Ein alter Band erzählt…

Wittenberg in früheren Jahrhunderten

Wittenberg, die Stadt, Witeberga, Leucorea, eine vor 1815 königlich sächsische altschriftsässige und landtagsfähige Kreisstadt, die Kreisstadt des Wittenberger Kreises in dem Merseburger Regierungsbezirk des Herzogtums Sachsen.
Sie liegt am rechten Elbufer, eine Viertelstunde von dem Strom, nach der Brücke zu gerechnet, in einer fast ganz ebenen Umgebung, auf teils sandigem Boden und in der Nähe verschiedener Holzungen;
sie ist acht Meilen von Leipzig nördlich entfernt, liegt vier Meilen südlich von Belzig, dreieinhalb östlich von Dessau, drei Stunden westlich von der Stadt Zahna, an den Hauptstraßen von Leipzig und von Dresden nach Berlin, sowie an der, welche aus der Lausitz nach Roßlau und nach Dessau führt.

Diese Stadt ist historisch wichtig sowohl für die Welt-, Kirchen- und Kulturgeschichte überhaupt, als auch in Sonderheit ehrwürdig, da sich in ihr beinahe 400 Jahre lang die Residenz der Herzöge und Kurfürsten von Sachsen, erst Askanischen, dann Meißnisch-Ernestinischen Stammes, vom Ende des 12. bis in die Mitte des 16.  Jahrhunderts; als die Ruhestätte der sächsischen Regenten aus dem Askanischen Hause, von der Mitte des 13. Jahrhunderts an bis auf Albrecht III. befanden, – und als der nun über 300 Jahre bestandene alte Sitz einer Bildungsanstalt, der Sachsen und Deutschland eine lange Reihe der verdienstvollsten Männer verdankten.

In den Urkunden ältester Zeit wird die Stadt auch Witburg, und von Melanchthon Leucorea genannt. Sie erscheint zuerst 1174 und 1180 als Burgwart, das in geistlichen Sachen unter den Sprengel des Brandenburger Bischofs gehörte, und wahrscheinlich von den Niederländern unter dem Namen der witen (oder weißen) Burg angelegt wurde.
Als eine Stadt erscheint sie erst im Jahre 1227, und im 14. Jahrhundert oft im Verein mit anderen Städten gegen die Befehder und Landfriedensbrecher, und hatte da auch schon ein Ratskollegium, eine Gerichtsbarkeit, Innungen und eine Münzstätte; in der Mitte Mitte des des 15. Jahrhunderts (1452) erhielt sie das Recht der Landtagsfähigkeit;
sie wurde auch mit Statuten und Stapelrecht versehen.

Den höchsten Grad seines Wohlstandes und seiner Wichtigkeit erhielt Wittenberg durch Stiftung der Universität im Jahre 1502 und durch Luthers Reformation seit dem Jahre 1517.
Doch zu jener Zeit schien es mehr ein bloßer Flecken zu sein.
So nennt es Melanchthon ein elendes Nest;
der erste Rektor magnificus Dr. Mollerstädt sagt:
es liege an der äußersten Grenze der Zivilisation;
und Dr. Luther konnte nicht begreifen, wie in solcher Barbarei eine Universität habe entsprießen können.

Durch Johann Friedrich den Großmütigen wurde Wittenberg in eine Festung umgeschaffen und mit Geschütz reichlich ausgestattet, denn man sah den Religion’skrieg voraus;
auch Wittenberg widerstand Moritzens Armee im November 1546. Auch im Jahre 1547, nach der Mühlberger Schlacht, würde es sich an Kaiser Karl V. (19. Mai 1547) nicht ergeben haben, hätte der Feind nicht gedroht, den gefangenen Kurfürsten außerdem zu töten. Seit jenem so traurigen Zeitpunkte wurde Wittenberg nie wieder Residenz, blieb aber natürlich Festung, die noch bis zum Siebenjährigen Kriege dauerte, darin aber in einen Stein- und Aschenhaufen verwandelt wurde.
Die Belagerung Wittenbergs durch die Österreicher und die freundschaftlich gesinnte Reichsarmee am 13. Oktober 1760 kostete ihr Schloß und Kirche, die Klosterkirche, die Kapelle zum Heiligen Geist. das Zeughaus, fast alle öffentlichen Gebäude, 120 Häuser in der Stadt und über 200 in den Vorstädten.
Die Belagerer schleiften die Festungswerke und Friedrich II. besetzte die Stadt am 23. Oktober desselben Jahres zum dritten Male;
1764 wurden die Festungswerke und Rechte ganz zerstört und aufgehoben;
später gediehen sie zu Gärten, Wiesen und Feldern;
doch im Jahre 1806 ließ Napoleon Wittenberg aufs neue stark befestigen.

