Teuchel

 
„Wittenberger Rundblick“
1. Ausgabe Juli 1955 –
letzte Ausgabe Juli 1957

Wer von den alten Wittenbergern kennt nicht
das ehemals selbständige
Dorf Teuchel? Am südlichen Ausläufer des Flämings
zwischen Wiesen und Feldern
in einer Talfalte verborgen,
zieht sich unser jetziger Ortsteil Teuchel bis zum Herrenberg hin.
Die Beziehungen dieses Dorfes zu unserer Heimatstadt Wittenberg besteht seit alters her. Schon 1357 wird es erstmalig urkundlich erwähnt. Der Akanierfürst Rudolf II. überließ darin seine ihm von Teuchel zustehenden Einkünfte der Schloßkapelle „Allerheiligen“. An den Südabhängen des Dorfes bauten Wittenberger Mönche in dieser Gegend Wein.
Auf Veranlassung des Kurfürsten aus dem Hause Wettin, Friedrichs des Weisen (l486-1525) flossen die Pflichtabgaben auch der Teucheler Bauern der damals neugegründeten Wittenberger Universität (1502) zu. Somit war Teuchel „Universitätsdorf“ geworden, und auch die Gerichtsbarkeit über die sogenannten Universitätsdörfer wurde der Uni übertragen, die der erste Rektor Pollich von Mellerstadt und der kurfürstl. Kanzler Oswin von Orsoy mit unnachsichtiger Strenge ausübten. Mit dem Auftreten Luthers und Melanchthons erlebte die Universität ihre Blütezeit mit 2000 eingeschriebenen Studenten.
Die allgemeine Lage der Bauern damaliger Zeit als Leibeigene oder Unfreie war erdrückend; sie waren das Lasttier der herrschenden Klasse.
und es war verwunderlich, daß sie sich trotz härtester Ausbeutung, 1525, in der Zeit des großen Bauernkrieges, um Wittenberg herum verhältnismäßig ruhig verhielten,

1543 wurde auf Veranlassung Johann Friedrichs des Großmütigen der Teuchelbrunnen, dessen Quell sich westlich des Exerzierplatzes befand, gefaßt und als Schloßröhrfahrt in die Stadt geleitet. Drei andere Wasserkünste dieser Art speisen ja bis auf den heutigen Tag die Brunnen auf den Höfen unserer Altstadt. Noch einmal hören wir von Teuchel während des 30jährigen Krieges, als im Jahre 1642 der schwedische General Torstensen der Universität den Schutzbrief ausstellte, der auch für die Universitätsdörfer Geltung hatte. Genannt sind Teuchel, Melzwig, Eutzsch, Reuden, Polnsdarf (Apollensdorf), Piesteritz, Köpnick, Dietrichsdorf, „ingleichen das Abtsdorter Mühlchen“ und „ein Gütlein in Segrehn“ (Seegrehna).
Schweres Leid wurde im Zeitmaß der Geschichte den armen Teuchelern zugefügt. So kam es dicht hinter den Teucheler Weinbergen am 2. Oktober 1760 zwischen Preußen und der Reichsarmee zu einem Gefecht, wobei Teuchel zum großen Teil zerstört und auch Wittenberg in Brand geschossen wurde.
1813 hatten die Franzosen durch die zu erwartende Belagerung durch preußische Truppen bei der Bereinigung des Schußfeldes in der Vorstadt auch die Bauernwirtschaft Fräsdorf, südöstlich der Weinberge angezündet. Das Gehöft brannte nieder. Die Bäuerin lag gerade im Wochenbett. Unter einem Birnbaum konnte man sie, dazu den nötigsten Hausrat, in Sicherheit bringen; der Säugling aber kam in den Flammen um.
Nach den Befreiungskriegen förderte man in einem Tagebau bei Teuchel Braunkohle, 1820 bis 1860; als der Schacht ausgebeutet war, stellte sich der Betrieb auf Tonförderung für Ziegelfabrikation um. Aber die Weltwirtschaftskrise mit ihren Absatzschwierigkeiten. während der Weimarer Periode, dazu die starke Grundwasserüberflutung, brachten auch ihn zum Erliegen. Ich sehe als Kind noch die Kipplorenbahn mit Pferdebespannung vor mir, die aus der Tongrube hinter dem Teucheler Exerzierplatz den Rohstoff zur Ziegelei brachte. Und heute nach 40 Jahren ist diese samt Lorenbahn verschwunden. Jetzt befindet sich dort ein Baulagerplatz, und das ehemalige Verwaltungsgebäude ist Wohnhaus geworden.
In den siebziger Jahren (1870) ging durch Brandstiftung fast das ganze Dorf in Flammen auf. Strohdächer und ein starker Wind begünstigten das Vernichtungswerk. Nur einige Häuser oberhalb des Dorfes und die alte Schule, das jetzige Wohnhaus des Rentners Karl Reinicke, blieben vom Feuer verschont.
Die Schleifung der Festung unserer Heimatstadt 1873/74 war die Geburtsstunde unerer heutigen Industrie, die auch auf Teuchel durch Zunahme seiner Einwohnerzahl ausstrahlte. Es siedelten sich immer mehr Werktätige dort an, die in den in den 80er und 90er Jahren entstandenen Fabriken im Westen unserer Stadt Lohn und Brot fanden.
Teuchel hat eine Schule, aber keine Kirche, so daß in den vergangenen Jahrzehnten die Trajuhner Kinder nach Teuchel zur Schule gingen und die Teucheler Einwohner nach Trajuhn zur Kirche. Teuchel trug aber seine Toten auf dem Wittenberger Friedhof zu Grabe; aus dieser Zeit hatte der Verbindungsweg von Teuchel bis zum „Goldenen Stern“ die Bezeichnung „Totenweg“.
Die alten Dorfeinwohner erzählen sehr oft vom Schloß Herrenberg. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts steht dieses am Südwestteil des Ortes. Es gehörte zusammen mit einem Vorwerk zum Rittergut Reinsdorf. Ein großer und ein kleiner Saal waren in einem zweistöckigen Bau untergebracht. In späterer Zeit wurde ein Teil des Schlosses abgetragen, weil der Guts­- und Schloßbesitzer von Freyberg-Reinsdorf verarmt war und die enormen Reparaturkosten nicht mehr aufbringen konnte. Heute dient dieser Bau als Bauernwirtschaft.

