Die Freiwillige Wittenberger Feuerwehr

Unsere Feuerwehr ist aus dem Wittenberger Turnverein 1862
hervorgegangen.
Bürgermeister Dr. Schild suchte die Turner zu Feuerwehrmännern aus und gründete 1868 die Feuerwehr.
Hauptmann wurde Schornsteinfegermeister Elfe, Spritzenführer
Emil Scheuer, 2. Spritzenführer Aug. Fuß.
Alles trinkfeste Männer, die jeden Brand löschen konnten.
Einen solchen wollen wir beschreiben:
Pechschwarzer Novemberhimmel hängt über der alten Lutherstadt.
Eben sind die drei Nachtwächter von ihrem Rundgang in das
Rathaus zurück und spielen ihren Schafskopf.
Schreiber Queitsch und Frische sind die Perlen der Stadt.
Damals brauchte man keinen Hausschlüssel.
Man machte Radau, bis der Nachtwächter kam, der alle Häuser aufschloß.
Eine Weckeruhr hatte man nicht, der Wächter weckte pünktlich. Der Schläfer band sich einen Strick ums Bein und hing das andere Ende zum Fenster hinaus.
Zur bestellten Zeit zog der Wächter so lange am Strick, bis der Schläfer unten lag. Fand man sich mal nicht nach Hause, laufen brauchte keiner.
Schreiber und Queitsch trugen den Schwergeladenen gemeinsam und Ersterer rief immer:
„Fritze loof nich so, der riecht so scheen nach Schnaps.“
Jetzt schlägt es vom Turm 3 Uhr. Da erhebt sich der höchste Beamte der Stadt von seinem altersschwachen Kanapee, der Türmer, genannt Kantum.
Früher, als es noch kein Sägewerk gab, wurden die Bäume behauen. Er war Platzmeister der Zimmerleute und rief „Kantum“ wenn die Balken zum Kanten fertig waren.
Heute öffnet er das Fenster zum Markt und starrt hinauf in den
Himmel. Zuerst über die innere Stadt, dann über die Schloßvorstadt bis Dobien, zuletzt über den ganzen Horizont.
Da alles in Butter ist, bläst er auf seiner Pape und wirft das Fenster zu. Nun öffnet er das Fenster zum Holzmarkt und sieht sofort
den Feuerschein.
Erst muß er ma eenen uff de Lampe gießen, damit er besser sieht. Zur Vorsicht weckt er seine Frau, die sofort mit Kennerblick feststellt:
„Das Feuer ist auf der Grenze von Hickelwitz und Kammerun“. Hickelwitz, wo früher die meisten Ziegen gezogen wurden, ist unsere heutige fast neu erbaute Friedrichstadt, Kammerun ging von Ochsenlopen (Geißlers-Saal) bis zur Eisenbahnbrücke bei Knüppelsdorf.
Während Vater Kantum eine rote Laterne in die Richtung des
Brandes hängt, muß Mutter K. stürmen. Wird dreimal an die
Glocke geschlagen, dann ist das Feuer in der Innenstadt.
Bei zweimaligem Anschlag braucht die Vorstadt ein neues Haus.
Bei nur einem Anschlag ist es ein Auslandsfeuer. Bei diesem
Brand muß die Mutter 2 x anschlagen bim bim – bim bim – bim bim.
Die meisten Einwohner betasten schon beim ersten Schlag ihre
Bettwand und bleiben liegen, weil sie noch kalt ist.
Die Kinder sind schon beim ersten Schlag unterwegs.
Die Feuerwehr sucht mit der Laterne ihre Uniform, lange Stiefel, graue Joppe mit Ledergurt, Helm mit Nackenschutz.
Inzwischen haben die Nachtwächter noch 3 x rumgespielt und begeben sich zur Stadtkirche, wo Kantum den Ort des Feuers vom Turm ruft.
Gleich beim ersten Glockenschlag ist auch die Marstallstr. aufgewacht. Albert Menz schubt seine Frau aus dem Bett, und
während er sich anzieht, bläst sie aus dem Fenster Alarm.
Dann läuft Menz durch die Straßen und bläst mit der Trompete
von Gravelotte die Feuerwehr zusammen. Appellplatz ist die
Ratswaage unter dem Rathaus, wo Spritze und Schlauchwagen stehen.
