Anstich von Bockbier

     In den Zeitungen erscheinen wieder die Anzeigen über den Austich von „Bockbier“. Bei dieser Gelegenheit sei daran erinnert, daß einst das Wittenberger Bier einen bedeutenden Ruf genoß; namentlich erfreute sich der „Guckuck“ einer allgemeinen Beliebtheit. Wie herzstärkend dieses Gebräu war, das zeigt folgendes Ereignis:
Der berühmte Astronom, Professor Johann Stöffler in Tübingen hatte eine Konjunktur von Saturn, Jupiter und Mars im Zeichen
des Sternbilds der Fische dahin gedeutet, daß im Februar 1524
eine allgemeine Sündflut kommen werde. Die Sorge aber den drohenden Weltuntergang war auch in der Lutherstadt Wittenberg sehr groß und man traf umfassende Anstalten, dem nahenden Unglück nach Möglichkeit zu entgehen. Viele flüchteten sich auf
die die Stadt umgebenben Höhen. Der Bürgermeister Hohndorf aber begab sich auf den wohlverwahrten Dachboden seines Hauses und ließ sich ein Viertel Gebräude „Guckuck“, der damals in 172 Häusern der Stadt bereitet wurde, dahin bringen, denn – wie er sagte – „beim guten Trunke zu leiden.“ Als aber die Tonne leer getrunken war, und die gefürchtete Sündflut noch nicht kommen wollte, da verließ Hohndorf sein hohes Asyl und übernahm wiederum mutig die Leitung der Stadt. Die Brauerei bildete von altersher einen wichtigen Erwerbszweig von Wittenberg. Das Vorrecht zu ihrer Ausübung war an bestimmte Häuser gebunden, deren Besitzer die Bezeichnung „Brauerbe“ trugen. Ihnen waren bestimmte Steuerleistungen und militärische Dienstleistungen auferlegt.
So heißt es im Erbbuch“ Jahre 1513.
„Jeder Brauerbe muß von einem jeglichen Gebräu, so er tut, ein Engelt (Steuer) entrichten, die zu drei Vierteln an den Kurfürften,
zu einem Viertel an die Stadt fällt.“
Diese Steuer betrug in der Stadt Wittenberg 20 Groschen und brachte dem Amte Wittenberg jährlich 200 Silbergroschen ein.
Für die miltärische Ausrüstung hatte nach dem genannten „Erbbuch“ in Wittenberg jeder Brauerbe einen Brust- und Rückenharnisch, eine Sturmhaube und eine Schiene für den linken Arm, ferner einen langen Spieß, eine Hellebarde oder eine Büchse unb einen langen Degen bereitzuhalten. Nach dem „Grimmischen Vortrage“ vom Jahre 1555 hatte Wittenberg das alleinige Recht,
in den diesseit wie jenseit der Elbe gelegenen Dörfern Bier zu verschenken, und zwar bei 10 Gulden Strafe und Beschlagnahme des fremden Bieres, welches in Wirtshausern und Haushaltungen etwa anläßlich von Hochzeiten, Ernten und dergleichen“ verschenkt wurde. Es waren dies folgende 34 Dörfer: Pratau, Dabrun, Melzwig, Wartenburg, Rackith, Lammsdors, Eutzsch, Pannigkau, Klitzschena, Seegrehna, Bietegast, Elster, Reinsdorf, Braunsdorf. Schmilkendorf. Grabo, Piesteritz. Straach, Mochau, Euper, Köpenick, Teuchel, Wiesigk, Dietrichsdorf. Zörnigall, Külso, Iserbegka, Berkau, Hohndorf, Prühlitz, Trajuhn, Thießen und Dobien.
Neben Wittenberg durften auch Kemberg, Schmiedeberg und Zahna braunen, doch mußten diese ihre Brauzeit genau der in Wittenberg anpassen, nicht früher beginnen und aus nicht
später aufhören.
Kemberg besaß damals bedeutende Hopfenpflanzungen, und der Kemberger Hopfen war auf den Hopfenmärkten sehr gesucht.
Aber auch in Wittenberg wurde Hopfen gebaut, worauf der
Name des an der Bruchstraße gelegenen Hopfengartens hinweist.
Im Jahre 1513 besaßen in der Stadt Wittenberg 172 Häuser die Braugerechtigkeit:
1801 gab es 133 ganz und 12 halb brauberechtigte Häuser und
1845 waren 146 ganz und 9 halb brauberechtigte Häuser vorhanden. Weißbier zu brauen wurde 1703 zuerst beschlossen und in den Jahren 1709, 1721, 1722 und 1727 wiederholt als eine in der Landesverfassung und den Steuerausschreibungen begründete Sache nachdrücklichst angeordnet.
Die Gewerbefreiheit bereitete wie so manchem anderen so auch dem Brauprivileg in Wittenberg ein Ende. Auch fehlten den Brauberechtigten die sich fortgesetzt verbessernden machinellen Einrichtungen. Wie sich die älteren unser Leser erinnern werden, erfreute sich das „Rothemärker Weißbier“ lange Zeit eines wohlbegründeten Rufs, aber auch das heute in Rothemark gebraute „Aktienbier“ ist mit Recht beliebt.

aus:  „Unser Heimatland“ vom 25.08.1928