Die große Verschiedenheit der Mundart der Elbaue und der Mundart des Flämings

Der Landkreis Wittenberg läßt sich unschwer in „3 Zonen“ einteilen. So hat mit Recht der um unseren Kreis hoch verdiente Ökonomierat Dr. v. Spillner in einem trefflichen Aufsatz in dem Werke des „Deutschen Städte-Verlags“ von Arthur Seelemeyer in Hannover im Jahre 1927:
Lutherstadt Wittenberg – die Wiege der Reformation“ hingewiesen, daß sich diese drei Zonen:
– 1. Elbaue,
– 2. Fläming und
– 3. Sand
wirtschaftlich, geologisch und ethnologisch ergeben.
Die Elbe zerschneidet den Kreis in zwei annähernd gleiche Hälften, in einen Gebietsteil östlich und in einen Gebietsteil westlich des Stromes.
Diese Unterscheidung finden wir schon seit alter Zeit.

In einem im Landratsamt zu Wittenberg aufbewahrten alten Verzeichnis, das nach einer am 15. Juni 1626 im alten Amte Wittenberg vorgenommenen Zählung der in den einzelnen Dörfern vorhandenen Hüfner, Kossäten und Häusler aufgestellt wurde, werden aufgezählt:
– Amtsdörfer                                       641 Gehöfte
– Dörfer des kleinen Flämings     83        “
– Dörfer des großen Flämings   219        “
– Dörfer auf der Heide                   103        “
– Dörfer in der Aue                           339        “
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Zusammen:                                         1385 Gehöfte.

Man unterschied in alter Zeit den „großen“ und den „kleinen“ Fläming. Die Bezeichnung „hoher“ und „niederer“ Fläming kommt erst später auf.

So finden wir auch hier diese Dreiteilung:
– Fläming,
– Busch (bzw. „Heide“) und
– Aue.
Und in alten Urkunden kehren die Bezeichnungen fort, wieder wie:
„auf dem Fläming“ gelegen oder „uff’m Großen Flemingk“oder als:
„zum Flämischen“ gehörig und demgegenüber:
„der Busch“ oder „die Buschdörfer“ oder als
„Zum Wendischen“ gehörig, oft bei dem einzelnen Dorf mit dem Zusatz: „slavica“ bzw. „Wendisch“
(zB. Alstorp slavica“ – „Wendisch-Alsdorf“)
und dazu: „in der Aue“ oder  „in der Elb-Aue“.

Dieser dreifache Unterschied tritt auch in der Sprach der Bewohner stark hervor.
Es soll hier nur einmal in aller Kürze auf den großen Unterschied der Sprache der Bewohner der Elbaue und des Flämings hingewiesen werden.

Professor Julius Maerker in Konstanz, der in Pratau bei Wittenberg geboren wurde, sagt von seiner Heimat in einem Aufsatz:
Aus der Elb-Aue südlich von Wittenberg, ihrer Vergangenheit und Gegenwart„, der im „Montagsblatt“, der Wissenschaftlichen Beilage der Magdeburgischen Zeitung dem „Heimatblatt Mitteldeutschlands vom 8. August 1927 wiedergegeben ist:

„Das frühere Niederdeutsch der Elbaue ist vollständig von einem grobklingenden Mitteldeutsch verdrängt worden, nur nordwärts von Wittenberg, auf dem Fläming, spricht man „flämisch“ oder „flämsch“, wie die Elbebauern sagen.“

Inzwischen sind nun in dankenswerter Weise von Frau Pfarrer Wotschke geb. Berndt in Pratau mit der Schrift:
Pratau geht über Rindfleisch“ im Verlag von Felix Bärthold, Buchhandlung in Lutherstadt Wittenberg, und von Lehrer Richard Erfurth in Lutherstadt Wittenberg mit dem Büchlein:
Vun jrienen Schtrand der Elwe“ im Verlag von Julius Beltz in Langensalza treffliche Proben der Mundart ber Elbaue gegeben worden, die zu einem Vergleich der Mundart der Elbaue mit der Mundart des Flämings, wie sie von dem Verfasser dieser Zeilen in dem in Verlage von Adolf Tietze in Lutherstadt Wittenberg erschienenen Heimatbüchlein „Wat van heem“ zum ersten Male gegeben ist, auffordern.

Schon in dem Titel tritt der große Unterschied der Mundarten der Elbaue und des Flämings scharf hervor:
Vun jrienen Schtrand der Elwe“ sagt der Bewohner der Elbaue.
Der Fläminger dagegen spricht das echt Flämische und von ihm sehr viel gebrauchte „van“, nicht „vun“.