Noch fehlt die Bespannung und der Mannschaftswagen.
Eine Feuerwehrpatrouille meldet aus der Marstallstr., die
dicke Liese von Schachs hat sich hingelegt, mit dem festen
Vorsatz vorläufig nicht aufzustehen. Schach bittet um ein
Feuerwehr-Hebekommando von 8 Mann.
Nach einer halben Stunde kommt der Hauptmann in eigener Person, flüstert der Liese ins Ohr, daß es ja nur bis Hickelwitz geht, worauf sie von selbst aufsteht.
Inzwischen trat man in Hickelwitz zu einer Besprechung zusammen. Der Sprecher stellt fest, daß sich die Versicherung bei den letzten Bränden recht knauserig gezeigt hat.
Deshalb hätte sich auch niemand um die Spritze, die auf dem Königsplatz untergebracht ist, gekümmert.
Auch das Wasser wäre knapp und müßte mit Eimern in die Spritze gegossen werden.
Vor allem aber brauchte der Ort neue Häuser. Der heutige Brand höre von selbst auf.
Der Hauptmann erinnert daran, daß die Wittenberger dann den Brand löschen würden.
Dies löst einen Entrüstungssturm aus.
Mit dem Rufe:
„das is unse Feier, an die Spritze Wasser ran, schützt die Grenze“ jagen Männer, Frauen, Kinder durch die Nacht zur Grenze.
Diese wird zwischen Wildgrubens August und Ochsenlopen besetzt, Spritze und Eimer gefüllt, die Rollen sind verteilt, als die Wittenberger anrücken.
Ein Wasserstrahl aus Spritze und Eimer empfängt sie.
Die Laternen verlöschen, die Pferde sind ausgespannt usw.
Die Kammeruner kommen zu Hilfe und melden, daß die alte Bude in Trümmer liegt.
Auf jeden Wittenberger kommen 6 Hickelwitzer und 3 Kammeruner.
Da bitten die Wittenberger um Verhandlungen.
Ochsenlope macht Licht, seine Räume füllen sich, und es wird vereinbart:
Die Wittenberger dürfen erst dann bei unse Feier mitmachen, wenn sie gerufen werden. Erst als die Vorräte der beiden Gastwirte an
der Grenze erschöpft waren, trennen sich die Kameraden in der
Hoffnung, daß es bald wieder brennt und die Versicherungsbeiträge gesenkt werden.
Damals waren im kleinen Wittenberg ca. 50 Versicherungsgesellschaften, die durch hohe Beiträge und
wenig Verluste reich wurden.
Die freiwillige Feuerwehr, die nichts kostete und alles löschte, war schuld daran. Auch die Stadt raffte in der städt. Feuersozietät hohe Beiträge zusammen. Diese trugen dazu bei, daß um die Jahrhundertwende die Stadt nicht nur schuldenfrei war, sondern bedeutende Gelder ausgeliehen hatte.
Von 1885 bis 1915 sind 30 Jahre. In dieser Zeit ist alle zwei
Jahre nur 1 Haus niedergebrannt. Kleine Brände rechnen nicht,
sie heben das Geschäft. Die freiwillige Feuerwehr löste sich
wegen Arbeitsmangel auf.
Dafür wurde in Wittenberg der Beitrag erhöht und eine staatl.
Feuerwehr mit 6 Motorspritzen, mechanischen Leitern usw. errichtet. Die Stadt ist damit gegen Brand gesichert.
Aber die Abmachungen zwischen Wittenberg und Hickelwitz sind als Tradition übernommen.
Keine noch so hoch entwickelte Werkfeuerwehr (Sprengstoff, Stickstoff u. Gummiwerk) darf außerhalb des Werkes einen Brand löschen, wenn sie nicht gerufen wird – Das is unse Feier .-
Seitdem steht in Wittenberg nichts mehr in Flammen, alles ist dunkel. Die Nachtwächter sind ausgestorben, Kantum ist
tot. Kein Kind singt mehr:
Es brennt, es brennt
beim dicken Koch;
trullala ins Feierloch.
Nur die alten Hinterhäuser der Innenstadt warten immer noch auf eine Erlösung.
Und damit ist uns Stammtischbrüdern wieder ein Dreivierteljahrhundert über den Buckel gerutscht.

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