Niemand ahnte in Laubegast, wer die hier um Unterkunft einst bittende, verhärmte und entkräftete Frau gewesen war, die man zu Grabe trug. Auch der Ortspfarrer schätzte die am 30. November 1760 Verstorbene so ein, als er das Sterbezimmer verließ, daß man es hier mit einer der unzähligen Umhertreibenden zu tun hatte, die fortwährend bettelnd und stehlend durch die Lande zogen.
Von dieser Erkenntnis getrieben ordnete er an, daß Friederike Caroline Neuber, So hieß die Verstorbene, nicht in „geweihter“ Erde begraben wurde, sondern an der Kirchhofsmauer, wo Verbrecher und Selbstmörder ihre letzte Ruhestätte fanden.
Mit zwanzig Jahren floh die Tochter eines Advokaten aus Reichenbach im Vogtland, wo sie am 9. März 1697 geboren wurde, und folgte einer reisenden Schauspielertruppe nach Weißenfels.
Im wackligen Theaterkarren, alle Requisiten mit sich führend, kam die Komödiantengruppe bis in unsere Gegend.
Zwar waren die damaligen Schauspieler von den bürgerlichen Kreisen mißachtet worden, doch das Volk jubelte ihnen zu, wo sie mit ihrem Thespiskarren auftauchten.
Inzwischen hatte die Neuberin gemeinsam mit ihrem Mann, einem Studenten, längst eine eigene Schauspieltruppe zusammengestellt, reiste durch die Lande und gelangte bis nach Kurland und bis nach St. Petersburg.
So kam es, daß ihr Mann in Wittenberg am 28. September 1728 nach Zahlung der nicht geringen Summe von 20 Gulden 12 Groschen vom Rat der Stadt Wittenberg die Erlaubnis erhielt, im obersten Rathaussaal 18 Tage lang zu spielen oder wie man sich ausdrückte zu „agieren“.
Johann Neuber ließ sich einige Jahre später wieder sehen, damit seine Frau an gleicher Stelle vor den Wittenbergern und vor den heimlich sich dahin geschlichenen Studenten spielen durfte.
Neuber betonte bei der Anmeldung, daß er eine privilegierte Truppe mit sich führte und er „Königlich Polnischer und Churfürstlich Sächsischer Hoff-Commoediant“ sei.
Der Lebensweg der Neuberin war gewiß nicht ohne Dornen gewesen, doch sie ging ihn unbeirrt und verhalf durch ihre Leistung und durch die Disziplin ihrer Truppe, daß man sie nicht wie Landstreicher behandelte.
Wenige Jahre nach ihrem Wittenberg- Besuch verbrannte sie 1737 auf dem Leipziger Marktplatz in symbolhafter Manier den bis dahin herrschenden Hanswurst.
In diesen Tagen traf der junge Lessing mit ihr zusammen und das Erstlingswerk des neunzehnjährigen Dichters,
„Der junge Gelehrte“,
wurde durch die Neuberin erstmalig aufgeführt.
Eng verbunden mit dem Literaturprofessor Gottsched, der auch für sie eigene Stücke schrieb und französische übersetzte, kämpfte die willensstarke Frau als Wegbereiterin eines deutschen Theaters. Später kam es aber zum Bruch zwischen den beiden, da der Gelehrte an dem Althergebrachten hing und die dramatische Kunst in erster Linie für die gebildete Oberschicht allein in Anspruch nehmen wollte.
Spricht man heute von den Großen der Theatergeschichte und der Schauspielkunst, so wird man den Namen der Neuberin stets mit größter Anerkennung nennen.
Sie hatte den Kampf für ein deutsches Nationaltheater begonnen und Lessing sprach begeistert von ihr, „als einer Frau von männlichen Einsichten und einer vollkommenen Kenntnis ihrer Kunst“.
Daran sollten wir denken, wenn wir die Gedenktafel am Hause Markt 18, der ehemaligen „Weintraube“, betrachten.
Heinrich Kühne †
aus: Freiheit vom 13.02.1980