Dobien 1924

1924.02.07. Wittenberger Zeitung
Vom Mittagsläuten In vielen Orten unserer Heimat läuten mittags 12 Uhr die Glocken. Mancher hat sich Gedanken gemacht, welchen Zweck das Geläute hat. Meistens wird angenommen, daß den Leuten auf dem Felde die Mittagspause angezeigt werden soll und ähnliches. Aber der Ursprung und eigentliche Zweck dieser Glockenklänge ist ein ganz anderer. Im 15. Jahrhundert wurde Europa und damit die christliche Welt durch die Türken hart bedrängt. Sie eroberten 1453 Konstantinopel und machten dem oströmischen Kaisertum ein Ende und richteten sich selbst häuslich ein. Sie drangen immer weiter gegen die Donau vor und waren nahe daran, Ungarn zu erobern. Der Kaiser Friedrich und der Papst Calixtus III (*31.12.1378 +06.08.1458) hätten gern wieder einen Kreuzzug gegen die Scharen des Halbmonds unternommen, aber niemand ließ sich das Kreuz anheften. Und doch zitterte die ganze Christenheit vor den Türken. Damit nun alle Leute an die Türkengefahr denken und auch Opfer zu ihrer Abwehr bringen sollten, befahl Calixtus III. im Jahre 1458, daß in allen Orten um 12 Uhr mittags pro pace (für den Frieden) geläutet würde. Während des Lautens sollte von jedem das Vaterunser gebetet werden wider die heidnischen Türken. Gewiß haben unsere Vorfahren auf dem Felde, in Stall und Hof und Haus, auf der Straße, kurz überall, stillgehalten in ihrer Hantierung und voll Andacht gebetet. Die Türkengefahr wurde überwunden. Der Mönch Johannes Capistranus und der ungarische Edelmann Johannes Hunnyades Corvinus schlugen mit einem Haufen armer Bürger, Bauern und Mönche 160 000 Mann des Sultans Mohamed II. bei Belgrad. Das Mittagsläuten aber hat sich in vielen Orten erhalten bis auf den heutigen Tag.

Vollrath