Vor vierhundert Jahren regierte in Sachsen der Kurfürst Friedrich der Weise, Luthers Freund und Beschützer. Es war ein gar frommer und leutseliger Herr und litt es nicht, daß einem seiner Untertanen ein Unrecht geschah.
Einstmals ritt er mit seinem Gefolge aus seinem Schlosse in Wittenberg über Land. Dabei kamen sie an einen Ort, wo der Weg einen Bogen machte. Ein Junker dachte:
Der gerade Weg ist der Beste. Das war aber in diesem Falle nicht wahr, denn er ritt mitten durch ein Kornfeld hindurch, sodaß viele Halme und goldene Aehren zertreten wurden. Friedrich sah den Uebermut des jungen Mannes und verwies ihm sein Tun mit strenger Miene. Doch damit war die Sache noch nicht abgetan, wenn es auch vielleicht der Junker dachte.
Am Abend war beim Kurfürsten große Tafel, und auch der Junker war dazu geladen. Jeder Gast erhielt auf seinen Teller wie gewöhnlich ein Stück Brot, der Junker aber nicht. Aller Augen richteten sich auf ihn, so daß er sehr bald verlegen um sich blickte und sonst wo zu sein wünschte, nur nicht an der kurfürstlichen Tafel. Endlich erhob sich der Kurfürst und sprach:
„Seht Ihr nun, was für eine herrliche Sache es um das liebe Brot ist? Ein andermal reitet das Getreide nicht wieder, sonst seid Ihr nicht wert, daß Ihr das liebe Brot eßt.“
Richard Erfurth †
aus: O du Heimatflur vom 04.07.1924