Die größten Feuersbrünste erlitt Wittenberg in den Jahren 1588, 1652, 1684. Kleinere kamen öfter vor. Während der Jahre 1626 bis 1640 hatten sich ihre Kriegskosten auf 400 000 Taler angehäuft.
Im Jahre 1697 hatte sie nur 455 bewohnte, aber 303 wüste Stellen und gegen 6000 Einwohner.

Wittenberg liegt nach von Gersdorf 247 par. Fuß über dem Meer und ist nach Charpentiers Messung der niedrigste Punkt Sachsens. Die Stadt hat ziemlich die Gestalt eines Dreiecks, dessen längste Seite nach der Elbe zu liegt;
sie ist 250 und mit mit den den Vorstädten 600 Ruten lang und 150 Ruten breit; hat drei Tore,
– das Schloßtor,
– das Elstertor und
– das Elbtor,
auch eine Pforte, zwei Hauptgassen, die aber, vom Markte unterbrochen, ihrem Namen nach vier Gassen bilden;
dann gibt es zehn Nebengäßchen und den Marktplatz.
Der Faule und der Rische Bach, die in brückenähnlichen Leitungen über den Wallgraben in die Stadt geführt sind, trennen diese in den südlichen, mittleren und nördlichen Teil, vereinigen sich nicht weit vom Schloß, wo sie eine große Mühle von sechs Gängen treiben, und fallen bei der Fischerei in die Elbe.
Im nördlichen Quartier lagen im Jahre 1806 noch drei Gassen in Ruinen als Wirkung des großen Bombardements.
Die Hauptgebäude aber, wie das Schloß nebst Kirche, das Amtshaus usw. wurden bald nach dem Frieden wieder hergestellt.
Jetzt zählen Stadt und Vorstädte 636 Häuser mit 5744 Einwohnern. Im Jahre 1806 waren vorhanden 609 Privathäuser und 29 öffentliche Gebäude.
Die Stadt allein zählte deren 334;
davon 317 unter Ratsgerichtsbarkeit stehen, 133 brauberechtigt und 106 wüste Stellen sind.
Alle Häuser waren sonst mit 305 350 Talern versichert.
Im Jahre 1812 wurden 602 Häuser, in der Stadt nämlich 320 und in den Vorstädten 282, gezählt.
Von dieser Häuserzahl wurden, außer 108 Seitengebäuden, Ställen und Schuppen, vom 1. März 1813 an bis 12. Januar 1814 nach genauer Zählung 282 Wohngebäude (26 in der Stadt und 250 in den Vorstädten) teils durch Feuer, teils durch Niederreißung vernichtet.
Von den Häusern der Vorstädte wurden schon am 6. April 1834 an 234 Wohnungen von den Franzosen abgebrannt.
Alle Obstbäume, deren gewiß mehr als 100 000 waren, alle Alleen, Anlagen und Zäune in und um der Stadt herum wurden von den Franzosen umgehauen. Die meisten Häuser waren 1806 freilich meistens hölzern und waren fast alle mit Giebeln versehen, doch auch einige schöne Privathäuser gab es, und die öffentlichen Gebäude zeichneten sich ebenfalls aus.
Unter ihnen sind die drei Kirchen, nämlich:
– Die Schloßkirche, später Universitätskirche genannt;
sie wurde von Rudolf I. gegen 1342 erbaut, der Jungfrau Maria und allen Heiligen gewidmet und von Peter Clemens VI. 1346 mit einem eigenen Kapitel versehen, das aus einem Probst und sechs Canonicis bestand, und, sowie auch die Kirche, nur dem römischen Stuhl unterworfen war. In den Jahren 1490 bis 1499 baute Friedrich der Weise die Kirche ganz neu und schenkte sie mit ihren Gütern und Renten der von von ihm gegründeten Universität.
Sie war ein Meisterstück der gotischen Baukunst, ganz ohne Pfeiler und in der Mitte gewölbt, 225 Schritt lang, 50 breit;
mit vielen Gemälden von Dürer und Cranach sowie mit Statuen versehen;
auch enthielt sie mehrere fürstliche Grabmäler;
doch 1770 wurde sie ganz eingeäschert.
Eine Neue wurde im Jahre 1770 erbaut, und der Kurfürst gab dazu eine beträchtliche Summe; auch Katharina II. gab eine bedeutenbe Summe zu deren Bau. Sie zeichnet sich jetzt durch Einfachheit allein aus.
In ihr schlummern
– Luther und
– Melanchthon,
– Friedrich der Weise und
Johann der Beständige, also
– alle Stützen der Reformation.
Auch sind hier die Statuen Rudolfs I., des Stifters der Kirche, und zweier Gemahlinnen desselben.
Neben dem Altar hängt Luthers Bild, von Cranach dem Jüngeren. Den Gottesdienst versorgten Sonntags der Probst, dienstags und donnerstags die die übrigen Professoren der Theologie.
Alle Diakonalien versieht der sogenannte Pestilenz Prediger.

