Die Hand der Giftmischerin
– Sagen und Geschichten aus dem Kreis Wittenberg Teil II. , Schriftenreihe des Stadtgeschichtlichen Museums Wittenberg S. 9-11.
Die Burg Ließnitz wurde nach urkundlichen Erwähnungen um dieselbe Zeit wie die Wallburg in Dobien erbaut, aber weit stärker befestigt. Diese durch drei Wassergräben geschützte und mit Wällen und Holzwehren umgebene Wasserburg lag an der Stelle des heutigen Schlosses Kropstädt.
Um das Jahr 1350 gab es neben den hölzernen Bauten der Knechtshäuser und Ställe das große steinerne Haus des Ritters Otto von Dyben und einen hohen Wartturm, aus Feldsteinen mit Quark und Ochsenblut gemauert.
Otto von Dyben suchte nach weiteren Einnahmen zur Fortführung des einst so sorglosen ritterlichen Lebens. Die Abgaben seiner Bauern in weiter Runde konnten nicht mehr gesteigert werden, denn viele, die ihm zinsten und für ihn frondeten, waren schon vor seiner Willkür und harten Hand geflüchtet.
In die Städte waren sie gezogen, auch nach Wittenberg, und vor den Toren lebten einige sicher im Schutz der Stadt und des Fürsten.
Um sich und seinen Leuten in der Burg Lebensmittel und den täglichen sonstigen Bedarf zu beschaffen, fühlte Otto von Dyben sich nicht mehr an die alte Ordnung und an das Gesetz gebunden und wurde so zum Räuber und Raubritter.
Es war auch keiner da, der ihm sein Tun wehrte.
Die Herzöge, früher mächtig und stark, waren machtlos.
Es regierten und herrschten in den einzelnen Gebieten viele kleine und große Feudalherren. Sie kamen sich wie Könige vor, die sich weder von den Kurfürsten noch vom Kaiser etwas sagen oder in ihrer Selbständigkeit beschränken ließen.
Untereinander befehdeten sich die großen Herren, und die Ritter auf ihren Burgen überall im Lande taten es nicht anders.
Es herrschte das Faustrecht, Gewalt und Räuberei machten sich breit. Die reichen Kaufherren, die Pfeffersäcke und die Tölpel von Bauern zu überfallen und ihres Besitzes zu erleichtern, war standesgemäß, ritterlich und verdienstreich.
Lösegeld von den Angehörigen der gefangenen Händler zu erpressen, war eine lohnende Einnahmequelle.
Mit einem Überfall Ottos von Dyben auf den großen Wagenzug eines reichen Stettiner Kaufmannes, der mit riesigen Warenmengen von der Leipziger Messe kam, hatte es angefangen.
Es folgten fette und lustige Tage auf der Ließnitzburg.
Der Ritter und seine Knechte hatten Geschmack an den Beutezügen gefunden. Im Keller lagen immer noch ein paar Fässer Wein von der ersten Beute. Nach kurzem Ausruhen folgte dann ein Überfall nach dem anderen auf die vorbeiziehenden Wagenzüge und auf die umliegenden Dörfer. Besorgt blickten die friedlichen Kaufleute, wenn sie in die Nähe von Ließnitz kamen. Auch Umwege nützten wenig, denn der Ritter hatte seine Späher überall und war immer dort, wo er Beute witterte. Aus jedem Busch konnte er hervorbrechen. Schließlich wurde die Straße, nachdem die bewaffnete Wagenbegleitung auch keinen sicheren Schutz mehr bot, völlig gemieden.
Die Bauern flüchteten, wenn der Ließnitzer nahte und sich Ernte und Vieh holte. Manches Dorf lag schon wüst. Besonders während der Ernte drohten räuberische Überfälle, um den Bauern das Korn, den Buchweizen und den Flachs samt Wagen und Pferden zu rauben.
Bis vor die Tore und Mauern von Wittenberg, Zahna und Treuenbrietzen dehnte der Ritter seine Raubzüge aus. Keiner hinderte das Treiben Ottos von Dyben.
Man schrieb das Jahr 1389, da riß den Wittenbergern die Geduld.
Die Stadt, die sich gut entwickelt hatte und aufgeblüht war, bangte um ihren Handel und um die Sicherheit ihrer Lehnsdörfer und die Versorgung der Bürger.
