Am heutigen Aschermittwoch hat so mancher vom nächtlichen Faschings- und Fastnachtstreiben her Kopfweh und andere üble Begleiterscheinungen zu ertragen. In den katholischen Gegenden unseres Vaterlandes beginnt nunmehr die 40-tägige Fastenzeit. Da hat also jeder Gelegenheit, wieder in einen normalen Lebenslauf zu kommen. Wie so vieles andere, hat auch die Kirche sofort einen uralten Brauch umgeformt und sich dienstbar gemacht.
In diesen Tagen feierte man den Jahresanfang nach dem altrömischen Kalender. Der 1. März war also der Beginn des neuen Jahres (daher heute noch September = der siebente Monat als Bezeichnung, während er nach unserer Jahresrechnung der neunte Monat ist).
Nach dunkler, langer Winterszeit fühlte jeder Mensch, dass die Natur sich zu ihrer schönsten Zeit rüstet. Der Frühling mit der immer mehr und mehr erwärmenden Sonne war für unsere Vorfahren, die ohne elektrische Beleuchtung, Radio, Film und Fernsehen von ganzem Herzen die Helle und Wärme der längeren Tage herbeisehnten, wirklich ein Grund zum Feiern. Man lebte in der Vorstellung, dass die grünende Birkenrute das neue Leben auch auf die Menschen übertrug und für die Frauen und jungen Mädchen galt sie auch gleichzeitig als Symbol der Fruchtbarkeit.
Damals schlug man sich mit der Birkenrute. Heute ist als letztes Überbleibsel noch das Schlagen mit der Pritsche aus Pappe damit in Verbindung zu bringen. Früher warf man Nüsse und andere kleine essbare Sachen nach dem Anderen, heute nimmt man dazu Konfetti und Papierschlangen. Wenn auch der Tag dieses „Frischmachens“ nicht zu allen Zeiten und nicht immer am Mittwoch nach Fastnacht stattfand, so hat er doch immer den eben erwähnten gleichen Sinn gehabt. So heißt es bereits in einer Urkunde aus dem Jahre 1162, „dass Männer und Frauen sich gegenseitig schlagen an zwei Nächten, den sogenannten Fitzelnächten.“ Man nennt diesen Brauch auch nicht überall Aschekehren, sondern bereits auf dem Fläming äschern, anderswo pfeffern, peitschen, kindeln, hauen oder auch schmaostern (slav. smagac = peitschen).
Aus der alten Herrschaft Lauenstein wird uns 1599 berichtet, dass dort das Kindeln oder Dingeln schon bereits um die Weihnachtszeit herum stattfand, dass die jungen Burschen aber dabei so wild seien, dass sie „die Mägde und Weiber entblößen und mit Gerten und Ruten hauen.“ In der Gegend von Weißenfels musste es später verboten werden.
Wie bei vielen Sitten und Gebräuchen, Beispielen beim Sagen- und Märchenerzählen übernahmen unsere Kinder die Handlungen der Erwachsenen, nachdem letztere nach und nach davon Abstand nahmen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass das Aschekehren seine Fortsetzung bei unserer Schuljugend fand. Ich selbst weiß noch, wie eine Bekannte zu meiner Mutter sagte: „Ich habe so auf ihren Jungen gewartet, dass er bei uns aschekehren kam, leider war überhaupt niemand gekommen.“ So tief war die alte Sitte noch in unserem Volksbewusstsein vorhanden, dass man es übelnahm, wenn die Kinder einen nicht „schlugen“. Leider nahm bei uns in Wittenberg und anderswo die alte Sitte Formen an, die man nicht mehr gutheißen konnte. Sie wurde zur Plage für die Geschäftsleute, die sich nicht der „organisierten“ Trupps erwehren konnten, da sie auch nur selten die Ladentüren schlossen.
So wurde die schöne alte Sitte immer mehr zur Unsitte und hatte dadurch keinen Platz mehr im gesellschaftlichen Leben. Doch erinnern wir uns noch einmal der Zeiten, da besonders auf dem Fläming das „Äschern“ und bei uns hier in Wittenberg auch das „Aschekehren“ üblich war. Vor rund 60 Jahren freuten sich alle Kinder auf den Aschermittwoch. Jungen und Mädel zogen an diesem Tage ihre Sonntagskleidung an und machten sich vor dem Schulanfang auf den Weg zu Bekannten und Verwandten. Mit leichten Schlägen mittels der Birkenrute auf den Rücken und Arme wurden diese aschegekehrt. Die so Frischgemachten mussten sich nun loskaufen. Das ist auch ein altes Fastnachtsrecht, das sogenannte Beuterecht. Die Kinder forderten also nicht etwas, sondern die Erwachsenen gaben es freiwillig, weil sie ja den alten Brauch und den Zusammenhang genau kannten. Oftmals sagten die Kleinen dabei ein Verschen auf, dass in manchen Gegenden noch heute als Heischeverschen bekannt ist. Jetzt waren dann die „Geäscherten“ frei von den Schlacken des Winters und konnten freudig dem nahenden Frühling entgegensehen.
Als Dank dafür und als Zeichen des erfolgten Loskaufens schenkte man jedem Kind eine Wasserbrezel, die besonders dafür gebacken wurde. Die kleinen hatten ein Band um den Hals und so reihte sich Brezel an Brezel zu einem großen Ring. Kehrte man vom Aschekehren zurück, so zeigte man der Mutter voll Stolz den Erfolg des morgendlichen Rundgangs. Nun hieß es: „Schnell in die Schule!“ Da plauderte man noch lange über das Aschekehren. –
Kriegs- und Notzeiten der letzten Jahrzehnte haben dazu beigetragen, dass dieser jahrtausendealte Brauch des Aschekehrens fast verschwunden ist. Wo er aber noch hier und da erhalten geblieben ist, da wollen wir Ihnen sorglich pflegen in seiner ursprünglichen Form.
aus: „Freiheit“ vom 23.02.1955
von Heinrich Kühne †