– Die St. Marien oder Stadtkirche, auch Pfarrkirche genannt, wurde schon im 12. Jahrhundert erbaut, doch erst in in den Jahren 1412, 1556 und 1570 erweitert, verbessert und verschönert.
Sie hat zwei, durch eine Brücke verbundene Türme, zwei Kanzeln und eine Menge Gemälde und Epitaphien.
Der große Altar ist mit Gemälden von L. Cranach verziert.
Ua. bemerkt man eine Taufe, die Melanchthon im Priesterrock, nach dem Leben gezeichnet, verrichtet;
auch Luther, predigend von einer Kanzel, und seine Zuhörer auf ein Kreuz verweisend.
In dieser Kirche liegen
– Bugenhagen (Joh.),
– Criziger b. Ältere und
– Paul Eber, alles Reformatoren.
Im Jahre 1521, bei Luthers Aufenthalt auf der Wartburg, fiel in dieser Kirche die bekannte Bilderstürmerei vor.
Das Äußere der Kirche ist, nur zu stark, mit Bildhauerarbeit überladen. An der Südseite, unterm Dach, bemerkt man eine Sau, die in Stein gehauen ist und an der Junge saugen, und ein Rabbiner noch ganz besondere Untersuchungen anstellt.
Die Inschrift heißt: Rabini Schemhamphoras.
Dieses zweideutige Denkmal galt sonst für Wittenbergs Wahrzeichen.
Eine kleine, im Jahre 1377 erbaute Kapelle des Leichnams Christi dient nun zum Kirchenarchiv.
An dieser Kirche stehen ein Pastor Primarius, der zugleich Superintendent ist, ein Archidiakon, ein zweiter, dritter und vierter Diakon, sonst auch ein ein Pest-Diakonus, ein Kantor, ein Organist und Kirchner.
Die Landesregierung (oder Universität zu Halle), der Stadtrat und die Bürgerschaft berufen den Pfarrer, der dann höchsten Orts bestätigt wird.
Die Diakonate und übrigen Kirchenämter besetzt der Stadtrat, der auch Collator der Schulämter ist.
Die Kirchen und Schulen der Stadt stehen unter der Inspektion Wittenberg.
Sonst war hier ein besonderes Konsistorium.
Eingepfarrt in die hiesige Hauptkirche sind 15 Dörfer, die die vier Diakonen zu besorgen haben.
– Teuchel,
– Thießen, Trajuhn,
– Wiesigt,
– Zörnigall,
– Labetz,
– Piesteriz,
– Prühlitz,
– Rothemark,
– Hohndorf,
– Iserbegka,
– Dietrichsdorf,
– Euper,
– Gallin,
– Abtsdorf;
allein diese 15 Dörfer enthalten nur 195 Häuser und 1028 Seelen. Die Kirche liegt in der Mitte der Stadt.

