;;…Wittenberg brennt…“
Die Bevölkerung von Schmilkendorf, Braunsdorf,
Nudersdorf und Dobien flüchten.
Die Einwohner von Schmilkendorf waren überrascht, als sie sahen, dass die Einheit der I. D. Hutten das Dorf wieder verließ. Die Granatwerfer waren in den Morgenstunden schnell abgebaut. Die Truppe packte zusammen und verließ das Dorf in westlicher Richtung.
Erich Venediger hat gemeinsam mit anderen Dorfbewohnern aus Schmilkendorf die Wochen der Flucht erlebt:
Als sich die Offiziersanwärter der Division Hutten am 24. April
aus Schmilkendorf absetzen, begann auch die überstürzte Flucht
der Schmilkendorfer Einwohner in Richtung Westen.
Ein Teil, dazu gehörte auch unsere Familie, zog über Apollensdorf weiter nach Ragösen. Der andere Teil flüchtete, teilweise mit Fahrrädern über die Elbfähre bei Coswig nach Wörlitz.
Alle hatten die Hoffung, dass der von ihnen gefürchtete Russe
nicht bis in ihr Heimatdorf vordringen würde.
In Schmilkendorf blieben einige wenige Einwohner zurück.
Es waren Ernst Lubitzsch und Frau, Hermann Müller und Frau, Frieda Witschel und Ilse Räbiger. Frieda Witschel wohnte bei der Familie Ernst Lubitzsch und Ilse Räbiger bei der Familie Hermann Müller.
Alle anderen Einwohner, darunter befanden sich auch die vielen in Schmilkendorf evakuierten Frauen und Kinder aus dem Rheinland, hatten den Ort verlassen.
Die sechs zurückgebliebenen Einwohner bewachten nun das Dorf, sahen auf den Höfen nach den Rechten und versorgten, soweit sie konnten, das zurückgebliebene Vieh. Viele waren noch Kinder, als ihre Eltern oder die Mutter zur schnellen Flucht durch den Krieg gezwungen wurden.
Roland Räbiger war erst sieben Jahre alt, als Geschütze- und Granatwerferbeschuss in den umliegenden Dörfern deutlich machte, dass sich das Kriegsgeschehen auch sein Heimatdorf Braunsdorf näherte.
Obwohl alles längst für die Flucht vorbereitet war, blieb es für seine Eltern und Großeltern doch eine schwere Entscheidung, Haus und Hof zu verlassen. Aber nicht nur ihre Familie, auch die anderen Braunsdorfer sahen in einer schnellen Flucht den einzigen Ausweg. Mit einem Kuh Gespann, auf dem die wichtigsten Habseligkeiten geladen waren, begann die Fahrt ins Ungewisse. Der Weg führte über den Gallunberg, vorbei am WASG-Werk, und dann den Heuweg entlang nach Apollensdorf. Roland Räbiger erinnert sich noch, dass neben dem Weg viele Bombenkrater und auch Blindgänger gesehen hat. Vermutlich rührten sie vom Bombenangriff am 20.04. her, als der Bahnhof in Piesteritz durch amerikanische Flugzeuge angegriffen wurde. Die Straße nach Griebo war von Flüchtlingen überfüllt. Mit Pferdegespannen, Handwagen, Fahrrädern und auch zu Fuß, die wenige Hab auf dem Rücken, strömten Tausende in Richtung Coswig. Es war eine Völkerwanderung. Zu den heimischen Flüchtenden kamen viele Familien aus Schlesien und anderen östlichen Provinzen, die schon seit Monaten fast nur auf der Straße waren. Im Wald zwischen Griebo und Coswig erfolgte plötzlich Artilleriebeschuß. Sie mußten im Wald schutz suchen. Eine Kuh ihres Gespanns wurde dabei etwas verletzt. Da Entschied sich die Großmutter, mit dem Kuhgespann zurückzufahren. Als ältere Frau glaubte sie sich weniger gefährdet. Sie ist auch gut in Braunsdorf wieder angekommen. Die Eltern von Roland Räbiger fuhren mit ihm und seinem Bruder mit dem Fahrrad weiter. In Coswig gingen mit der Fähre über die Elbe und haben dann auch noch die wenigen Kilometer bis nach Wörlitz geschafft. Nach Wörlitz kamen schon bald die amerikanischen Truppen.
Auch Karl – Heinz Löwe flüchtete an diesen Tage mit seiner Mutter. Ihr Weg führte über Braunsdorf und den Gallun weiter nach Möllensdorf. Ihr Ziel war Coswig, denn dort hatte ihre Oma die Gaststätte “ Grüne Tanne” in Besitz. Er erinnert sich noch, dass sie in ihrem Wohnhaus am Mochauer Weg nichts verschlossen hatten und die Türen offenließen. Mit Fahrrädern und einem Handwagen machten sie sich auf die Flucht. Nach Coswig nahmen sie auch sieben Hühner mit.
Die sowjetischen Truppen besetzen Dobien und Reinsdorf
Reinsdorf und Dobien wurden ohne größere Kampfhandlungen besetzt. Die zurückgebliebene deutsche Bevölkerung hockte meist in den Kellern und harrte in banger Ungewißheit der drohenden Besetzung durch die Sowjetarmee, während sowjetische Soldaten die Häuser nach deutschen Soldaten absuchten und ihre Besatzerrechte nutzten.
