Wenn ein evangelischer Christ einmal einem katholischen Gottesdienst beiwohnt, so fällt ihm immer besonders die bunte Amtstracht des Katholischen Geistlichen auf.
Wir können uns unsere evangelischen Geistlichen gar nicht anders vorstellen als in dem schlichten schwarzen Talare.
Und doch sind die bunten Meßgewänder durchaus nicht mit Luthers Auftreten verschwunden, sondern haben sich vielfach wohl recht lange auch im evangelischen Gottesdienst erhalten.
Das bezeugen die Visitationsregistraturen unserer Heimat auf Schritt und Tritt, ebenso spätere Inventarverzeichnisse mancher Kirchen;
Der verdiente Pallas hat schon 1908 eine Veröffentlichung hierüber gebracht.
Die Reformatoren und die nachfolgenden Kirchenbehörden vertraten die Ansicht, alles im Sinne der alten Kirche bestehen zu lassen, was nicht durchaus stört.
Dieser Grundgedanke zeigt sich in den Richtlinien für die verschiedenen Kirchenvisitationen.
Das Volk kannte seinen Priester im Meßgemande von Jugend auf und betrachtete die bunte Amtstracht als eine, durch die dem amtierenden Geistlichen eine besondere Würde gegeben wurde. Warum sollte man da diese Tracht ohne Not abschaffen?
Wiederum aber hielt mancher evangelische Geistliche den einfachen schwarzen Talar für die schlichten evangelischen Gottesdienste mit ihrer Innerlichkeit für passender.
Dazu kam, daß die kostbaren Gewänder im Laufe der Zeiten unbrauchbar oder in Kriegszeiten geraubt wurden (Schmalkaldischer Krieg, 30jähriger Krieg, in Wittenberg sogar noch in der Franzosenzeit – 1806).
Gerade dann mußte sich entscheiden, ob man wieder einen bunten, kostbaren Ersatz beschaffen wollte oder den schwarzen Amtsrock vorzog.
Die Behörden ließen der Entwicklung ihren Lauf und zwangen den Gеmeinden nicht eine bestimmte Ansicht auf.
So herrschte denn lange Zeit eine gewisse Zwiespältigkeit.
Zahlreiche Gemeinden blieben beim lieben Alten und beschafften wieder bunte Meßgewänder als Ersatz;
manche aber schafften sie ganz ab, bis endlich die Entwicklung sich immer mehr zugunsten des schwarzen Talars vollzog; so daß man heute gewöhnlich recht erstaunt ist, wenn man hört, daß noch jahrhundertelang auch im evangelischen Gottesdienste das bunte und kostbare Meßgewand benutzt wurde, und zwar nach, den Inventarverzeichnissen der Kirchen auch in unserer Wittenberger Gegend recht häufig.
Zum vollständigen Meßornate gehörten zu Luthers Zeiten 6 Teile, die in der hier stehenden Reihenfolge angelegt wurden:
– 1. Humeral,
– 2. Albe,
– 3. Gürtel,
– 4. Manipel,
– 5. Stola,
– 6. Kasel.
Die beiden größten Teile, die in evangelischen Verzeichnissen gewöhnlich allein genannt werden, sind Albe
(ein langes, weißes Untergewand)
und Kasel (das farbige, kostbare Obergewand),
während die übrigen, kleineren Teile öfter kurz als Zubehör („Zugehörung“) auftreten.
Die Wittenberger Kirche zählt 1666 vier Meßgewänder aus rotem Samt und zwei Alben, sowie zwei farbige Levitenröcke auf.
Der Gotteskassenvorsteher (Kirchkassenrendant) stiftete 1684 der Kirche einem Gelübde zufolge eine neue Kasel, auch der Archidiakonus Fabricius 1695 „ein neues Meßgewand von gutem violettem Sammet mit einem von Silber und grüner Seide gestichtem Kreuz, auch Gold- und silbernen Gallonen“;
1775 aber beschreibt der Straßburger Magister Batrid eine Wittenberger Abendmahlsfeier:
der Geistliche, „der es consekrirte, war violet über dem Chorhemde gekleidet mit einer Stola“.
Als nach der Schlacht bei Jena Napoleon durch Wittenberg kam und aus Raummangel sogar beide Kirchen als Ställe für die kaiserlichen Pferde benutzt wurden, erfolgte in der Nacht vom 22. zum 23. Oktober ein Einbruch in die Sakristei – man vermutet wohl mit Recht: durch Franzosen – Alle Wertgegenstände wurden geraubt, darunter neben Abendmahls und Taufgeräten auch die samtnen, mit Gold gestickten und besetzten, kostbaren Meßgemänder, und damit wird die Verwendung der Meßgewänder in Wittenberg ihr Ende erreicht haben. –
Verschiedenheiten in den Inventarverzeichnissen von 1555 und 1575 zeigen, daß in der Zwischenzeit, also noch in evangelischer Zeit, Meßgewänder vielfach neu beschafft worden sind, so in
– Apollensdorf (1555: 1 Albe; 1575: 1 Albe und 1 harres“ Kasel),
– Dobien (1555: nichts; 1617: 1 Meßgewand),
– Straach (1555: 1 ganzes Meßgewand von braunem Samt mit einem goldenen Kreuz; 1575 kam ein zweites Meßgewand aus Leinwand, mit Silberschaum überstrichen“, hinzu),
– Jahmo (1555: nichts; 1575: 1 braune „vorstatten“ [?] Kasel mit einer weißen Albe),
– Bülzig (1555: 1 alte Kasel, 1 Albe; 1575 und 1618: 2 Kaseln, 1 Albe),
– Leetza (1555: keine Kasel ujw.; 1575: 2 Kaseln, nämlich 1 schwarz schamlote[?] und 1 rote lindische [?] sampt 1 alba und stola“. Im 30jährigen Kriege rettete man die Kaseln nach Zahna; aber dort sind sie weggekommen),
– Blönsdorf (1555: 1 altes Meßgewand; 1575: 2 Meßgewänder).