Der Bewohner der Elbaue spricht von einem „Strand der Elwe“ wie der Hochdeutsche.
Der Fläminger dagegen gebraucht statt des 2. Falls stets „van“.
Er sagt in seiner Mundart nicht „der Strand der Elbe“, sondern wie es im Niederländischen auch gebräuchlich ist:
„der Strand van de Elwe“ oder auch „Elwestrand“ wie
„Plug-Isen“ für: „’t Isen van‘ Plug“, kurz von ihm in in alter Zeit bezeichnet als:
“  ‚t Isen oder auch: „‚t Schoar“ – „das Schar“,
hochdeutsch: „die Pflugschar, oder:
„de Stoppe van de Flasche“ für: „der Kork der Flasche“,
„der Toom van’t Pärd“, nie „der Zaum des Pferdes“.

So treten damit schon sehr bedeutsame Unterschiede zu Tage.
Und so begegnen sie uns allenthalben, wofür hier aus den zuvor bezeichneten Werken nur einige Beispiele angeführt werden sollen: – Der Elbbewohner sagt: „Ich“, „er“, „Mir“ (=wir), „ihr“,
„eire“ = „eure“ wie im Hochdeutschen,
dagegen gebraucht der Fläminger nur die niederländischen Formen:
„ik“ – „hey“ (gesprochen wie schnell hintereinander klingendes e-i!) für: „i ch“ und „er“, wey“ „- „jey“ für:
„wir“ und „ihr“ und „joue“ für „eure“.
Dazu gebrauchen die Fläminger auf dem Fläming wie die Flamen im alten Flandernland ein und dieselbe Form für den 3. und 4. Fall: „mey“ =“mir“ und „mich“ und „dey“ = „dir“ und „dich“.

– Der Elbbauer spricht „mein“, „dein“, „fein“, wie im Hochdeutschen, der Flämingbauer dagegen das Flämische: „min“, „din“, „in“.
– Ebenso gebraucht der Elbbewohner das Wort: „das“ wie im Hochdeutschen, der Fläminger dagegen: „dat“ usw.
In der Sprache der Fläminger stehen wie im Niederländischen alle Verhältniswörter stets mit dem 4. Fall zB.
„De Duwe sitt up’t Dack“:
Hoch Deutsch: „Die Taube sitzt auf dem Dache“ und:
„De Dume sett sich u p’t Dack“: „Die Taube setzt sich auf das Dach“. „Van’t Joahr“: „von dem Jahr“,
„met sin‘ Finger“: „mit seinem Finger“ usw. usw.

– Der Elbbewohner spricht von einem „Auszuckshaus“ wie der Hochdeutsche, dagegen kennt der Fläminger nur ein: „Uttog Huus“.
– Die Elbbewohner sagen: „machen“, die Fläminger dagegen: „moaken“, die Elbbewohner sagen „heeßen“ für „heißen“, die Fläminger dagegen: „heeten“.
– Der Elbbewohner spricht:
„der Bauer, dagegen der Fläminger: „der Bure“.
– Der Elbbewohner sagt: „Leite“ für „Leute“,
der Fläminger dagegen: „Liede“.

