Das Amtsgericht

Amtsgericht – Portal
Kurz bevor das Jahr 1909 zu En­de ging, kam es zur feierlichen Einweihung des noch heute ste­henden und in seiner Funktion tätigen Kreisge­richtsgebäudes. Mit seinen goti­schen Treppen­giebeln, Gardi­nenfenstern und anderen Stilelementen wollte man damals dieses repräsentative Gebäude man­chem Bau in der historischen Altstadt anglei­chen. Als die Einweihung am 4. Dezember 1909 erfolgte, ging ein langer Streit und dem preußi­schen Fiskus zu Ende.
Justitia

Drei Fünftel des Landes Sachsen kamen
auf­grund des Wiener Kongresses an Preußen, dar­unter auch der Wittenberger Kurkreis. Bis dahin hatte unsere Stadt eine bevorzugte Stellung hin­sichtlich der Rechtsprechung inne. Seit 1441 hatten
wir das Recht der „oberen Gerichtsbarkeit“,
d. h., die Stadtgerichte konnten Todesur­teile fällen und vor dem Rathaus die Hinrich­tung durchführen. Vom Gerichtsbalkon wurden alljährlich die so genannten Weistümer vorgele­sen, und aus jeder Familie musste ein erwachse­ner Angehöriger diese Rechtsbelehrung anhö­ren.
Nachdem wir die Universität 1817 verloren hatten, war der Rat der Stadt Wittenberg erfreut, dass uns der preußische Staat ein Kreisgericht zu wies, das kurze Zeit später ein Königliches Amtsgericht wurde. Bereitwillig stellte man die Ganze obere Etage im Rathaus der neuen Be­hörde zur Verfügung. 13 Fenster Vorder- und Rückfront hatte die Justizverwaltung. Ja, man ging sogar noch weiter und ließ die Juristen mietfrei wohnen und bemerkte protokollarisch, dass dieses freie Wohnen ein Verzicht auf das Recht der Kündigung seitens der Stadt mit einschloss. Diese überschnelle Bereitwilligkeit sollte sich später verhängnisvoll auswirken.
Kaum waren 70 Jahre vergangen, da benötigte infolge des Wachstums der Stadt die städtischeVerwaltung die von der Justiz benutzten Räume. Die Rechtsvertreter ließen sich auf nichts ein, sie hatten ja auch tatsächlich das Recht auf ihrer Seite. In weiser Voraussicht hatte aber der preu­ßische Staat bei der Aufteilung des Festungsge­ländes einen Bauplatz vor dem Schlosstor ge­kauft. Ende 1900 wurde ihm im Rathaus alles zu eng, und nun kam es zu langwierigen Verhand­lungen zwischen dem Rat der Stadt und dem preußischen Fiskus. Bei Zahlung einer Entschä­digungsgebühr von 37 400 Mark wollte man ausziehen, die Stadt machte ein Gegenangebot in Höhe von 25 000 Mark.
Die Justizverwaltung ging darauf nicht ein, sondern bot später das alte Gerichtsgefängnis in der Pfaffenstraße (Jahnstraße, heute Pfaffengas­se), die ehemalige Antoniterkapelle, der Stadt an. Diese  war  nicht abgeneigt und schätzte Grundstück und Gebäude, insgesamt 760 Quadratmeter, mit 8 360 Mark ein. Wieder herrschte Stillschweigen.
1904 endlich war der preußi­sche Fiskus mit 30 000 Mark Abfindungssumme einver­standen,
 es kam zur Vertrags­regelung und nun auch zum Bau des neuen Gebäudes. 1907 begann man mit den Erdarbeiten, und 1909 war der stattliche Bau vollendet und mit ihm auch das dahinterliegende Amtsgerichtsge­fängnis, in dem als erste Insassen 15 Gefangene Einzug hielten.
Einige rechts- und volks­kundliche Darstellungen fanden hier damals Platz, die leider nicht mehr alle vorhanden sind. So zeigte man Hund und Katze, am kleinen Aufgang eine Schwurband, freundliche und griesgrämige Gesichtsausdrücke, je nach Aus­gang der Gerichtsverhandlung, Schwert und Waage und einen Spiegel, den sich jeder vorhal­ten sollte, ehe er zum Kadi rennt.

Heinrich Kühne †