Im nördlichen Teil derselben befindet sich, mitten in den Ruinen des Franziskaner (grauen) Klosters, die im Jahre 1760 eingeäscherte, aber 1771 wieder hergestellte Kloster.
Hospitalkirche, vor der Kirchenverbesserung eine Kapelle der heiligen Barbara, die 1610 erneuert wurde.
Sie wird von den Geistlichen der Hauptkirche versehen, hat auch einen Katecheten.
Schulen, die unter die Parochie der Hauptkirche gehören, sind zu Dietrichsdorf, Euper, Hohndorf und Teuchel, in die auch die Kinder der übrigen eingepfarrten Dörfer gewiesen sind.
Die Klosterkirche selbst war einst der Begräbnisort der askanischen Herzöge von der Mitte des 13. bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts.
Das im 13. Jahrhundert von Albert I. Gemahlin Helena im Jahre 1238 gestiftete Franziskaner-Kloster stand unter dem Erzbischoftum Magdeburg, wurde 1526 aufgehoben; die Mönche waren bereits 1522 daraus verschwunden.
Johann Friedrich gab das Kloster dem Rate der Stadt zu einem Spital statt des alten, vor dem Elbtore gelegenen und geschleiften Spitals.

Die Stadt hat eine gelehrte Schule und ein Prediger-Seminar; die hiesige Universität ist bekanntlich seit 1815 mit der zu Halle vereinigt worden, und folglich muß sie für die Stadt und ihre Beschreibung als aufgehoben und nicht mehr vorhanden gelten.
An der Schule lehren ein Rektor, ein Konrektor, ein Tertius, der zugleich Kantor ist, ein Quartus, ein Quintus und ein Sextus.
An der Mädchenschule unterrichtete (1810) ein Jungfern-Schulmeister und ein zweiter Lehrer.

Die Inspektion oder Superintendentur Wittenberg enthält drei Kirchen in der Stadt Wittenberg,
– eine in Apollensdorf,
– in Dabrun,
– Dobien (mit drei Filialen zu Schmilkendorf, Reinsdorf und Braunsdorf),
– in Eutzsch,
– Pratau,
– Pretzsch (mit den Filialen Patzschwig, Briesitz und Sachau),
– und in Straach (mit den Filialen Grabo, Berkau und Kerzendorf);
es gibt also neun Pfarr- und neun Filialkirchen.
Sonst gehörten auch zu hiesiger Inspektion die Pfarrkirchen zu Großlübs und Walternienburg (mit den Filialen Flötz und Cämeriz).

Das an die Schloßkirche grenzende Schloß Wittenberg kommt zuerst in Urkunden von 1227 vor und wurde nebst der Stadt in demselben Jahrhundert Bamberger Lehen;
dann baute es Friedrich der Weise 1499 bis 1518 vom Grund aus neu und gab ihm auch noch zwei Türme, die bei dem Brande von 1760 fast ganz unversehrt stehen blieben.
Nachher wurden einige Zimmer zu den Hofgerichts- Versammlungen eingerichtet.
In einem der Türme befand sich seit 1554 des Gesamt-Archiv der beiden sächsischen Linien, das aber 1802 von beiden Linien geteilt wurde; das geschah mittels vier eigener Kommissionen, und die Teilung erforderte zwei Monate Zeit.
An Kursachsen kamen ungefähr zwei Drittel, an die Ernestinische Linie nur ein Drittel.
In Dresden wurde dazu späterhin ein kostbares Gebäude eingerichtet.

Das Rathaus, das schon in Urkunden von 1317 vorkommt, wurde vom Kurfürsten August 1571 neu erbaut und 1769, vor der Huldigung des Kurfürsten, nochmals erneuert.
In der Sessionsstube hängen Luthers und Melanchthons Bildnisse, wie auch die zehn Gebote von Lukas Cranach dem Älteren.
Das Collegium Friedericianum auf der Collegasse enthielt bis 1815 das große Auditorium.
Das Collegium Augusteum am Elstertore war in älterer Zeit das Augustinerkloster, in dem Luther seit 1508 als Mönch wohnte, daselbst Messe las und Beichte hörte, und worin ihm die ersten Tetzelschen Ablaßzettel, die er sah, zu seinen bekannten ersten Schritten veranlaßten.
Hier zeigt man noch seinen Lehrsaal und seine Stube.

