Das Leben ist ein Schaukelpferd, denn es geht auf und ab.
Mal ist die Wirtschaft in Blüte, mal ist es faul.
In Wittenberg hatte es bis jetzt bei gutem Verdienst recht gemütlich zugegangen. Nun aber verdrängte die vorwärtsstrebende Industrie das Handwerk und den Handel.
Alle Waren wurden in solchen Massen angeboten, daß die Käufer sie nicht aufnehmen konnten.
Die Preise sanken, es wurde nichts mehr am Verkauf, sondern höchstens am Einkauf verdient.
Wer sich von den Wittenberger Geschäftsleuten durchsetzen wollte, durfte nicht mehr auf Kundschaft warten, er mußte sie aufsuchen, wo er sie fand.
Da Fahrräder noch nicht zuverlässig, Autos noch nicht geboren waren, wurde ein schnelles Reisepferd beschafft.
Hiermit besuchte der Reisende die Kundschaft des Kreises Wittenberg und seiner Nachbarkreise.
In dieser Eigenschaft komme ich auf der Anhalter Tour in eine Coswiger Gastwirtschaft, wo in einem Nebenraum eine Auktion
stattfindet.
Nur um mich bemerkbar zu machen, rufe ich durchs Fenster:
„Noch zwei Groschen!“
und bin erstaunt, als man mir auf meinem Kutschersitz ein altes, gebrechliches Schaukelpferd festbindet und dafür 12 Groschen verlangt.
Es ist drei Wochen vor Weihnachten und die Coswiger Jugend ruft: „Hurra! Dem Weihnachtsmann sein Schaukelpferd!“
In Roßlau kann ich es schon dreimal mit hundert Prozent Aufschlag verkaufen.
Auf der Dessauer Kavalierstraße freuen sich die Erwachsenen.
Ich nahm an, über meinen edlen Trakehner im blitzblanken Geschirr. Bis einer ruft:
„Das ist brav von dir, daß du dein altes Pferd spazierenfährst!“
In Köthen lacht die Kundschaft, und lachende Kundschaft gibt Aufträge. Deshalb kann ich hochbefriedigt über meinen Beifahrer auf dem Heimweg bei Gastwirt Döbert in Apollensdorf halten.
Döberts sind alte Kunden, aber sehr genau.
Zwei Söhne, Otto und Reinhard, ca. 2-4 Jahre alt, sind für die kommende Generation vorgesehen.
Hier erhielt das Schaukelpferd sein Schicksal.
Döbert läßt mich nicht weiterfahren, ehe sein Wunsch erfüllt wird.
Danach erhalte ich 12 Groschen, nehme das Pferd mit nach Wittenberg., lasse es auffrischen, bringe es zu Weihnachten nach Apollensdorf und erhalte die Reparaturkosten, wenn es Anklang findet.
Maler Döhring, Mittelstr.7 stellt mir nach 14 Tagen ein nicht wiederzuerkennendes Pferd vor.
Es ist ein edler Apfelschimmel mit blanken Hufen und frisch aufgenähten Karnickelohren, Schwanz und Mähne aus echtem deutschen Seegras, können auch geflochten werden.
Mit frisch lackiertem Sattel und Zaumzeug wird es am 23. Dezember in Apollensdorf abgeliefert.
Daß es Anklang gefunden hat, ersehe ich daraus, daß ich den verauslangten Taler für Döhring auf nächste Rechnung ansetzen kann.
Für die Jungen ist es eine Riesenfreude, bis nach Neujahr reiten sie in der Gaststube auf ihrem Schimmel.
Dann aber nicht wieder!
Erst ein Jahr später liegt es eines Abends zugedeckt auf meinem Wagen und Döbert sagt:
„Laß ihn wieder auffrischen, aber nicht als Schimmel, der schmutzt so.“
Ich verstehe und am 23. Dezember liefere ich wie im Vorjahr bei Döbert einen schrecklich schönen Fuchs mit weißer Blesse, 4 weißen Strümpfen und echter fuchsroter Roßhaarmähne ab. Wieder muß die Freude groß gewesen sein, denn ein Jahr später steht der Fuchs eines Dezembermorgens bei uns im Pferdestall.
Ob es selbst zu uns lief, oder ob ihn der Coswiger Botemann einstellte, konnte nicht ermittelt werden.
Döhring lachte, als er ihn sah, und machte aus dem Fuchs einen preisgekrönten Rappen. Das Fell war samtschwarz, ohne
jedes Abzeichen.
Anfänglich wirkte das Pferd traurig, später sehr apart.
Die Augen waren aus Kristall-Blinkern einer Hängelampe neu eingesetzt. Als wenn es lacht, zeigt es sogar die Zähne um zu beweisen, daß es wieder jung ist.
Wir rechneten aus, daß Döbert für beide Jungen in drei Jahren pro Kopf 17 Groschen an Weihnachtsgeschenk verausgabt hatte.
Wir erkannten in ihm den sparsamsten Familienvater des Kreises Wittenberg.
Von da ab kam das Schaukelpferd nicht wieder.
Die Jungen wurden groß.
Otto lernte Kellner, soll nun die väterliche Gastwirtschaft übernehmen.
Reinhard als tüchtiger Landwirt die Landwirtschaft, folglich ist alles klar.
Nur den alten Hausgiebel sollte der Vater noch erneuern.
Die Jahre waren schnell vergangen.
Aus den Kindern waren große heiratsfähige Menschen, aus dem alten reelen Wittenberg eine große Industriestadt geworden.
Die Fabriken hatten sich bis nach Apollensdorf vorgeschoben.
Doch die Einwohner standen im Gegensatz zu den Leuten von damals, als es noch einen Weihnachtsmann gab.
Nur der alte Hausgiebel stand noch!
Da der Vater kein Geld mehr ausgeben wollte, machten sich beide Jungens gemeinsam an den Abriß.
Plötzlich stürzte der Giebel ein und schlug sie beide tot.
Die Anteilnahme war allgemein.
Man zog den nunmehrigen Männern ihre besten Anzüge an, bahrte sie auf im kleinen Saal usw.
Durch ein Geräusch erwachten die Eltern in der Nacht.
– „Die Jungens sind wieder auf!“
Man findet sie entkleidet im Saal liegen.
Wir wollen nicht beurteilen, ob die Leute Recht haben, die sich sagten:
„So, wie das unse Faberike, so is das unse Saal und unse Anzüge!“
Kurz darauf bin ich in Apollensdorf, und als ich den offenen Giebel betrachte, sehe ich hoch oben auf dem Hahnebalken des obersten Bodens, vom Vater seit 20 Jahren versteckt, steht der lachende Rappe.
Dem Weihnachtsmann sein Schaukelpferd