Der germanischen Bäuerin Geflügelhof

1935.01.02. Wittenberger Zeitung

Es ist kein allzu kühner Schluß, wenn wir die früheste Zucht des ältesten Hofgeflügels bereits in der Steinzeit vermuten.
Dies älteste Geflügel der Germanen ist aber die Gans, wie heute unbestritten feststeht. Die Gans des germanischen Geflügelhofes ist aus der Graugans herausgezüchtet. Später als die Gans, wahrscheinlich in der Bronzezeit, kam das Huhn zu uns. Das Huhn werden wir über das Hochland von Iran aus Indien, wo man es aus Wildhühnern veredelte, erhalten haben. Die Entenzucht hat auch schon in frühgeschichtlicher Zeit den Geflügelhof der germanischen Bäuerin bereichert. Und ein Beweis für die Tierliebe unserer Altvorderen ist es, daß dieser Vogel
– wie später Pfauen und Fasanen – ursprünglich als Ziergeflügel gehalten wurde.
Dasselbe gilt von der Taube. Ihre Bevorzugung in der Ornamentik und Symbolik beweist uns, daß außer der Freude an der Schönheit des Tieres auch mythische Dinge nicht ohne Einfluß gewesen sind. Die Taube war Sinnbild der Liebe und deshalb der Göttin Freya, der Eheschützerin, geweiht. Heute kehrt dieser Gast des germanischen Geflügelhofes als „Seelenvogel“ im deutschen Märchen wieder, als Vogel, in dem eines Verstorbenen Seele verborgen ist. Die Verquickung der geflügelten Haustiere mit Märe und Brauch dient dazu, die vielseitige Beziehung dieser Tiere zum Menschen darzutun.
Was die Ente anbetrifft, können wir uns darauf beschränken, das mittelalterliche Sprichwort „von blauen Enten predigen“ als kurzweg „lügen“ zu deuten. In diesem Zusammenhange sei auch die Bezeichnung „Zeitungsente“ erwähnt. Nicht uninteressant ist eine Erklärung Grimms, der sagt, die Zeitungsente sei eben eine Fabel, die von Zeit zu Zeit immer wieder „auftauche“, eben wie die Ente hin und herschwimmt und nach mannigfachem „Unterwasser gehen“ stets wieder an die Oberfläche komme und weiter schwimme.
Mannigfaltiger ist die Beziehung des Huhnes zum deutschen Brauchtum. Huhn, Küken und Henne sind oft berufene Zeugen, mag man nun das Wetter prophezeien wollen, von der Tageszeit oder sonstwas sprechen. Kräht ein Huhn, so ist das kein gutes Zeichen. Kräht ein rotes Huhn, so gibt es Feuer. Man denke auch an den „roten Hahn auf dem Dach“. Kräht ein schwarzes Huhn, so kommt ein Dieb in schwarzer Nacht. In der Edda ist der dem Wodan – Odin geweihte Hahn Verkünder des letzten Weltkampfes. Als Tagverkünder ist er Lichtbringer und steht somit in engster Beziehung zum Sonnengott Baldur; ja er selbst, der Hahn, wird in mehreren arischen Religionen Sinnbild des Lichtes. Deshalb hat er sogar in der christlichen Zeit die Stelle als Zierrat auf der Kirchturmspitze erhalten.

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