Das Erbbuch des Amtes Wittenberg – 1513

Das Erbbuch des Amtes Wittenberg aus dem Jahre 1513

Die beste Quelle für die Untersuchung der Lebensverhältnisse der Bauern im Amt Wittenberg in der frühen Neuzeit stellt das 1513 verfaßte und bis 1515 mit zwei Nachträgen versehene Erb­buch dar, welches im Staatsarchiv Dresden aufbewahrt wird.1

Darüber hinaus bietet es genügend Material, um die bäuerliche Entwicklung von der Kolonisationszeit und des Landesausbaues bis zu Beginn des 16. Jh. darzustellen. Das Erbbuch umfaßt 2116 Seiten Text, die jedoch nur einseitig ursprünglich nume­riert sind.

Das sich im Besitz des Staatsarchives Wernigerode befindliche Erbbuch des Amtes Wittenberg stammt aus dem Jahre 1703.2 Es beruht auf dem Erbbuch aus dem Jahre 1513 – weist aber bereits zahlreiche Ergänzungen auf. Verdienste um die Auswertung des Erbbuches hat sich Otto Oppermann in seiner 1897 veröffentlichten Publikation erworben.3

Das Amt Wittenberg ist aus der Verschmelzung der Ämter Trebitz (nach 1480), des Amtes Zahna (zwischen 1486 – 1490) und des Amtes Schweinitz hervorgegangen. Das Amt Gommern verpfändete Kurfürst Rudolf III. 1418 an die Stadt Magdeburg, wo es bis 1513 verblieb.

Das Amt wurde verwaltet von einem aus der Ritterschaft stammenden Vogt, später als Amtmann oder Schosser bezeichnet, der polizeiliche, militärische und exekutive Pflichten wahrnahm. Die Aufgaben, die er zu erfüllen hatte, wurden in der Bauern­ordnung beschrieben und erinnern an die Dorfordnung, die Eike von Repgow im landrechtlichen Teil seines Sachsenspiegels uns übermittelte.4 Große Sorgfalt mußte der Schosser auf den Bau und die Pflege der Elbdämme legen. Auch alle bäuerlichen Lust­bar­keiten, Hochzeiten, Kirchweihfeste, Gemeindebier, standen un­ter Aufsicht des Schossers. Desweiteren die Kontrolle der Finanzverwaltung der einzelnen Dörfer und die Regelung geist­licher Angelegenheitgen. Er trieb z. B. die Präbenden ein und besetzte die Dorfpfarren.

Zur Erfüllung seiner Aufgaben standen dem Schosser zwei Land­knechte zur Seite, die von den Gemeinden finanziell abgesi­chert wurden. Sie waren verantwortlich für die öffentliche Sicherheit, beaufsichtigten die kurfürstlichen Wiesen und den Wald, trieben die Kirchenzehnten ein und sagten die besonders seit dem 15. Jh. sich wieder entwickelnden Frondienste auf den Vorwerken Bleesern und Pratau an. Zu Ostern inspizierten sie die Obstpflanzungen, fehlte ein Stamm, mußte Strafe gezahlt werden. Auch beaufsichtigten sie die Hochzeiten.

Bedeutende Erkenntnisse können aus dem Erbbuch über die wirtschaftliche und soziale Lage der Amtsbauern gewonnen werden. Wie in ganz Mitteldeutschland, so setzte sich im Gebiet von Wittenberg in den meisten Dörfern die Hufenverfassung durch. Bis Anfang des 16. Jahrhunderts hatte sich jedoch in den Herrschaftsverhältnissen ein Entwicklungsprozeß vollzogen, der eine Differenzierung der bäuerlichen Bevölkerung nach sich zog.

Bildeten die Hufenbauern seit dem 12. Jh. den Kern der Feudalbauern, so traten seit dem 14. Jh. in den Quellen die Hufner bereits als stark differenziert auf. Neben den Mehrhufenbauern und den sich durch ihre besondere Funktion innerhalb der Dorfgemeinde von diesen abhebenden Dorfschulzen, finden wir Halb- und Viertelhufner und seit dem 14. Jh. die bäuerliche Unterschicht der Kossäten.