Etwas weiter östlich – in der Nähe befindet sich unsere Wittenberger Wetterwarte – stand früher eine Gaststätte und beliebtes Ausflugslokal, das nicht mit dem ehemaligen Restaurant „Weinberge“ zu verwechseln ist. Bis 1860 verwaltete eine Witwe Stephan dieses Lokal, aber von da ab fehlen weiteren Angaben.
Der „Teucheler Weinberg“ liegt auf Wittenberger Flur, er war ein sehr beliebtes Ausflugslokal und wurde schon gern von den Wittenberger Musensöhnen aufgesucht, die hier zu Hause waren. „Fastnachten“ auf dem Weinberg zog immer viel Wittenberger Jugend an. Nach 1945 wurde dieses Anwesen dem Gesundheitsamt Wittenberg unterstellt und hier eine Liegestätte für genesende Tbc -Kranke eingerichtet. Wittenberg-Teuchel hat sich im Rahmen des Nationalen Aufbauwerkes die Aufgabe gestellt, die Trinkwasserversorgung und Kanalisation in seinem Ortsbereich zu verbessern und mit viel Fleiß und Ausdauer bauten sich die Einwohner von Teuchel eine Wasserleitung.
Oben auf dem Herrenberg an der Wetterwarte stehend und den Blick nach Süden gewendet, bietet sich dem Heimatfreund ein wundervoller Fernblick: Unten im Urstromtal der EIbe grüßt uns unsere liebe alte Stadt mit ihren Türmen und Dächern. Südöstlich in blauer Ferne liegt der Golmer Weinberg bei Pretzsch, re:hts die Dübener Heide.
Davor stehen die rauchenden Schlote der Milka und der Bergwitzer Brikettfabrik. Weiter im Hintergrund ist es eine Vielzahl an Schornsteinen, die zum Großkraftwerk Zschornewitz gehören, das mit seinen sich nach allen Himmelsrichtungen entfernenden Ueberlandleitungen elektrische Energie hinaussendet.
Dazwischen ragt der schlanke Kemberger Kirchturm empor, den ein alter Heidefreund als den Zeigefinger der Dübener Heide bezeichnet hat. Im Westen ist es dann unsere Wittenberger Industrie, die das imposante Panorama abschließt. In flimmernde Mittagssonnenhitze lugen ab und an das Silberband der EIbe, der Probsteiwald und die Elbaue durch das Häusergewirr hervor.
Ich bin ganz in Gedanken versunken, vor meinen Augen taucht die alte Federzeichnung von Wilhelm Dillich (1626) „Wittenberg von Norden gesehen“ auf; denn hier eröffnet sich uns unmittelbar die Schönheit unserer Heimat. Vergeblich nur suche ich das achteckige Weinberghäuschen mi seinem spitzen Dach. Dieser Ausblick auf die Stadt muß schon damals die Menschen begeistert haben; mir legt ein Verslein im Mund:

Es trinken meine Augen sich satt,
Oh, Heimat, wie bist Du so schön.
Wir schaffen früh, wir schaffen spät,
Du sollst nicht untergehn.

Komm, lerne Deine Heimat kennen,
daß Du sie ganz von Herzen liebst,
zur Heimat wirst Du Dich bekennen,
für sie Du gar das Letzte gibst.

Wilhelm Auras

aus : „Wittenberger Rundblick“ vom 06.12.1955