Schon die alten Wittenberger der Stadtgründung hatten einen Platz, wo jeder frei seine Meinung sagen konnte.
Für unsere Stadt war dies die „Städtische Weinschenke“ am Markt.
Als 1520 das Rathaus erbaut wurde, finden wir die am Bau beschäftigten Handwerker an einen besondern Tisch zu
Beratungen zusammen.
Selbst Luther, Melanchthon und andere Geistesgrößen stellen sich hier ein. Dadurch entsteht der Stammtisch.
Mit der Entfestigung Wittenbergs 1873 wurde das ganze Gelände außerhalb der Mauerstraße erschlossen. In der Folge wurde nicht nur das ganze Lindenfeld mit seinen vielen Straßen bebaut, sondern auch öffentliche Gebäude wie Kavalierkaserne, Post, Gymnasium usw. errichtet.
Deshalb verlegte der Stammtisch seine Zusammenkünfte vom „Schwarzen Adler“ am Markt zu Balzers in der neuen Lutherstraße 3. Hier besprachen unsere Väter ca. 70 Jahre mit den ehrenamtlichen Stadtverordneten das Wohl und Wehe der Stadt
am Stammtisch. Jeder der mit offnen Augen und Ohren durch die Stadt ging, sagte hier seine Meinung.
Kein Wunder, wenn man sich heute die reiche Hinterlassenschaft betrachtet, die durch Lust am Wagnis und Kritik, Fleiß, Ehrlichkeit und gediegene Arbeit geschaffen wurde.
1949 wurden die Häuser der Lutherstraße 1 – 6 und damit „Balzers – Festsäle“ von der Besatzungsmacht beschlagnahmt.
Hierdurch ging der Stammtisch von Balzers in den heutigen „Goldenen Adler“ (Markt) zurück.
Beim Einzug empfahl man jedem:
Sup dik duhn un sup dik dick
un hohlt din Muhl von Bolletik.
Es tauchte die Frage auf, wie sich die Stammgäste unter Ausschaltung jeglicher Politik unterhalten können ohne
spießbürgerlich zu erscheinen. Den Ausweg brachten die
Vorträge von Stammtischbruder Otto Bendler über Wittenbergs Vergangenheit.
Willi Elfe lieferte hierzu die alten Fotos.
Die Kritik übernahmen die Herrn Matthies, Hoff und Quilitzsch, weil sie zusammen erst 252 Jahre alt sind.
Diese Vorträge wurden niedergeschrieben, um der kommenden Generation ein ungeschminktes Bild vom Leben und Treiben Wittenbergs um die Jahrhundertwende zu geben.
So klingt aus diesen Aufzeichnungen von lustigen und herben Bildern das Lachen von denjenigen, die es miterlebten und gibt ihnen für Minuten Befreiung aus der Not der Zeit.
Drum lest und lacht, denn Gott sei Dank
es lacht so leicht sich keiner krank.
Doch freuen sollt es mich wenn durch lesen
und lachen mancher tät genesen.
Otto Bendler