Die Ganzhufner mit ein, zwei, drei oder mehr Hufen Landbesitz überwogen. Sie besaßen ihren Besitz erblich, aber auch als Laßgut.

Die aus der Zeit der Kolonisation und des Landesausbaues herrührende Gleichförmigkeit der Abgaben- und Besitzverhältnisse hatte sich in Spuren, in einigen Dörfern sogar beinah unver­ändert, erhalten, wobei die Naturalabgaben noch immer überwo­gen.

Die Frondienste der Hufenbauern hielten sich, was Umfang und Dauer betraf in Grenzen, was darin begründet liegt, daß sich nur ein geringer Teil des Hufenlandes in eigener Bewirtschaf­tung des Adels befand. Unterschieden werden können Hand- und Spanndienste (z.B. Dung aus den Ställen holen und auf die Felder bringen, Heueinfuhr, Hafermähen und -binden, Schaf­schur, Laub für die Schafe sammeln, Bier brauen).

Besonders hart war der Fron der Bauern, die links der Elbe, in der Aue, bei der Erhaltung der Dämme eingesetzt waren. Die Dämme zogen sich vom Hogerholz bei Pratau bis nach Pretzsch. Jede Gemeinde, die an dieser Dammstrecke lag, mußte nach Maß­gabe ihre Dienste bei der Dammerhaltung verrichten. Damit die Deicharbeiten ordnungsgemäß durchgeführt wurden, kontrollier­ten mehrere Deichgrafen, die von sonstigen Fronarbeiten be­freit waren, die Arbeiten.

Außerdem war die Stadt Kemberg und sämtliche links der Elbe gelegenen Dörfer verpflichtet, die Landwehr, die sich in einer Länge von 2520 Ruten von Klein Zerbst am Elbufer bei Pretzsch über Trebitz, Schnellin, Kemberg, Bergwitz, Pannigkau, Eutzsch wieder zur Elbe läuft und von ihr mit Wasser gespeist wird, warten.

Auch die Landesverteidigung und die Bereitstellung von Kriegsmaterial stellten erhöhte Anforderungen an die Bauern. Solange die Kriegsverfassung wesentlich auf der Burgwardorganisation beruhte, wurden die Bauern weniger zur allgemeinen Landesver­teidigung bzw. zur Teilnahme an Kriegszügen herangezogen. Mit dem Zerfall der Burgwardverfassung jedoch, wird die Verpflich­tung der Bauern zur Beihilfe „expeditiones“ schon im 13. Jh. erwähnt und seit dem 14. Jh. sind die Dorfgemeinden wie die Stadtgemeinden zur Stellung von Rüstwagen und Begleitmannschaf­ten verpflichtet. Zum anderen mußten die Landgemeinden (ein­schließlich der Neustadt Wittenberg und Elster) 6 Heerwagen stellen.

Neben den Hufenbauern wird im Erbbuch detailliert auf die bäu­erliche Unterschicht der Kossäten eingegangen. Das Erbbuch verwendet die Bezeichnung gerthner oder koste.

Resultierte die Stellung der Hufenbauern im Agrarsystem aus ihrem Anteil an der Geld- und Produktenrente, so resultierte die Leistung der Kossäten, die ihre Basis in erster Linie nicht im Hufensystem hatten, hauptsächlich aus persönlichen Frondiensten, die sie auf den Wirtschaften der Dorfschulzen, der Pfarrer, auf ritterlichen Freihufen, aber auch auf den Wirtschaften wohlhabender Bauern zu verrichten hatten.5 In die­se bäuerliche Unterschicht der Kossäten konnten seit dem 14. Jahrhundert deutsche und slawische Bauern herabsinken. Das Erbbuch unterstreicht, daß die Kossäten nicht nur auf ihre Hofstätte und ihr Gartenland beschränkt blieben, sondern sich auch in Besitz von Hufeland setzten.

