Wie schon vorn erwähnt, fanden sich die Frauen der Beamten
allwöchentlich zu einem Kaffeekränzchen zusammen.
Dies hatte denselben Zweck wie der Stammtisch bei den Männern. Der Beamtenkonsumverein, der Verein gegen Hausbettelei, der Verein für Gesundheitspflege usw. entstanden daraus.
Die Wittenbergerin ist fleißig und sparsam, aber sie will wissen, was in der Stadt passiert.
Im Kränzchen erfährt sie alles. Sie sieht die Garderobe der Nachbarin, was sie strickt und näht.
Sie erfährt, was es gestern, heute und morgen zu Mittag gibt.
Viele Wittenberger Gerichte sind heute ausgestorben.
Dann werden die Männer besprochen.
– Was haben sie vertrunken, verspielt, und hatte sich son armer Mann mal eine Liebschaft zugelegt, war es am anderen Tage raus. Die Frauen der Geschäftswelt hatten in ihrem Kränzchen die gleichen Interessen.
Es kam nur das Geschäft, Dienstboten, Geld usw. hinzu.
Alles wurde in echt wittenbergisch kritisiert.
Durch Wittenberg zog sich die Sprach- und Handelsgrenze.
Die Beamten kauften oft billig in Berlin, aber auch geringer.
Die Geschäftsfrau, besonders von Klein-Wittenberg an talwärts, in Magdeburg.
Dies trat nicht nur in Kleidung und Sprache, sondern im ganzen
Umgang mit der Elbe zu Tage.
Erschien eine Kränzchenschwester nicht, mußte sie zwei Groschen in die Kasse zahlen, wofür im Sommer ein Ausflug gemacht wurde. Nun war der Sommer wieder da.
In Wörlitz blühte der Flieder.
Abfahrt vom Markt 10 Uhr mit Schachs Kremser.
Pünktlich stand der Kremser an den Verlobungsplatten.
Um 10 Uhr ist er schon überfüllt, aber abfahren kann er nicht, weil Frau Resturateur Mittmann fehlt.
Was haben die Damen auch alles mitgebracht, als wenn sie zum Nordpol fahren.
Dick gefüllte Marktnetze, Taschen, Pelzkragen, Schirme usw.
Die korpulenten Damen drücken ihre frisch geplätteten Röcke und alles was darunter ist zusammen und behaupten ihre Plätze.
Endlich kommt die dicke Mittmann im Laufschritt um „Leonhardts“ Ecke. Wie eine angefeuerte Schnellzuglokomotive braust sie über den Markt und steht nun keuchend am Einstieg des Kremsers. Zusammenrücken ist ausgeschlossen.
Da melden sich einige Männer, der erste Spritzenführer der Feuerwehr Scheuer, der Maler Lerm, Aug. Holzhausen u. a.
Die Frauen wundern sich, wie besorgt heute ihre Männer um ihr Fortkommen sind.
Ein dünnes Fräulein muß stehen man rückt zusammen und die Männer heben Frau Mittmann in den Kremser.
Leider reicht der Platz nur für die eine Hälfte der Frau Mittmann, die andere Hälfte hängt draußen.
Der Kutscher knallt und die Fahrt beginnt.
Inzwischen haben sich vor den Häusern Markt 1 – 6 allerhand
Beobachter angesammelt. Ein Hurra mit Lachen und Tücherschwenken verabschiedet den Wagen. Diese Belustigung setzt sich in der Schloßstr. fort und endet erst in der unbebauten Dessauerstraße.
In Klein-Wittenberg geht es aber von neuem los.
Die Fenster öffnen sich, die Fußgänger winken, lachen, schreien
und die Damen schwitzen vor lauter Belustigung.
Endlich nimmt sie der Wald, der sich von der Pappelbrücke bis Apollensdorf erstreckt, auf.
Nun lassen wir aber Frau Mittmann selbst sprechen, denn auf einmal guckt da en Been. Die Mittmann sagt zu der gegenübersitzenden Grotiusen: „Mielichen, nimm mal dein Been rin.“
„Nee“, sagt Mielichen, „meins ist es nicht.“
Böttcher, oder Boosten, oder Hanischen, ist das euer Been?
Nee, wir hamse alle zwee.
He Kutscher, hier guckt een Been, ist das eire?
Nee, meine sin in de Schdiwweln.
Da sagt die Grotiusen zu die Kalinken: Sophiechen, pump mich ma dein Schärm.
Sophiechen hat einen langen Regenschirm mit einem
faustgroßen Mopskopf als Griff.
Mielichen fragt noch einmal:
„Wem gehört das Been?“
Keiner meldet sich, alle sehen auf das Bein, als Mielichen mit dem Mopskopfgriff des Regenschirmes auf den großen Zeh des Beines zielt. Sie zählt sogar bis 3, dann erfolgt ein furchtbarer Schlag und ein Schrei der Frau Mittmann, der selbst die Pferde erschreckt.
Das Bein war eingeschlafen, weil Frau Mittmanns eine Hälfte aus dem Kremser hing.
Mit Ach und Krach kommt man bis Coswig, wo wieder ein Lachen und Winken aus allen Häusern beginnt.
Selbst die Gänse erheben am Gänseanger ein Geschrei.
Endlich sind sie an der Elbfähre. „Alles aussteigen.“
Da sperren die Damen Maul und Nase auf, denn auf jeder Kremserseite steht mit großen Buchstaben schwarz auf weißer Leinewand:
„Eine Fuhre alter Schachteln.“
Jetzt wissen sie, daß ihre so vorsorglichen Männer in letzter Sekunde vor der Abfahrt die Plakate am Kremser abrollten.
In der Elbterasse sind die Plakate entfernt und als Andenken mitgenommen.
Wer beschreibt aber das Staunen der Damen, als sie am Wörlitzer See vorbeifahren und in drei Kähnen ihre Männer erblicken?
Sie haben sogar Wein mit im Kahn und Malmede singt seinen bekannten Solo:
Hat uns nicht Mohamed schändlich betrogen,
daß er statt Wein viele Weiber uns gab?
Hat uns der große Prophet nicht belogen,
bringt nicht schon eine so manchen ins Grab?
Ja, wer nicht kann trinken den funkelnden Wein,
das muß ein Schafskopf wie Mohamed sein.
Die Abstimmung der Damen ergab, daß man die Männer gar nicht beachte. Als man aber später doch nach den Männern suchte, wurde ihnen auf der Bootsanlegestelle gesagt, daß die 3 Kähne
ersoffen sind. Alles Suchen half nichts. Die Männer waren sofort auf demselben Weg, den sie gekommen waren, wieder abgefahren. Sie saßen längst im Gasthof zum wilden Mann in Radis und machten hier den wilden Mann.
Erst um 2 Uhr nachts landeten sie bei ihren Frauen, die froh waren, daß sie nicht versoffen waren.
Und die Moral von der Geschichte?
Fahrt nicht allene weck, denn das hat keenen Zweck.