In den folgenden Gemeinden sind keine Neubeschaffungen in evangelischer Zeit, wohl aber der Gebrauch von Meßgewändern überhaupt nachzuweisen:
– Eutzsch (1555: 1 rotes Atlasmeßgewand mit einem goldenen Kreuz, 1 Albe),
– Seegrehna (1555: 1 Meßgewand; 1575: 1 Albe),
– Dabrun (1555: 1 Damastkasel, 2 seibene Kaseln),
– Zahna (1528 wurden wie bei Schmiedeberg und Kemberg die 3 besten Meßgewänder beibehalten, das übrige aber sollte verkauft werden; 1574: 3 Kaseln, nämlich 1 grünsamtne, 1 rotsamtne und 1 gründamastene, mit allem Zubehör),
– Woltersdorf (1555 und 1574: 1 schwarze Kasel mit einem roten Kreuz, 1 Albe),
– Mellnsdorf (1) altes Meßgewand),
– Kurzlipsdorf (1555:1 Albe; 1575 fehlt sie),
– Eckmannsdorf (1555: 1 sehr böses [?] Meßgewand),
– Danna (1555 und 1575: 1 altes Meßgewand),
– Feldheim (1555: 1 Meßgewand),
– Schmögelsdorf (1555:1 Meßgewand, 1 Kasel),
– Marzahna (1555: 1 Meßgewand, 1 Albe, 1 rot. seidene Kasel; 1575 fehlt die Albe),
– Wergzahna (1555: 1 altes Meßgewand; 1575 fehlt es),
– Kropstädt (1555 und 1575: „1 rot cartecke gering casel mit einer alten alben“),
– Berkau (1555: 1 ganzes Meßgewand),
– Schmilkendorf (1555: 1 seidenes Meßgewand mit einem Kreuz; 1575 wohl dasselbe: 1 seidenes Meßgewand mit rotem Kreuze).
Ob über die aufgeführten und die fehlenden Ortschaften noch Nachrichten in örtlichen Quellen schlummern?
Vielleicht regen die vorstehenden Ausführungen zu Nachforschungen an.
Wie wir über manche Gemeinden ausdrücklich erfahren, daß noch in verhältnismäßig später Zeit Meßgewänder benutzt wurden, daß man auch an dem Namen „Meßgewand“ keinerlei Anstoß nahm
(in Herzberg ist bei der Neuanschaffung von drei „Meßgewändern“ im Jahre 1765 dieser Name noch immer üblich),
während uns heute der Name Messe im evangelischen Gottesdienst recht seltsam anmuten würde, so kennen wir doch auch Gemeinden, von denen ausdrücklich das Fehlen von Meßgewand schon verhältnismäßig früh bezeugt wird, während da, wo nur in den Inventarverzeichnissen diese Gewänder fehlen, die Sachlage nicht ganz klar ist.
Von Elster zB. wird 1618 angegeben, beim Abendmahl werden weder Meßgewand noch Lichter oder weißer Chorrock gebraucht. In Klebitz scheint nie ein Meßgewand vorhanden gewesen zu sein; 1618 findet sich hier dieselbe Angabe wie bei Elster.
In Kropstädt und Jahmo wird 1617 beim Abendmahl ein Meßgewand benutzt, aber kein Chorrock, in Wettin, Rahnsdorf, Kurzlipsdorf, Wergzahna und Marzahna überhaupt nichts davon, 1618 in Blönsdorf, Edmannsdorf, Feldheim und Bülzig wohl das Meßgewand, aber ohne weißen Chorrock.
Eigenartig begründet sich der Nichtgebrauch der Kasel und der Amtskleider beim Abendmahl in Zahna 1594:
Sie wären im Hause eines vor ¾Jahren an der Pest verstorbenen Kastenherrn (Kirchkassenredanten), darum wollten die Geistlichen sie nicht anlegen; eine Zeitlang sollte das noch ferner von der Behörde erlaubt sein.
Jedenfalls scheint um das Jahre 1600 die Zeit des Meßgewandes, besonders im Nordteil unseres Kreises, sich ihrem Ende zuzuneigen.
Wie lange überhaupt Meßgewänder verwendet wurden, dafür ein Belag aus Herzberg.
Hier ordnete man 1822 zufolge eines Ministerialerlasses an, daß der Ornat, der in manchen preußischen Gemeinden bis 1811 in Gebrauch war, an hohen Festen wieder von den Geistlichen benutzt werden sollte.
Ob diese Anordnung Erfolg hatte, ist nicht bekannt.
Immerhin wissen wir aus dieser Verordnung, daß Meßgewänder in evangelischen Kirchen sogar noch bis ins 19. Jahrhundert hinein verwendet worden sind, also bis vor etwa 100 Jahren.
Paul Hinneburg †
aus: Glaube und Heimat – 1931
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