Rechts der Dresdener Straße, auf halbem Wege nаch Luthersbrunnen, gegenüber dem ehemaligen Gasthofe „Zum blauen Hecht“, stehen auf einem kleinen Ackerstück zwei alte hohe Steine, die unter dem Namen „Brüdersteine“ bekannt sind. Die Sage erzählt, daß an dieser Stelle zwei Brüder einander wegen Erbstreitigkeiten (nach anderen Berichten eines Mädchens wegen) im Zweikampfe getötet haben.
Bei den Nachforschungen über die im Kreise Wittenberg verbreiteten Sagen fand ich ein im Volksmunde lebendes Lied auf, welches jene Begebenheit in anschaulicher und drastischer Weise schildert. Da dieses gewiß das Interesse der Leser finden wird, so sei es an dieser Stelle in der Originalfassung mitgeteilt:
Nicht weit vom blauen Hechte
Zwei graue Steine steh’n,
Das sind die Brüdersteine,
Da ist ein Mord gescheh’n:
Zwei Brüder aus der Specke –
Gottlob und Ferdinand –
Stellten sich gegenüber
Als Feinde zornentbrannt.
Sie zogen düstern Blickes
Ein jeder das Pistol‘,
Die nun durch eine Kugel
Den Bruder töten soll.
„Warum soll jener erben
Sechs Morgen mehr als ich?
Nein, dieser soll nicht nehmen,
Was Vater gab an mich.
Nein, nimmer will ich dulden
Das Unrecht schwer und viel.
Auf, auf, ihr Sekundanten,
Bring uns an blut’ge Ziel!“
Die Sekundanten zählten
Der Schritte vierzig ab,
Und bei dem Zählen rinnen
Die Tränen ihn’n hinab.
Denn ach, vor wenig Monden
Da war noch bess’re Zeit
Da liebten sich die Brüder
In Treu und Einigkeit.
Da hat der kranke Vater
Sein Testament gemacht
Und hat dem jüngsten Bruder
Sechs Morgen mehr vermacht.
Dafür soll er nun pflegen
Die Mutter, wie es Pflicht,
Er soll sie nicht verlassen
Bis einst ihr Auge bricht.
Die Sekundanten zählten
Eins, zwei und auch noch drei –
Da donnern die Pistolen,
Speih’n Feuer, Rauch und Blei.
Ach, wie so schwer getroffen,
Vom Blut gefärbt so rot,
Da lagen beide Brüder
Zwei Leichen starr und tot.
Die Schreckenskunde brachte
Der Mutter tiefen Schmerz.
Sie hat sie kaum vernommen,
Da brach ihr Mutterherz.
Hörst du die Glocken läuten?
Hörst du den Grabgesang?
Siehst du drei Särge tragen
Das grüne Tal entlang?
Das sind die beiden Brüder,
Die jäh geschieden ab,,
Das ist die arme Mutter,
Die man dort senkt ins Grab.
Das Wort Ernst Moritz Arndts: „An jeder Sage ist auch eine Sache, und ihre Glaublichkeit verdient Glauben“, dürfte auch hier gelten. Über den geschichtlichen Vorgang, der dieser Sage und dem mitgeteilten Liede unzweifelhaft zugrunde liegt, war aber leider bis jetzt nichts Sicheres zu ermitteln.
Richard Erfurth †
aus: Unser Heimatland vom 12.04.1926
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