Die Brüdersteine

An der südlichen Seite der Dresdener Straße, gegenüber der früheren Gastwirtschaft „Blauer Hecht“, sind auf einem Ackerstück zwei viereckige
Steine sichtbar, die im Volksmunde „die Brüdersteine“
genannt werden.
Der Sage nach sollen hier zwei Brüder einen alten
Familienstreit ausgetragen haben, der mit dem Tode der
beiden und auch mit demjenigen ihrer Mutter endete,
welche infolge des Schrecks plötzlich verstarb.
Diese Begebenheit ist mehrfach Gegenstand von
Dichtungen gewesen.
So übermittelte uns Frau Eisenbahnassistent Knape,
Kreuzstraße 27 wohnend, die nachfolgenden Zeilen:

Unweit vom blauen Hechte, zwei graue Steine steh’n,
Das sind die Brüdersteine, hört, was allda gescheh’n:
Zwei Brüder aus der Specke, Gottlob und Ferdinand,
Stehn sich dort gegenüber, als Feind im Zorn entbrannt.
Und prüfen düstern Blickes ein jeder das Pistol,
Das nun durch eine Kugel den Bruder töten soll.
Denn, ach, vor wenig Monden, da war noch bess’re Zeit,
Da liebten sich die Brüder, noch treu in Freud und Leid.
Da hat der kranke Vater sein Testament gemacht,
Und hat sechs Morgen Acker dem jüngsten mehr vermacht.
Dafür doch soll er pflegen die Mutter, wie es Pflicht,
Und soll sie nie verlassen, bis einst ihr Auge bricht.
Die Mutter, krank im Bette, bat oft umsonst so weich:
„Ach, Kinder, liebe Kinder, habt Iieb, vertraget euch!
„Soll der vom Vater erben, sechs Morgen mehr als ich!“
„Darf der wohl wieder nehmen, was Vater gab an mich?“
Die Sekundanten reden zur Sühne einmal noch.
Die beiden Brüder sprechen: „Nein, nein, wir schießen doch!“
Die Sekundanten zählen der Schritte vierzig ab,
Und stellen jeden Bruder hin an sein frühes Grab.
Sie zählen laut im Takte: eins, zwei und auch noch drei,
Da donnern die Pistolen, speih’n Feuer, Rauch und Blei.
Und ach so schwer getroffen, gefärbt vom Blut so rot,
Da liegen nun die Brüder, zwei Leichen starr und tot.
Die Schreckenskunde brachte der Mutter Todesschmerz,
Sie hat sie kaum vernommen, da brach ihr Mutterherz.
Hörst du die Glocken läuten, hörst du den Grabgesang,
Siehst du drei Särge tragen, das grüne Tal entlang?
Das sind die beiden Brüder, die nun ihr Jenseits ruft,
Das ist die arme Mutter, sie alle geh’n zur Gruft.
Unweit vom blauen Hechte, zwei graue Steine steh’n,
Das sind die Brüdersteine, da ist der Mord gescheh’n.

Lied über die Brüdersteine
westlicher Stein                                            östlicher Stein
Die sogenannten „Brüdersteine“ stehen zwischen der Straße und dem Prallhang am Überflutungsgebiet der Elbe in einer Entfernung von etwa 45m in fast westöstlicher Richtung
Foto: Richard Möbius, Zahna 1938
aus: Archiv des HV WB

aus: Wittenberger Zeitung vom 01.10.1931