Die Bauern hatten ebenso viele Klagen wie die Kaufleute gegen den Ließnitzer vor das Gericht gebracht.
Rat und Bürgermeister handelten jedoch, und warteten nicht erst eine Entscheidung des Gerichtes ab.
Sechs Fähnlein der Zünfte rückten aus, ihnen schlossen sich Reisige und Kleinbürger an, die im Zeughaus beim Marstall, wo der Rat eigene Waffenvorräte und Harnische bereithielt, ausgerüstet worden waren.
Bauern aus Teuchel und Trajuhn, aus Euper und Thießen, aus Mochau, Köpnick und Jahmo bewaffneten sich mit Knüppeln, Mistgabeln und Dreschflegeln und schlossen sich dem Wittenberger Kriegsvolk an, denn sie hatten alle unter dem Ließnitzer gelitten und waren voller Wut auf ihn.
Der Stadthauptmann hatte den Oberbefehl.
Hinter den Fähnlein fuhren die Heerwagen mit Belagerungsgeräten und Verpflegung. Am Schluß gingen zwei Franziskanermönche, die etwaige Verwundete verbinden sollten.
Auf den sandigen Wegen kamen die Wittenberger nur langsam vorwärts und brauchten drei Stunden.
Schließlich gelang es ihnen, auf den weichen Waldwegen unbemerkt bis dicht an die Burg heranzukommen. Dort ordneten sich die Angreifer.
Auf ein Zeichen stürmten sie mit großem Geschrei auf die Burg los.
Auf Stegen wurden die Gräben überschritten und die Mauern mit Leitern erstiegen.
Es half nichts, daß der Turmwächter ins Lärmhorn blies.
Ehe die überraschten Burgbewohner sich recht besinnen konnten, waren die Stürmenden im Burghof.
Die wenigen Knechte wurden schnell überwältigt.
Zu spät kam der Ritter herbei. Er hatte in der Freude über die am Tage zuvor gemachte reiche Beute mit seinen Gesellen bis weit nach Mitternacht gezecht.
Als die Fähnlein der Zünfte heranrückten, lag er noch in tiefem Schlaf. Unsanft mußte ihn ein Knecht wecken. Mit einem gotteslästerlichen Fluch sprang der Wegelagerer auf.
Ein Blick durch die Fensterluke überzeugte ihn, daß schon alles verloren war. Er stürzte mit dem Degen in der Hand auf den Hof. Doch kaum hatten ihn die Angreifer erblickt, als sie ihn schon mit großem Geschrei umstellten und schnell entwaffneten.
Wütend mußte der Räuber einem Knecht den Schlüssel zum Burgverlies im Turm geben, wo die Gefangenen eingekerkert waren.
Wenige Augenblicke später traten die Gefangenen heraus.
Alle waren verwundet und wurden sofort von den Mönchen verbunden. Tief verneigten sich die Befreiten vor dem Bürgermeister und dankten ihm und den Bürgern Wittenbergs.
Dann gab der Bürgermeister Befehl, Feuer in die Burg zu legen und sie gründlich zu zerstören.
Nur der Wartturm widerstand, er überragte noch immer mit seinem festen Mauerwerk den brennenden Rest der Burg.
Ohne Verluste kehrten am Abend die Sieger nach Wittenberg zurück, mit ihnen der gefangene Ritter und seine Untertanen.
Lange Zeit saß er hier im Turm, bis man ihm und den Knechten den Prozeß machte.
Er mußte Urfehde schwören.
Dann wurde er mit Schimpf und Schande aus der Stadt und dem Lande gejagt, nachdem man ihm unter Androhung, ihn zu hängen,
verboten hatte, sich jemals wieder in Ließnitz anzusiedeln.
Die Burg wurde zur groben wüsten Stätte, als man auch den Turm abgetragen hatte. Die Bauern der Umgebung holten die Steine zum Bau ihrer Häuser und Katen.
Nach der Sitte der Zeit wurde der Pflug über die Stätte gezogen und Salz in die Furchen gestreut. Das sollte bedeuten, daß diese Stelle nicht wieder bebaut werden dürfe.
Seitdem galt der Ort als „grobe“, das heißt verfluchte Stätte.