Als die Mönche sämtlich das Kloster verlassen hatten (1526 bis 1527), schenkte der Kurfürst es Luther; von den Erben desselben kaufte es aber Kurfürst August im Jahre 1564 für 3000 Gulden ab, und man richtete es später zum Conviktorium ein.

Das Vorgebäude des Augusteums enthielt in drei Sälen, in zwei Stockwerken,
– die akademische Bibliothek,
– ein juristisches Auditorium,
– und im Hofe lag der Botanische Garten.

Unter den Privathäusern zeichnen sich manche historisch aus;
zB. Melanchthons, nicht weit vom Friedericianum, die Apotheke, sonst Lukas Cranachs Haus.
Das ältere juristische Auditorium stand sonst auf der Collegiengasse und führte die Aufschrift: Bursa Sophiae.

Weit größer als die Stadt sind die Vorstädte, in denen aber auch mehrere Gärten und sogar Äcker liegen.
Vor dem Schloßtor links befindet sich die sogenannte Fischerei (auch die Amtsvorstadt oder Neustadt), deren Bewohner meist von Fischerei und Obsthandel sich nähren.
Der übrige Teil der Schloßvorstadt enthält mehrere öffentliche Gärten, eine Walkmühle und eine Papiermühle, vor dem Elstertor.

Vor diesem letzteren Tor verbrannte Luther (10. Dezember 1522) früh um 9 Uhr öffentlich die Bulle Leo X., die seine Schriften mit dem Banne belegt hatte, sowie das kanonische Recht und mehrere Schriften seiner Gegner.
Noch zeigt man die Stelle, wo dies Autodafè stattfand.

Dem Elstertor gerade gegenüber steht das Schützenhaus, es wurde im Jahre 1774 wieder neu erbaut, denn der Siebenjährige Krieg hatte es zerstört.
Weiter hinaus liegt der alte, sowie der neue Kirchhof, und auf dem ersteren steht die Kreuzkapelle.

Die Umgebungen der Stadt sind durch Alleen von Linden, Kastanien, Eschen und Obstbäumen, auch durch Planieren und Wegbessern zwischen dem Elb- und Schloßtor, sehr verschönert worden. Spaziergänge gewähren:
– der Wall,
– die Weinberge,
– das nahe Wäldchen,
– die Specke,
– der Luthersbrunnen,
– der Brückendamm und
– die Brücke;
– über der Elbe die Probstei (ein Eichenwald) und
– das hübsche Dorf Pratau.

Vier Röhrwasser, die auf den östlichen Höhen eine Stunde von der Stadt entspringen, sind unter 20 Gewerken verteilt.

Wittenberg hatte bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts keine Brücke über die Elbe, sondern nur Fähren.
Die erste Brücke, die vor 1455 urkundlich vorkommt, hatte Friedrich der Sanftmütige bauen lassen, aber Eisgang zertrümmerte sie.
Im Jahre 1490 wurde sie durch Friedrich den Weisen wieder hergestellt; sie kostete über 10000 Gulden.
Damals eine ungeheure Summe; im Jahre 1633 wurde sie von dem österreichischen Militär abgetragen, im Jahre 1657 war dies abermals der Fall.
Die jetzige wurde im Jahre 1787 erbaut, und zwar unter der Direktion des Landesbaumeisters Exner, nach nach dem Plan des Majors Günther und Wasserbau-Kommissars Wagner.
Die ganze Brücke kostete 84 456 Taler;
eine steinerne würde auf 300 000 Taler gekommen sein.
Die neueste Brücke aber ist ganz von Holz, 510 Ellen lang, 11⅓ Lichten breit, damit zwei Frachtwagen sich ausweichen können.
Sie hat fünf Land- und vier Wasser-Pfeiler und ein dachloses Geländer.
Am Anfang derselben, von Wittenberg her, steht ein Brückenzoll- und Wachthaus.
Nach dem hiesigen Elbmesser hat man bemerkt, da Strom, wenn er schwillt, hier erst binnen drei Tagen so hoch steht, als in der Residenz.
Das jährliche Brückengeld beträgt im Durchschnitt 3000 Taler.
Die ehemalige Universität war frei von diesem Zoll; auch mehrere Ämter genießen ähnliche Freiheiten.

