1956.03. Wittenberger Rundblick
Die Antoniterkapelle in Wittenberg
Es ist nur wenigen bekannt, daß wir in unserer Stadt die ehrwürdigen Reste eines kleinen Bauwerkes aus dem Mittelalter besitzen, das merkwürdige Schicksale gehabt hat:
Das kleine Kapellchen der ehemaligen Antoniusherren von Lichtenberg und Prettin neben der Werkstatt des verstorbenen Schlossermeisters Otto Träger in der alten Pfaffen-, jetzigen Jahnstraße. (seit 1990 wieder Pfaffengasse) Es ist in das Südende des hinten im Hof quergestellten Nebenhauses eingebaut. Man kann sein jetzt tief liegendes Erdgeschoß von der Werkstatt aus, an die es sich anschließt, betreten; einige kleine Fenster in ihm sind außen vergittert.
(Siehe Titelbild.)
Die Entstehung des Antonius- oder Antoniterordens hängt mit einer
furchtbaren Krankheit zusammen, die vom 9. Jahrhundert an in Europa weitverbreitet war, dem Mutterkornbrand; dem, der nach dem Genuß von Mutterkorn von dieser Krankheit ergriffen wurde, faulten Teile des Gesichts, ja ganze Glieder ab.
In Frankreich wallfahrteten solche Unglücklichen gern zur Antoniuskirche von St. Didier la Mothe oder nach St. Antoine en Viennois (Frankreich), um den heiligen Antonius um Rettung und Heilung anzuflehen: die Krankheit wurde danach Antoniusfeuer genannt. Die in Frankreich gestiftete Laienbrüderschaft der Antoniusherren, die die Kranken pflegte, trug ein schwarzes Gewand, ein Emaillekreuz in Form des lateinischen T am Halse und ein Glöckchen. – Noch ehe diese Laienbrüderschaft vom Papst zum Orden erhoben wurde (1228), hatte der Herzog von Sachsen-Wittenberg, Bernhard (1180-1212), der Sohn Albrechts des Bären, ihr bereits ein Gebiet östlich Prettin zur Niederlassung geschenkt, wo sie ein Hospital, dann das große Ordenshaus baute, das nach den Sandhügeln den Namen Lichtenberg erhielt. (übrigens ist das Ordenshaus Lichtenberg nicht mit dem wesentlich jüngeren Schloß Lichtenburg zu verwechseln!) – Außer durch Krankenpflege machten sich die Antoniusherren auch durch die Entwässerung des Prettiner Gebietes verdient; die „Tönnisherren“ dort wurden bald so reich, daß sich Luther nicht genug darüber verwundern konnte. – In dem Ordenshaus Lichtenberg hat Luther im November 1518 eine denkwürdige Unterredung mit Staupitz, am 11. Oktober 1520 eine zweite mit dem päpstlichen Kammerherrn von Militz gehabt. – Um das Jahr 1400 genau läßt es sich aus dem Aktenbestand nicht mehr feststellen – hat nun der Praeceptor der Antoniter von Lichtenberg-Prettin, Johannes von Carben, sich in der heutigen Jahnstraße an der angegebenen Stelle ein Absteigequartier mit Gasthaus, Ställen und einer kleinen Kapelle geschaffen, deren Reste eben noch vorhanden sind.
Das aber war weder den Franziskanern in der Stadt noch dem Domherrnstift an der Kirche Aller Heiligen, der heutigen Schloßkirche, angenehm; denn beide fürchteten durch die Neugründung eine Schädigung ihrer Einkünfte. Es kam zu heftigen Protesten und Streitigkeiten, endlich zu einer Einigung (Concordia) des Stiftkapitels mit den Antoniusherren unter folgenden Bestimmungen:
1. der Preaeceptor darf zwar alle Opfergaben an Wachs, Geld und Vieh für die „Gott, der Jungfrau Maria und dem heiligen Antonius“ geweihte Kapelle annehmen und verwenden, wie er will, aber
2. er darf keinen Ablaß zu erlangen suchen, außer dem vom Diözes –
anherren dem ganzen Orden gestifteten am Tage der Weihe der Kapelle 3. Messen dürfen in der Kapelle nur am St. Antoniustage (17. Januar) und dem Weihfest gelesen, aber auch keine Sakramente ausgeteilt, auch außer Ordensbrüdern niemand in ihr oder ihrem kleinen Friedhof beerdigt werden.
4. Die im Hof der Niederlassung Wohnenden oder sich Aufhaltenden sollen dem Stadtpfaner (Plebanus) zu geeigneter Zeit Gaben spenden und von ihm die Sakramente empfangen.
5. Der Praeceptor zahlt jährlich dem Stift Aller Heiligen 50 Schock guter Groschen.
Durch diese strengen Bestimmungen waren die Antoniusherren
in Wittenberg sozusagen. kaltgestellt, sie konnten ihren Konkurrenten materiell nicht mehr gefährlich werden!
