht auf Wittenberg und die Dübener Heibe nach Süden und die Dörfer Weddin, Boßdorf, Kerzendorf und Berkau nach Norden.
Der schönste Teil des Michelsberg ist jedoch sein östlicher Abhang. Hier sind auch Laubbäume eingesprengt. Diese Stelle ladet den wandernden Naturfreund zum Rasten ein. Wer bisher geglaubt hat, daß der Fläming gar keine Wiesen besitzt, der ist jetzt angenehm enttäuscht. Denn vor ihm liegt, durch ein Bächlein bewässert, die schönste, blumige Waldwiese, die sich weithin feinen Augen darbietet. Im Sonnenschein wiegen sich die großen und kleinen Falter; von Blume zu Blume fliegen summend Bienen und Hummeln, in der Ferne rufen der Pirol und die anderen Sänger des Waldes. Unsere Anwesenheit hat längst die geschwätzige Elster den tierischen Bewohnern großen und kleinen durch ihr häßliches Schelten verraten. Nebenbei sei bemerkt, daß sich in unserer Gegend dieser Vogel seit einigen Jahren vor allen anderen Vögeln ganz bedeutend vermehrt hat. Ein hübscher Kerl ist ja die Elster, sie dürfte nur den Schnabel nicht aufmachen. Wer Lust hat Pilze zu suchen, kommt hier auf seine Rechnung, wenn es nicht gar zu trocken ist. Wer sich für die Pflanzenwelt interessiert, findet hier solche, die er in der Ebene vergeblich sucht. Da steht z.B. zwischen den hohen Farnkräutern eine ebenso hohe schöne Blattpflanze mit großen Wedeln, die Schreiber dieser Zeilen sonst noch nirgends gesehen hat, und deren Namen er nicht kennt . Vielleicht ist sie einem Leser bekannt, und er nennt in unserm Blatte gelegentlich ihren Namen. Diese Ecke des Michelsberges ist unbestreitbar ein schönes Fleckchen Erde. Von der Außenwelt kommt kein Geräusch bis hierher! Kein staubaufwirbelndes Auto stört die wunderbare Ruhe! Hier kann man stundenlang im Walde oder im Grase liegen und dabei die Alltagssorgen im süßen Nichtstun vergessen.
Wer noch weiter wandern will, erreicht in einer knappen halben Stunde das Dörfchen Weddin, in dem die „fahrenden Gesellen, Bund für deutsches Wandern und Leben“ ein Landheim besitzen. Sie haben die Schönheit des deutschen Waldes hier draußen erkannt und genießen sie in fröhlicher Weise. Der Gasthof im Dorfe ist zu empfehlen.
Als Rückweg nach Wittenberg kann man den schönen Herweg oder den über Jahmo, Köpenick und Berliner Chaussee wählen. Heimmärts kommt man schneller vorwärts, da es immer bergab geht.

F.