Das Wunderblut von Wartenburg

1938. Glaube und Heimat 

Das Wunderbluf von Wartenburg

Es hat zu allen Zeiten Menschen gegeben, die an Wunder glaubten und auch solche, die andere an übernatürliche Wunder glauben machten, sei es aus Berechnung oder aus anderen Beweggründen. Das gilt auch in bezug auf das „Wunderblut von Wartenburg„. “

Zu Anfang des Jahres 1429 wurde dem Erzbischof von Magdeburg angezeigt, daß im Dorfe Wartenburg bei Wittenberg das hochheilige Sakrament, während es einem Bauern gereicht worden sei, auf wunderbare Weise „transformiert“ (umgebildet) worden wäre, so daß „jene Hostie von Blut getriefet habe„.

Daraufhin sandte der Erzbischof zwei Bevollmächtigte, Dr. Heinrich Toke und den Magister Heinrich Zolter, zur Untersuchung des wunderbaren Vorfalls nach Wartenburg. Diese trafen am Montag nach dem Sonntag Jubilate dort ein, wo sie eine Anzahl Geistliche und viele andere Leute vorfanden.

Nach abgehaltener Messe besahen sich die Abgesandten des Erzbischofs die betreffende Hostie sehr genau und lasen den vom Pfarrer Tonemann darüber niedergeschriebenen Bericht sorgfältig durch. In beiden stieg dabei der Verdacht auf, daß die Hostie absichtlich mit Blut befleckt worden sei, um ein Wunder vorzutäuschen. Sie forderten den Pfarrer Tonemann auf, ihnen die Hostie zu übergeben, die sie mit nach Magdeburg nehmen und bei der Kommunion dort verteilen wollten, um so das Ärgernis aus Wartenburg zu entfernen. Tonemann aber weigerte sich, ohne Erlaubnis des Kurfürsten die Hostie herauszugeben, und Tole mußte erst nach Zwickau reisen, wo sich der Kurfürst derzeit aufhielt, um dessen Erlaubnis einzuholen, die ihm auf seine Vorstellungen hin denn auch gegeben wurde, worauf der Wartenburger Pfarrer ihm in Jessen die strittige Hostie übergab.

Auf der Rückreise nach Magdeburg besuchten die erzbischöflichen Gesandten Wittenberg, Jüterbog und Zerbst, wo ihnen weitere Beweise gegeben wurden, daß mit der Hostie ein Betrug in Szene gesetzt worden sei. Immerhin verging der ganze Sommer, ehe man Licht in die Sache bringen konnte.

Der Wartenburger Pfarrer wurde nach Magdeburg geladen, um sich wegen eines anderen Vergehens vor dem erzbischöflichen Gerichte zu verantworten. Dabei wurde er auch wegen der Hostie einem strengen Verhör unterzogen. In die Enge getrieben gestand er endlich, daß er sich in den Finger geschnitten und dabei die Hostie befleckt habe. Damit war denn der Betrug klar erwiesen, und Tonemann wurde festgenommen, zumal er kein freies Geleit besaß.

Gelobt sei Gott“, sagt Dr. Toke in seinem Bericht, „der gleich zu Anfang die Wahrheit an den Tag brachte, und gesegnet sei der Herr Erzbischof, der solchen Irrtum nicht einreißen ließ.
Denn schon kamen Leute mit Körben, um zu Ehren des heiligen Blutes zu betteln, ihres eigenen Gewinnes willen. Schon sah man die Orte zu Herbergen aus, schon hofften die umliegenden Städte durch den Zuzug der Pilger bereichert zu werden. Die Wallfahrten würden an diesem Orte (Wartenburg) großartig geworden sein, weil bei der heiligen Kommunion am Osterfeste, als schon viele das heilige Sakrament empfangen hatten, die anderen die plötzlich blutende Hostie sahen und es mir leidlich bekräftigt haben. Wenn man überall, wo angeblich heiliges Blut aufbewahrt wird, so schnell eingeschritten wäre, so wäre die Welt nicht so voll von dergleichen Unfug. In Wilsnack ist der Ursprung und der Grund derselbe.“

Der Wartenburger Pfarrer wurde zunächst in den Turm von Egeln, dann in Calbe an der Saale eingekerkert, bis die Bürger von Magdeburg in einer Fehde mit ihrem Erzbischof den Turm zerstörten und den gefangenen Tonemann befreiten.

Dieser war durch die lange Gefangenschaft so schwach und elend geworden, daß er sich kaum noch aufrecht halten konnte. Er begab sich nach Basel, wo damals das Konzil abgehalten wurde, bei dem auch Dr. Tote anwesend war, zu dem Tonemann Vertrauen gefaßt hatte. Nachdem er ihm abermals seine Schuld eingestanden hatte, wurde ihm verziehen, und er erhielt abermals eine Pfarrstelle in der Nähe von Straßburg.

Richard Erfurth †