Nur wenig über 100 Jahre haben der Hof und die Kapelle ihrer ursprünglichen Bestimmung gedient, die Reformation machte auch hier ein Ende: 1536 verkaufte der damalige Praeceptor der Tönniesherren in Prettin und Lichtenberg, Wolfgang Reißenbusch, das ganze Anwesen an den Freund Melanchthons und Professor der alten Sprachen und der Rhetorik an der Universität, D. Veit (Oertel von) Winsheim, dessen Erben es bis etwa 1580 besessen haben, dann ist es noch durch viele Hände gegangen, bis es – Wohnhaus mit dazugehörigem Torweg, Gang, Hofraum mit Kapelle, Scheune und Ställe – am 11. August 1735 „zu einer Fronveste“ von der damaligen Besitzerin, Frau Maria Catharina Wagner, geb. Schönberg, für 400 Taler an die kurf. Kommissare, den Geheimrat Kreishauptmann Obersteuereinnehmer Hofgerichtsassessor Commissionsrat Kreisamtmann und Amtsverwalter Christian Wilhelm von Thümen, den Dr. der Rechte Johann Benedikt Carpzov und Johann George Ständer verkauft und dem Rentamt unterstellt wurde.
Damals also wurde die kleine in norddeutscher Backsteingotik erbaute, zierliche Kapelle der Antoniusherren zur Fronveste, d.h. zu einem Gefängnis gemacht, sie hat auch die furchtbare Beschießung von 1760 einigermaßen überstanden, wenigstens sieht man auf der Kupfertafel II. der „Wittenberger Klageschrift“ von Georgi 1760 bei Nr. deutlich noch den gotischen Giebel des kleinen Baues angegeben, den die sorgfältige Tuschzeichnung des um Wittenberg hochverdienten Polycarp Samuel Wagner vom Jahre 1753
in großem Maße uns wiedergibt. (R.B.Nr. Bb. 6 fol. 305). Danach hat der abgetreppte Giebel neben sieben pfeiIerartigen Aufsätzen sechs Blendfenster gehabt. Das erste Stockwerk der Kapelle steckt noch im ersten Stock des daran und darüber gebauten Nebenhauses. In der Fronveste hat mancher arme Sünder geschmachtet. mancher auch seinen Namen in die noch vorhandene Holztür eingegraben.
Im Jahre 1910 hat Schlossermeister Träger die Hofstelle mit allen Gebauden, auch dem Rest der alten Kapelle, durch Kauf vom preußischen Fiskus übernommen. Eine bekannte Wittenberger Malerin aber hat uns eine künstlerische Innenzeichnung des Erdgeschosses des alten Bauwerkesauf getöntem Papier geschenkt, die heute noch vorhanden ist.
Prof. Heubner
Zum Schmunzeln
Auf den Spuren des heiligen Antonius
Die Crux mit dem Kreuz
Ein Freund der Antoniter geht mit offenen Augen durch die Welt, besonders wenn er Kirchen und Klöster besucht, weil er ständig schaut und sucht, ob ihm nicht irgendwo der heilige Antonius begegnet. Und eigenartigerweise findet sich immer wieder seine Spur, sei es auf einem Altar, weil er immer noch in hohen
Ehren steht, sei es auch ganz versteckt, weil man ihn fast vergessen hat oder ihn gar wegen seines Namensvetters von Padua vollkommen ignoriert. Doch man findet ihn, wenn man nur richtig, sucht. Dabei spielt die Qualität der Darstellung, ob plastisch oder ikonographisch, keine so grolle Rolle, das Finden ist das Wichtigste. Die Freude dann, wieder eine Entdeckung, gemacht zu haben, äußert sich darin, daß man sofort den Fotoapparat hervorholt und den Fund für sich selbst und seine Freunde festhält.
Nun kann es geschehen, daß man einen prächtigen Antoniusaltar entdeckt, etwa in der ehemaligen Benediktinerabtei Brauweiler bei Köln, wo unser Heiliger groß und plastisch thront. Man steht zunächst erfreut davor, betrachtet ihn, aber man hat ein etwas ungutes Gefühl, irgend etwas stimmt hier nicht. Die Augen wandern hin und her, betrachten diese und jene Nebenfigur und bleiben schließlich immer wieder am gleichen Punkt haften: dem Stab mit dem Kreuz, den Sankt Antonius in der rechten Hand hält. Das Kreuz, man glaubt nicht richtig zu sehen, ist verdreht, steht auf dem Kopf, es ist weder ein Antoniuskreuz, noch ein lateinisches oder griechisches, es ist einfach ein »Unkreuz«, und häßlich obendrein.
Man schreibt also einen Brief an den Pfarrgemeinderat, in dem man auf den Mißstand hinweist unter Beilegung von Beweismitteln, wie das Antoniuskreuz richtig, zurechtgerückt gehört. Sehr bald kommt eine interessierte und nicht uninteressante Antwort:
Der Altar von 1559, 1739 renoviert, wurde um 1870 an dem jetzigen Platz in der Südvierung, aufgestellt. Es existiert sogar ein Foto von 1880 (!), auf dem das Kreuz schon verkehrt angebracht ist und das sogar Aufnahme in „Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz“ gefunden hat. So liegt die Vermutung nahe, daß bei der Umsetzung des Altars dieser Lapsus passierte also um l870, vor mehr als 190 Jahren. Heute, nach so langer Zeit, ziert sich die Gemeinde nun, hieran etwas zu ändern. Man will überlegen, durchaus verständlich.
Dennoch sei die Frage erlaubt: Schärfen 100 Jahre Irrtum eine Tradition, die unabänderlich ist?
Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz N, 1: Die Kunstdenkmäler des Landkreises Kölln Düsseldorf 18′)7′ Tafel II I.