Das Grundstück Collegienstraße 62a, in dem sich heute die Löwen-Apotheke befindet, gehörte bis 1918 zum Militärkomplex der nachbarlichen Kaserne.
Vor 400 Jahren gingen hier die Studenten aus fast allen Ländern Europas ein und aus. Das trug dazu bei, daß der geschäftlich denkende Buchhändler Konrad Rühel gleich neben der Universität ein großes massives Haus errichten ließ.
Um 1560 kaufte er laufend Kalk, Mauer und Dachsteine aus der städtischen Ziegelscheune.
Mit der Fertigstellung ist ab 1564/65 zu rechnen. Denn in dem genannten Jahr und 1566 war er von den städtischen Grundsteuern befreit, eine Vergünstigung, die alle Bürger wahrnehmen konnten, die Neubauten errichteten.
Als er den Bau fertigstellen ließ, war er schon ein gutsituierter Bürger in der Stadt, hatte Sitz und Stimme im Rat.
Bereits seit 1553 stellte er seine Kraft und seine Kenntnisse dem Gemeinwesen zur Verfügung bis 1575-76.
Die Erfahrungen, die er mit Geldgeschäften als reicher Buchhändler sammeln konnte, kamen der Stadt in seiner Eigenschaft als Kämmerer zugute.
1574 bis 1575 war er auch Bürgermeister.
Durch den großen Hausbau war er vollberechtigter Bürger und hatte damit auch die Braugerechtsame erlangt, die er meist jährlich mit fünf Gebräuen wahrnahm. Weiter legte er sein Geld in kleineren Grundstücken an, hatte vor der Stadt auch eine Scheune und eine Papiermühle.
Wie so viele angesehene Bürger in der Stadt Wittenberg im 16. Jahrhundert stammte auch er aus der süddeutschen Gegend.
Sein Geburtsort ist Bad Nauheim. Er muß dort oder in der Nähe seiner Heimatstadt buchhändlerische Fähigkeiten erworben und geschäftliche Kenntnisse gesammelt haben. Sonst hätte der reiche Wittenberger Buchverleger Moritz Goltz ihm nicht seine Tochter Elisabeth zur Frau gegeben.
Goltz gehörte zu dem Konsortium, das Luthers Gesamtbibel 1534 herausgab, war aber kein fachmännisch geschulter Buchhändler.
So kam ihm Rühel als Schwiegersohn gerade recht.
Mit dem als Mitgift erhaltenen Kapital wurde er der Begründer einer der größten Buchverlegungen in Wittenberg.
Die von ihm verlegten Bücher gingen bis in ferne Länder als Exportware. Er war es auch, der voller Stolz sein Verlegersignet in den verschiedensten Varianten im Druckwerk zeigte.
Nach dem Tode seiner Frau im Jahre 1572 heiratete er zum zweiten Mal, und zwar Magdalene Freund aus Leipzig.
Sein Schwager war der spätere größte Wittenberger Buchhändler Samuel Selfisch.
Neben seiner gemeinnützigen Tätigkeit im Rat und als Bürgermeister liegt die Bedeutung dieses Mannes in erster Linie auf dem Gebiet des Bibeldruckes.
Nach dem Tode seines Schwiegervaters Goltz erbte er 1548 das kurfürstliche Privileg und verlegte mit Vogel und Schramm zusammen Luthers Gesamtbibel.
Damit trug er mit dazu bei, daß Martin Luthers große Tat der Bibelübersetzung und damit die Verbreitung einer einheitlichen deutschen nationalen Schriftsprache gewährleistet war.
Im gleichen Maße verlegte er weiterhin die Schriften Melanchthons und der anderen Reformatoren.
Hervorzuheben ist ferner die Verlegung der niederdeutschen Bibeldrucke, die sein Schwiegervater 1541 begann, die aber Rühel dann ab 1557 ununterbrochen bis zu seinem Tode 1579 in eigener Regie durchführte, was sein Sohn und Nachfolger, Magister Joachim Rühel, bis 1590 fortsetzte.
Letzterer hatte hier studiert und den Magistergrad erworben.
Er erbte von seinem Vater auch das Privileg der Gesamtbibelverlegung, die er dann gemeinsam mit seinem Onkel Samuel Selfisch betrieb.
Heinrich Kühne †
aus: Freiheit vom 15.08.1979
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