Das Gummi-Werk

1925.04.05. Wittenberger Zeitung

Dobien - in Dobiener Zeitungsschnipsel/Nachbargemeinden/Piesteritz/Gummiwerk
Piesteritz/Gummiwerk
aus: 1998.02.21. Mitteldeutsche Zeitung

In diesem Jahre sehen die Gummi-Werke „Elbe“ auf eine 25 jährige Tätigkeit zurück. Das Unternehmen wird seines Gründungstages und der vergangenen Periode noch durch eine ausführlicher gehaltene Festschrift gedenken; inzwischen sei hier das Wesentlichste zur Kenntnis gebracht:
Ursprünglich wurde an der Stelle, wo sich jetzt die umfangreichen Bauten der Gummi-Werke Elbe „Aktien-Gesellschaft erheben, die Chemische Fabrik E. Gulden & Co. errichtet. Diese Firma hatte sich im Jahre 1894 die Herstellung von Salpetersäure und Schwefelsäure zur Aufgabe gemacht. Im Laufe der Zeit erwies sich aber das geplante neue Verfahren als zu kostspielig, und es wurden daher die Geschäftsanteile an eine von der Leipziger Bank beeinflußte Finanzgruppe veräußert. Im Auftrage der Leipziger Bank sollte alsdann nach einem englischen Patent aus Leinöl und Rohjute sogenanntes Orylin als Gummi-Ersatz in größtem Umfange angefertigt werden.
Vom 15. Februar 1898 ab arbeitete die neue Fabrik zunächst unter der Bezeichnung: Drylin-Werke Aktien-Gesellschaft. Das Erzeugnis Orylin hätte unter Umständen als billiges Linoleum sehr große Bedeutung gewinnen können, wenn die Herstellung weiter durchgeführt worden wäre. Die aus Orylin bestehenden Matten sind in den Geschäftsräumen der Gummi-Werke mehr als 15 Jahre strapaziert worden und waren schließlich noch sehr gut erhalten. Die damaligen Leiter wandten sich aber immer mehr eigentlichen Gummiwaren zu, sodaß auch die Firma in Gummi-Werke ,,Elbe“ Aktien-Gesellschaft umgeändert wurde. Inzwischen mußte die Leipziger Bank infolge ihrer Verwicklung in den Trebertrocknungsprozeß als Geldgeber ausscheiden; die Aktien gingen an Hamburger Interessenten über unter Führung der Rohgummi-Importeure Weber & Schaer. Mancherlei Hemmungen waren zu überwinden, bevor aus den ehedem bescheidenen Anfängen heraus die heutigen weithin bekannten Gummi-Werke herauswachsen konnten.
Ein Rückblick auf solchen Werdegang ist nützlich und lehrreich, zugleich aber auch ein zuverlässiger Wegweiser für die Zukunft.
Große Kapitalien sind seitens der Hamburger Herren geopfert und weder Mühe noch Arbeit gescheut worden, um dem Unternehmen zu guter Entwicklung zu verhelfen. Mit den Mitteln der „Elbe“ wurden bei Gelegenheit zwei Tochtergesellschaften gegründet, zur besonderen Erzeugung von Naßpreßwalzen für die Papierfabrikation. Eines dieser Zweigwerke erstand in Heidenheim (Württemberg), das andere in Warmbrunn (Schlesien). An beiden Orten haben die größten Spezialfabriken für Papiermaschinen ihren Sitz, und es erschien zweckmäßig, in Anbetracht des riesigen Gewichtes von Naßpreßwalzen, zur Vermeidung unnötiger Frachten, entsprechende Gummiwalzenfabriken an diesen Stellen einzurichten. Beide Tochtergesellschaften sind vorzüglich ausgestattet worden und später in den Besitz ihrer Mitbegründer und Leiter, der Herren Gustav Becker – Heidenheim und Dr. C. Neubert – Warmbrunn, übergegangen. Im Laufe der Zeit haben sich diese beiden Spezialwerke immer weiter enfaltet und Weltruf erlangt. Während des Krieges 1914/18 konnten die Gummi -Werke „Elbe“ Aktien-Gesellschaft nur in beschränktem Umfange arbeiten.