– Der Elbbewohner spricht: „heite“ oder „heire“,
der Fläminger dagegen: „hiede“, hochdeutsch: „heute“.
– Der Elbbewohner redet von Zeit, Zaum, Zaun, Zeif(=Zeug) und Zeichen, der Fläminger dagegen von: Tid, Tuun, Toom, Tieg, Teeken wie im Flämischen in Flandern.
– Der Elbbewohner redet vom „Dorf“ wie im Hochdeutschen und sagt wie im Hochdeutschen: „Das jroße Dorf“.
„Jedes jressere Dorf“, der Fläminger da in echt flämischer Weise nur vom: „Dorp“ und sagt  – dabei stets g wie j sprechend! : „dat groote Dorp“ und „Jedet grettere Dorp“.
– Bei den Elbbewohnern „beißen die Hunde“,
bei den Flämingern dagegen „biet’n de Hun’e“.
– Der Elbbewohner spricht: „das weiß mer nich“,
der Fläminger dagegen: „dat weet (bzw. „wett“) man nich“.
– Die Elbbewohner „verlahßen das Haus“,
dagegen die Fläminger „verloaten dat Huus“.
– Der Elbbewohner spricht von „anziehen“,
der Fläminger dagegen von „antrekken“.
– Der Elbbewohner sagt Vater“ wie im Hochdeutschen,
der Fläminger dagegen: „Voader“.
– Die Elbbewohner haben Mächens“,
dagegen Flaminger haben „Mäkens“.
– Die Elbbewohner sprechen: „Die sin ze faul nah’n Bahnhoff ze loofen“,
die Flaminger dagegen: „Die sin te fuul noa’n Boahnhoff te (bzw. de)  loop’n“ wie im Flämischen in Flandern.
– Der Elbbewohner spricht „brauchen“ wie im Hochdeutschen,
der Fläminger dagegen: „bruuken“.
– Die Elbbewohner „suchen aus“,
dagegen die Fläminger sieken ut“.
– Der Elbbewohner spricht von „Kuchen“ und gar: „Fangkuchen“,
der Flaminger dagegen ist gern: „Kuke“ und vor allem gern: „Pann- Kuke“ und noch lieber: „Iser-“ oder „Klemm-Kuke“.
– Der Elbbewohner braucht ein „Koppduch“,
der Fläminger dagegen ein „Koppduk“, und wenn’s mehrere sind,
– sagt der Elbbewohner „Tiecher“,
der Fläminger dagegen „Dieker“.
– Der Elbbewohner hat “ ’n Schletten“,
der Fläminger dagegen kennt nur “ ’ne Schledde“ wie im Flämischen in Flandern weiblich gebraucht: die Schledde = eine Schledde, hochdeutsch männlich „der Schlitten“.
– Der Elbbewohner kennt „was Schwarzes“,
der Fläminger dagegen nur „wat Schwartet“.
– Der Elbbewohner will „was derzählen“ oder „arzählen“,
der Fläminger dagegen will „wat verteel’n“
– Der Elbbewohner sagt wie im Hochdeutschen – nur lässig sprechend – „Fährd“ für „Pferd“ und „Fähre“ für „Pferde“,
der Fläminger dagegen spricht wie die Flamen in Flandern: „Pärd“ und „Päre“.
– Die Elbbewohner setzen sich „ahn Owen“,
die Fläminger „hinger’n Kachel up de Kachelbank“.
– Die Elbbewohner haben einen „Schulzen“,
bei den Flämingern dagegen kennt man nur den „Schulte“.
– Der Elbbewohner spricht „vun seine Schweine“
der Fläminger dagegen „van sine Schwiene“.
– Die Elbbewohner sagen „abkriegen“ für abbekommen, und: „abreißen“,
die Fläminger dagegen: „afkreyen“ und „afriet’n“.
– Die Elbbewohner „reiten“ wie im Hochdeutschen,
dagegen die Fläminger sagen noch heute, wie sie einst sangen, als sie im 12. Jahrhundert aus dem alten Flandern hierher zogen:
„Na Oostland willen wy ryden!“
– Die Elbbewohner sagen: „Was ze vill is, is ze vill“,
dagegen die Fläminger: „Wat te vill is, is te vill“.
– Der Elbbewohner spricht: „Mir wissen oo was“,
dagegen der Fläminger: „Wey weet’n ook wat!“

Damit mag es genug sein. – Es sollte hier nur einmal in Kürze der Hinweis gegeben werden und an einigen Beispielen aus den beiden zuvor genannten Werken gezeigt werden, wie verschieden die Mundart der Bewohner der Elb-Aue von der der Fläminger auf dem Fläming ist, wo sich bis heute, wie auch Professor Maerker richtig hingewiesen hat, die flämische bzw. niederdeutsche Sprache erhalten hat.

Für uns aber sind diese Feststellungen wertvoll für die Eigenart der Bewohner und besonders auch für das volle und rechte Verständnis der Reformationszeit.

Denn so war es auch schon zu Luthers Zeit! – So konnte man dort auf dem Wochenmarkt in Wittenberg Plattdeutsch und Mitteldeutsch durcheinander hören.
Zieht doch gerade hier bei Wittenberg die Sprachgrenze zwischen Niederdeutsch und Mitteldeutsch entlang. –

Es ist dies von großem Einfluß gewesen, als Luther gerade hier in Wittenberg das erste Neue Testament in hochdeutscher Sprache gab, die den Sieg über alle Mundarten davontrug.

Otto Bölke †

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Anmerkung
Siehe hierzu die Aufsätze in den „Blättern für Heimatgeschichte“ – „Wittenberger Zeitung“ – Adolf Tietze, Lutherstadt Wittenberg Nr. 7 vom April 1930 und Nr. 2/3 und 3/4 vom März 1930:
und Bölke: „Das Stabat mater dolorosa“ als Sprachprobe in flämischer Sprache“ und
Bölke: „Die flämische Siedlung zwischen Wittenberg und Jüterbog: Ein kleines Flandern in Deutschland.“

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aus: Wittenberger Zeitung –
Blätter für Heimatgeschichte vom Juni 1931

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