Die Ausstattung der Kossäten mit Hufeland veränderte die so­ziale Struktur in den Dörfern und räumte zumindest die Mög­lichkeit ein, daß die Kossäten ihre wirtschaftliche und vor allem rechtliche Stellung aufwerten konnten und sogar verein­zelt in der Klasse der Hufenbauern Aufnahme fanden.

Die Abgabenleistung der Kossäten bestand vorwiegend in Form von Geld und Hühnern. Aber es gab auch Kossäten, die einzelne Ackerstücke bewirtschafteten bzw. im Besitz von Hufenland wa­ren und davon Getreide (Hafer, Gerste, Roggen) und Eier ablie­ferten. Das Land war an die Kossäten als Laß- oder als Erbgut ausgetan.

Im Vergleich zu den Hufnern waren die Abgaben und der Landbe­sitz der Kossäten meistens bedeutend geringer. Aber auch die Kossäten haben in den einzelnen Dörfern eine unterschiedliche Stellung eingenommen und mußten teilweise sogar wie die Hufner mit Pferden Dienst leisten. Neben den Abgaben in Form von Hühnern, Eiern und Geld waren die Kossäten zu Frondiensten (Düngerfahren, Heu- und Haferernte, Getreideernte) verpflichtet.

Wie die Hufenbauern uns im Erbbuch als differenzierte Schicht entgegentreten, so findet sich der gleiche Sachverhalt auch bei den Kossäten. Aber nicht nur in der Landwirtschaft, son­dern auch in der Sphäre der produktiven Tätigkeit, so als Handwerker (Müller, Töpfer, Krüger, Fuhrleute) traten die Kos­säten in Erscheinung.

Im Amt Wittenberg existieren  z. B.  38 Mühlen mit  69 Rädern  (56 Mehlräder, 7 Ölräder, 2 Walkräder, 2 Loheräder, 1 Polierrad und 1 Rad zum Schneiden von Brettern). Von den Mühlen waren 35 dem Amt untergeordnet und nur 32 in der Hand von Adligen.

Zusammenfassend sei in Auswertung des Erbbuches festgestellt, daß die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Bauern zu Beginn des 16. Jh.’s trotz des bereits erfolgten bäuerli­chen Differenzierungsprozesses und der Zunahme der Frondien­ste, noch relativ günstig waren. Die sich seit dem 12. Jahr­hundert durchgesetzte Abgabengrundherrschaft war in modifi­zierter Form noch vorherrschend, auch wenn Ansätze z. B. in Form der Vorwerke für die in anderen Territorien (z. B. Meck­lenburg, Schlesien, Pommern) sich im 16. Jh. im verstärkten Maße herausbildende Gutsherrschaft unverkennbar sind.

Anmerkungen

1 Erbbuch des Amtes Wittenberg vom Jahre 1513,  STA Dres­den, Locat (loc) 38129, Rep. XLVII, Wittenberg 1.
2 Erbbuch des Amtes Wittenberg vom Jahre 1513, STA Wernigerode, Rep. D   Amt Wittenberg, Nr. 1, Bl. 1-647.
3 Otto Oppermann, Das sächsische Amt Wittenberg im Anfang         des 16. Jahrhunderts, dargestellt auf Grund eines Erbbuches vom Jahre 1513, Leipzig 1897.
4 Vgl. Sachsenspiegel, Landrecht, in: Germanenrechte, Neue Folge. Land- und Lehnrechtsbücher, hrsg. v. Karl August Eckhardt, Göttingen, Frankfurt 1955.
5 Vgl. weiterführend zum „Differenzierungsprozeß der Bau­ern“

Gerlinde Schlenker, Bäuerliche Verhältnisse im mittleren Elbe-und Saalegebiet vom 12. bis 15. Jahrhundert, Dissertation B, Halle 1990 (Masch.)

Dr. habil. Gerlinde Schlenker
Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg
Institut für Geschichte

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