Siegfried Rölke hat die Einnahme von Reinsdorf durch die Sowjettruppen als Vierzehnjähriger
erlebt und kann sich noch gut an die Stunden erinnern, die der Besetzung des Ortes vorausgingen. Er schildert, dass in Reinsdorf an der Belziger Chaussee auf der Höhe der oberen Ziegelei ( Schach u. Beier ) eine Panzersperre errichtet war, die vom Volksturm verteidigt werden sollte. Eine weitere Panzersperre befand sich in der Lindenstraße, die zum WASAG-Werk hinführte. Die Angehörigen des Volkssturm kamen im Verlauf des 25./26.04. immer mehr zu der Einsicht, dass ein weitere Kampf sinnlos ist und nur zu Opfern führt. Diese Auffassungen wurden vor allem von Otto Trepte, Kurt Persche und Otto Rölke vertreten.
Sie übernahmen es, die Waffen des Reinsdorfer Volkssturm in den Morgenstunden des 26.04. zu vergraben.
Die Reinsdorfer Volkssturmeinheit löste sich auf.
In den Nachmittagsstunden traf gegen 16.00 Uhr in der Gegend Mühlenfeld-Tuchwalkstraße ein Panzerjagdkommando der HJ ein. Die sechszehenjährigen Jungen waren nicht aus Reinsdorf, sondern von außerhalb herangeführt worden. Geführt wurden sie von einem etwa Zwanzigjährigen, der jedoch wieder wegfuhr. Die drei Hitlerjungen waren nur mit Panzerfäusten ausgerüstet. Weitere Waffen hatten sie nicht. Sie hatten den Auftrag, aus dem Hinterhalt auf die sowjetischen Soldaten ihre Panzerfäuste abzuschießen. Die an der Straße wohnenden Einwohner waren darüber sehr ungehalten und fürchteten Vergeltungsmaßnahmen.
Die Jungen kamen in Zwiespalt. Einerseits der Befehl ihres HJ-Führers, andererseits hatten sie auch Angst. Sie sind im Wald Richtung Piesteritz verschwunden.
Siegfried Rölke kann sich noch gut daran erinnern und schilderte, wie im Mühlfeld vereinzelt Geschosse einschlugen. Sowjetische Soldaten gingen entlang der nach Straach führenden Bahnlinie langsam vor. Sie kamen aus Richtung Dobien. Ihre Familie hatte inzwischen Schutz im Keller gesucht. Gegen 18.00 Uhr kam der erste russiche Soldat in das Haus. Er suchte nach deutsche Soldaten. Inzwischen wurden in verschiedenen Häuser dieses Wohngebiets weiße Fahnen oder Tücher angebracht. Sie waren froh, dass es zu keinem Widerstand kam. Auch in den folgenden Wochen hatten sie durch die Truppen der Sowjetarmee keine Probleme.
Seine Eltern hatten in den Kriegsjahren gute Kontakte zu den Franzosen im Barackenlager, das im Stadtwald errichtet worden war.
Seine Mutter arbeitete dort als Köchin.
Von den französischen Arbeitern erhielten sie Hilfe. Sie bewachten die ersten Tage nach dem Zusammenbruch ihr Haus.
Siegfried Rölke erinnerte sich auch an die internationale Zusammenarbeit, die unter den Dach der katholischen Kirche organisiert wurde. Die französischen Zwangsarbeiter, die WASAG-Werk arbeiten, waren in Mehrheit Katholiken und echte Patrioten. Sie wollten ein baldiges Kriegsende. Für sie wurden durch die Familie Rölke Rundfunknachrichten von sogenannten Feindsendern übermittelt. Das war damals mehr als gefährlich. An dem Gottesdienst in der katholischen Kirche in Piesteritz nahmen auch polnische Zwangsarbeiter teil. Diese durften im Unterschied zu den Franzosen nur stehend dem Gottesdienst beiwohnen. Aber trotzdem war es möglich, gerade dort immer wieder Nachrichten auszutauschen und Verbindungen herzustellen.
Zurück nach Dobien
Auch Karl-Heinz Löwe und seine Mutter wollten möglichst schnell zurück nach Dobien. Nachdem Coswig durch die Rote Armee besetzt worden war, gab es keinen Grund mehr, sich weiter dort aufzuhalten. Für ihren Rückweg war ihnen die Straße über Möllensdorf zu unsicher.
Bis dahin war links und rechts der Straße Wald, und auch auf den folgenden Waldwegen konnten mit Überfällen gerechnet werden. Sie wählten deshalb für die Rückfahrt die Hauptverkehrsstraße über Griebo und Apollensdorf. So geschah es auch. Karl-Heinz Löwe erzählte, wie sie sich dann auf der Heimfahrt einfach in den eine marschierende Militärkolonne eingereiht haben und mit ihren Handwagen den russischen Soldaten hinterherzogen. In Griebo machten die Soldaten eine Marschpause. Karl-Heinz machte sich sogleich nützlich und half ihnen, dass sie Wasser zum Trinken bekamen. So hatten sie Kontakt und konnten ihnen bis Wittenberg folgen. Das letzte Stück bis nach Dobien schafften sie dann. Die sieben Hühner kamen auch wieder gut in Dobien an. Andere Frauen, die mit ihren Kindern aus Coswig zurückkehrten, mußten dagegen in Apollensdorf böse Erfahrung machen. Dort staute sich eine der langen Kolonnen der Sowjettruppen. Bei diesem Stau holten sich einige Soldaten eine dreiundzwanzigjährige junge Frau aus der Gruppe der Heimkehrenden. Über Zwanzig Soldaten vergewaltigten sie in einem der Häuser des Wasag-Ledigenheimes.
aus: “Wittenberg brennt “
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Fortsetzung:
ZwischenHoffnung undVerzweiflung
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