Durch die Blockade war die Zufuhr der wichtigsten Rohstoffe abgeschnitten. Mangels Rohgummi mußten künstlicher Kautschuk, Altgummi und Regenerate aushelfen. Trotzdem gelang es, die Ansprüche der Kundschaft zufriedenzustellen, z. B. wurden die Isolierung der Pionierdrahtscheren und die Gasmaskenstoffe seitens der Heeresverwaltung als mustergültig anerkannt. Die Erzeugung von Isolierband war enorm, trotz der Schwierigkeiten der Rohstoffbeschaffung, und ist von keiner deutschen Fabrik übertroffen worden.
Nach dem Kriege interessierte sich eine Berliner Finanzgruppe für die weitere Ausgestaltung der Werke; dem finanziellen Rückhalt durch einen unter Führung der Bankhäuser Carsch & Co. Berlin, Belt, Simon & Co. – Berlin und Potsdamer Kredit-Bank stehenden Konzern hat die ,,Elbe“ ihre gegenwärtige Bedeutung zu verdanken.
Vor 25 Jahren lag die industrielle Entwicklung in Mitteldeutschland noch in den Anfängen begriffen; z.B. mußte die Fabrik ihre Waren bis zu der 8 km entfernten Bahnstation Coswig (Anhalt) fahren lassen. Erst allmählich wurde die Bedeutung des mitteldeutschen Braunkohlengebietes erkannt. Die jetzige rasche Erschließung ist als Folge des Kriegsausganges notwendiger denn je geworden. In der Gegenwart liegt die Eisenbahnstation den Gummi-Werken unmittelbar benachbart.
Die Strecke Wittenberg- Kleinmittenberg- Coswi – Roslau- Magdeburg fährt in geringem Abstande hinter dem Fabrikgrundstück vorbei, sodaß Besuche von Hannover aus in 5,5 Stunden, von Magdeburg aus in 2,5 Stunden eintreffen können. Einer der größten deutschen Ströme, die Elbe, welcher das Unternehmen seinen Namen verdankt, fließt an ihm vorüber und verbindet es talwärts mit dem größten deutschen Seehafen Hamburg. Uebrigens ist die Lutherstadt Wittenberg von Berlin aus in 1,5 Stunden, von Leipzig und alle aus in 1 Stunde mit D – Zügen zu erreichen. Mehrere Anschlußgleise und die Hafengelegenheit am Elbestrome dienen dem Transport von Kohlen, Rohstoffen und Erzeugnissen der Gummi-Werke.
Zahlreiche Artikelgruppen, u.a. gummierte Stoffe, Spielbälle, Gummisohlen und -absätze, Gummifäden, Zahnkautschuk, Fußballblasen, Isolie- und Parabänder, Rasiermesserschalen, Kutschwagenreifen und technische und elektrotechnische Hart- und Weichgummiwaren aller Art, werden seit vielen Jahren in großen Mengen hergestellt und gehen bis in die entferntesten Erdteile, wo sie ebenso wie auf dem deutschen Markt als erstklassig gelten.
700 Arbeiter und Angestellte arbeiten in neuerer Zeit für Rechnung der Firma; die Repräsentanten der Werke sind in allen Hauptstädten der Welt zu finden. Das Unternehmen besitzt ein Areal von 200 000 qm und eine stattliche Arbeiter- und Beamtensiedelung.
Auch an dieser Stelle sei allen jetzigen und früheren Mitarbeiten der Werke wärmstens gedankt. Die fortschreitende Entwicklung des Unternehmens legt für den Erfolg ihrer Leistungen das beste Zeugnis ab. Im Vertrauen auf den unermüdlichen Willen und die verständnisvolle Zusammenarbeit aller beteiligen Kräfte schreiten die Gummi-Werke „Elbe“ Aktion Gesellschaft in ein neues Vierteljahrhundert.

Ohne Fleiß – kein Preis!

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