1966.01.20. Wittenberger Rundblick
Gerade als ich die Werkstatt der Schleiferei betrat, brachte ein Kraftfahrer vom VEB Gummi-Werke „Elbe“ einen neuen Auftrag und nahm fertige Sachen mit. Das war so recht typisch für den Betrieb des Instrumentenschleifers Georg Benkewitz in der Schloßstraße.
Der Außenstehende glaubt nämlich, daß hier von früh bis abends nur Scheren und Messer geschliffen werden.
Herr Benkewitz erzählte mir in seiner lebhaften, netten Art, daß 80 Prozent seiner Aufträge aus der Wittenberger Industrie kommen, natürlich werden auch die kleineren Arbeiten mit erledigt.
Als Meister des Instrumentenschleifer-Handwerks hat er eine dreijährige Lehrzeit absolviert und anschließend noch als Eleve gearbeitet. Nach der Lehrzeit-verriet mir der Genannte – lernt man erst noch so manche Kniffe hinzu.
Wer von den Wittenbergern noch die alte rauchgeschwärzte Gaststube von der „Fleischer-Börse“, Besitzer Josef Wehnl,
seines Zeichens Gastwirt und Fleischer, kannte, der ist überrascht, daß hier anstelle der braun gewordenen Oeldrucke und der schönen, alten Zinnsachen aut dem Pannel der holzgetätelten Wand Motoren mit Treibriemen, kleineren Maschinen und eine Vielzahl von surrenden Schleifsteinen zu finden sind.
Die „altdeutsch“ verglasten Fenster sind durch helle, große ersetzt. In diesem Raum wird von der Metallfeder, von den kleinen bis zu den größten Sägeblättern, vom Operationsmesser bis zum Rasiermesser und zu den Scheren alles geschliffen. Hier steht eine abholbereite Kettensäge, dort wartet ein fertiger Fleischwolf, der eine äußerst konzentrierte Arbeit verlangt.
Man muß hier gleich erwähnen, daß trotz des Einsatzes der modernen Technik doch alles feinstes Fingerspitzengefühl verlangt und hervorragendes handwerkliches Können.
Es ist wirklich nicht so einfach, ehe alles seinen letzten „Schliff“ besitzt.
Eine besondere Bedeutung hat die Mitarbeit des Meisters an der Werterhaltung unserer Gebrauchsgegenstände.
Wie viele Schneidewerkzeuge müßten wir wegwerfen oder ungenutzt im Kasten verwahren, wenn sie nicht wieder geschliffen und ihrem eigentlichen Zweck zugeführt würden.
Ich erfahre, daß das Rasiermesser mit den höchsten Schärfegrad haben muß, es ist überhaupt sehr schwer zu schleifen, „da es leicht ausbricht“. Das Operationsmasser des Chirurgen muß zwar auch scharf sein, doch hat es noch mehrere andere Eigenschaften,
so muß es beispielsweise im Gegensatz zum Rasiermesser biegsam sein. Ich erfuhr nebenber, das ein Berufskollege in der Schweiz jahrelang mit einem berühmten Chirurgen zusammenarbeitete, um das bestmögliche Messer zu entwickeln.
Beider Bemühen war von Erfolg gekrönt, der Instrumentenschleifer erhielt den Dr. h. c. der medizinischen Fakultät dafür.
Auch in der DDR gibt es hervorragende Vertreter dieses Handwerkszweiges.
So stellt ein Meister wertvolle Prunkwaffen her und arbeitet manchmal ein Jahr lang an einem einzigen Dolch.
Mitten im Gespräch geht die Arbeit weiter, denn die Kundschaft wartet, und Herr Benkewitz arbeitet allein.
Flink und geschickt löst er an einer normalen Gebrauchsschere
die Festhalteschraube, dabei erläutert er mir die acht verschiedenen Arbeitsgänge.
Wenn der Kunde sie abholt, ahnt er nicht, das folgendes nötig war: das Vorschleifen, das Anschleifen der Krone (Schärfen),
das Vorschleifen (außen), das Vorpolieren, das Nachpolieren,
das Polieren der Innenseite, die Montage, die Schnittprobe.
In erster Linis arbeitet Meister Benkewitz für Wittenberg und die nähere Umgebung, damit hat er vollauf zu tun.
Ab und zu kommen auch Aufträge aus dem Harz (Nordhausen)
nach hier. Im Bezirk gibt nur wenige Meister seines Faches.
Eine Stadt muß schon rund 50 000 Einwohner haben und Industrie besitzen, sonst lohnt sich diese Arbeit nicht.
Der Vater und die Bruder des Meisters haben alle etwas mit der Metallbearbeitung zu tun.
Alle Lehrabschlußprüfungen dieses seltenen Berufes finden in Halle statt, dort ist auch der Bezirks- Obermeister.
Die Tochter des Meisters Benkewitz steht mitten in der Berufsausbildung und erlernt Vaters Handwerk.
Viel Erfolg bei der Abschlußprüfung!
Heinrich Kühne