Was die Nahrung der Einwohner betrifft, so floß sie, bis 1815, zum großen Teil aus der hiesigen Universität; da diese jetzt nicht mehr vorhanden ist, so mag es wohl eine große Veränderung in den Arten des Gewerbes hervorgebracht haben.
Wittenberg hatte im Jahre 1806 30 Tuchmacher, 31 Leinweber und andere nötige Handwerker und Künstler; es gab gegen 400 Meister. Viel gewann man durch die Brauereien und Branntwein-Fabrikation, auch hat man guten Ackerbau und ziemliche Viehzucht;
der Elbhandel und die Fischerei tragen auch etwas Erklekliches.
Im Jahre 1815 gab es hier noch drei Druckereien mit zehn Pressen; sie beziehen ihre Papiere von Wittenberg, Piesteritz, Dietrichsdorf und Nudersdorf; auch eine Buchhandlung (sonst zwei) ist hier.
Die Zahl der Schnitt und Materialhandlungen ging in die Zwanzig. Die Tuchmacher lieferten jährlich gegen 2000 Stück Tuche und Boy, die meist auf den Messen Leipzig und Braunschweig abgesetzt wurden.
In neuerer Zeit sind immer sehr feine Tücher hier fabriziert worden. Die Leineweber fertigten jährlich 800 Stück zu je 60 Ellen; auch die hiesigen Lohgerber treiben ihr Geschäft in’s Große.
Der „Guckuck“, wie man das hiesige Bier nennt, war einst so berühmt, wie die Braunschweiger Mumme.
Man hat hier das Sprichwort:
– „Der Guckuck schreit hier in der Nacht.“-
Die nahen Küchengärten liefern viel Gemüse; dem ungeachtet erhält man noch viel Obst und Gemüse auf der Elbe aus Böhmen. Auf der Elbe treibt man auch einigen Holzhandel, aber bloß stromaufwärts, denn unterwärts war es verboten.
Die Fischer bilden eine Innung von 50 Personen.
Drei Jahrmärkte finden statt, und zwar:
– Montag nach Mis. Domini,
– Montag nach Galli,
– Montag nach Mariä Empfängnis.

Die Stadt hatte sonst eine Freistelle in der Fürstenschule zu Meißen und schickte Deputierte zur Visitation der Landschule in Grimma.
Im Jahre 1756 stiftete der Graf Peter von Hohenthal in der Vorstadt die erste Bürgerschule in Sachsen.
Der Rat ist jetzt selbständig, bis 1815 konkurierte er aber mit der Universität in Polizeisachen.
Dem Rate gehören die Dörfer
– Hohndorf,
– Prühlitz,
– Trajuhn,
– Berkau,
– Dobien,
– Gallin,
– Thießen,
– die Mark Bruderannendorf,
– das Vorwerk Fleischerwerder,
– die Rittergüter Seegrehna und Dabrun,
– mit dem Vorwerk Rötzsch;
– auch Eutzsch.
Sie enthalten 280 Häuser und 1400 Einwohner.
In den neuesten Zeiten hat der Rat große Verdienste um die Stadt sich erworben. Er unterstützte besonders die Tuchfabrikation, sogar mit eigenen Kapitalien;
3000 Taler widmete er der Besoldung der Prediger und Lehrer, er erbaute ein Hospital und machte viele milde Stiftungen nach dem Muster der Älterväter vom 15. Jahrhundert an bis 1798, in welchem Zeitraum 25 000 Taler vom Rate zu solchen Stiftungen verwendet wurden.

Im Jahre 1805 (5. November) traf der Kaiser Alexander I. auf seiner Reise von Berlin nach Weimar in Wittenberg ein, wo ihn der Fürst von Anhalt-Dessau erwartete.
Am 20. Oktober 1806 erschien hier der Kaiser Napoleon.
Dem Stadtrat stehen zwei Bürgermeister vor, die jährlich in der Regierung abwechseln.
Früher, und auch jetzt noch ist sie mit Garnisonen versehen.
Hier ist auch ein Hauptgeleite und ein königliches Postamt;
sonst war letzteres die letzte königlich sächsische Poststation nach Berlin.

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aus: „Vollständiges Staats-, Post- und Zeitungs-Lexikon
von Sachsen“, 1826