Die Sage vom Wittenberger Bäckerwappen

Wappen der Wittenberger Bäckerinnung – 1815
aus: Archiv HV WB

Während das älteste Stadtsiegel unserer Bäcker-Innung aus dem Jahre 1538 noch den heiligen Nikolaus als Schutzpatron trägt, erscheint im Jahre 1592 das Siegelder „Beckergesellen zv Wittenberck“ mit zwei Löwen,
einer Krone, einer Brezel und
fünf Brötchen.
In späterer Zeit hatte der Stempel- oder Siegelschneider den Inhalt nicht mehr gewußt, ließ die beiden Löwen fort, doch 1815 erkennen wir sie wieder im Siegel der
Weißbäcker-Innung als Wappenträger.
Auch ist die Krone vorhanden und die Brezel mit den
Brötchen sind im Innern des Siegels zu sehen.
Aus der Zeit des 19. Jahrhunderts erhalten die beiden
Löwen in ihren Pranken ein Schwert.
Worauf ist dieses Wappenbild zurückzuführen?
In Wien lag einst ein Bäcker auf der Diele seiner Bäckerei
und schlief. Da hörte er plötzlich unter sich ein Gepolter
und Gehämmer.
Er gab seine Beobachtung sofort weiter und bei näherer Untersuchung stellte man fest, daß die Türken das
Grundstück untermint hatten und beinah bis zum
Pulverturm vorgedrungen waren.
Zum Dank für die für die Stadt so lebenswichtige Errettung
durch den Meister erhielten die Bäcker die Erlaubnis, ein
Schwert zu tragen und brauchten sonntags nicht zu arbeiten.
Wichtiger war aber für spätere Zeiten, daß sie auf ihren
Innungssiegeln in der Mitte eine Brezel und von jeder Seite
flankiert einen Löwen mit Schwert zeigen durften.
Doch als sie eines Tages den üblichen Kirchgang nicht
antraten und lieber zum Kegeln gingen, wurden ihnen die
Schwerter abgenommen im Wappen, doch die zwei Löwen
und Brezel und Brötchen blieben bestehen.
Das zeigt auch deutlich unsere Wappendarstellungen
mit den unterschiedlichen Kennzeichen.
Das Wittenberger Bäckerwappen von 1815 zeigt auch wieder
die Schwerter, weil man sich nicht mehr an die alte Anweisung
hielt. In verschiedenen Gegenden werden die Brezeln auch
Kringeln genannt.
Auch in Wittenberg muß der Ausdruck bekannt gewesen
sein in früherer Zeit, denn noch heute sagt man hier:
„Ich könnte mich kringeln vor Lachen!“ .
Die oben geschilderte Sage vom Bäckerwappen kommt auch
in einem uralten Bäckerlied zum Ausdruck:

Zwei Löwen und ein blankes Schwert,
das ist viel Gold und Silber wert.
Der Kaiser hat uns sie verehrt,
wir Bäcker sind des Wappens wert.
Daß Bäcker große Herren sind,
das weiß im Lande jedes Kind,
denn jeder trägt seinGeld geschwind
zum Bäcker, wenn die Not beginnt.

Bäcker Große – Jüdenstraße 9
um 2000
aus: Archiv HV WB

Gehen wir mit offenen Augen durch die Stadt, so findenwir am Hause Jüdenstraße 9
(früher Bäckerei Große)
in Stein gehauen das alte Bäckerwappen, auch in Kemberg und auf dem Lerchenberg bekam es in neuerer Zeit wieder seine Bedeutung als Zeichen mit langer Tradition.

Jahrhundertelang galt in Wittenberg die Bestimmung,
daß nur 32 selbständige Bäcker vorhanden sein durften.
Erst die Gewerbeordnung vor rund hundertachtzig Jahren
ließ weitere Meister zu.
Durch die Verlegung der Universität beziehungsweise
ihre Vereinigung mit der halleschen Hochschule 1817
fiel ein großer Kundenkreis aus, sodaß sich die Bäcker eine
Zeit lang nebenher mit Bierbrauen und Branntwein brennen
über Wasser halten mußten.
In einer Beschwerde sagten sie, daß alles viel besser wäre,
wenn sie das Mehl dort mahlen lassen könnten,
wo es ihnen beliebt und nicht in der Zwangsmühle nahe
dem Wittenberger Schloß.
Diese lieferte schlechtes Mehl. ,
1815 gab es in Wittenberg anstelle der sonst vorhandenen
32 Meister nur noch 21, die mit sechs Gesellen und zehn
Lehrlingen arbeiteten.

Heinrich Kühne †

aus: Elbe-Elster-Rundschau vom 27.08.1993