Amtsgericht und Gefängnis

Wie es zum Neubau eines eigenen Gerichtsgebäudes und Gefängnisses kam?
Amtsgericht um 1960
aus: Archiv des HV WB

Am 4. Dezember 1909 wurde das vor dem Schloss Tore erbaute neue Amtsgericht, das zu den wichtigsten und schönsten Gebäuden unserer Stadt gehört, eingeweiht und seiner Bestimmung übergeben. Der Bau hatte eine für die Stadt Wittenberg bemerkenswerte Vorgeschichte.
Wittenberg war im Jahre 1815 unter preußische Verwaltung gekommen. Bei den vielfachen Verlusten, welche die hart geprüfte Stadt durch die Kriegsdrangsale 1813/14 erlitten hatte, wurde es von den Bewohnern freudig begrüßt, als 1816 ein Kreisgericht nach Wittenberg gelegt wurde. Diesem Gericht, das später sich in ein Königliches Amtsgericht wandelte, überließen die städtischen Behörden im Jahre 1820 das ganze obere Geschoss des Rathauses mietfrei zur Benutzung und verzichteten zugleich auf das Recht der Kündigung, sodass dem Justizfiskus tatsächlich für ewige Zeiten die mietfreie Benutzung der bezeichneten Rathausräume zustand. Die städtischen Behörden ließen sich dabei von dem berechtigten Bestreben leiten, der Stadt, die noch schwer an den aus der Kriegs- und Belagerungszeit stammenden Wunden krankte, ein gewisses Lebenselement zu sichern. Als nun der städtischen Verwaltung infolge der durch das Wachstum der Stadt bedingten Vermehrung der Verwaltungsgeschäfte der Raum im Rathaus zu eng wurde, machte sie im Jahre 1886 den Versuch, den lästigen Freibewohner loszuwerden. Aber alle Bemühungen, den Justizfiskus zum Verlassen der Räume zu bewegen, blieben erfolglos. Ende des Jahres 1900 aber wurden bei den gesteigerten Geschäften auch dem Amtsgericht jene Räume zu klein, und der Justizfiskus zog den Neubau eines eigenen Gerichtsgebäudes und Gefängnisses in Erwägung, wozu er sich vorsorglicher Weise bereits bei der Entfestigung Wittenbergs einen günstigen Bauplatz vor dem Schlosstor gesichert hatte. Er zeigte sich jetzt geneigt, sein ersessenes Recht auf das obere Rathausgeschoss aufzugeben, verlangte aber hierfür eine Abfindung in Höhe von 37.400 Mark.

Amtsgericht Wittenberg Ansicht von Berliner Straße
aus: Archiv des HV WB
um 2000

Die Stadt bot aufgrund eines Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung die Summe von 25.000 Mark. Auf dieses Gebot erfolgte zunächst keine Antwort, wohl aber fragt der Fiskus anfangs 1901 an zu welchen Preise die Stadt das in der Pfaffengasse liegende Gerichtsgefängnis, die frühere städtische Antoniterkapelle, übernehmen würde, bei dem die Eigentumsverhältnisse ähnlich lagen, wie bei dem Rathaus. Aufgrund sorgfältiger Abschätzung bot die Stadt für das 760 m² große Grundstück, einschließlich der darauf stehenden Gebäude, 8360 Mark, oder 6 Mark pro Quadratmeter. Auch diese Angelegenheit wurde vom Justizfiskus zunächst nicht weiter erörtert. Aber im Jahre 1904 stellte dieser der Stadt wiederum die Räumung des oberen Rathausgeschosses in Aussicht, verlangte aber, da der Nutzungswert der Räume auf 1200 Mark jährlich festgesetzt war, die Summe von mindestens 30.000 Mark. Da die Stadt jene Räume dringend brauchte, und ihr keine weitere Wahl blieb, so beschloss die Stadtverordnetenversammlung am 26. April 1904, dem Justizfiskus für die Aufgabe seines ersessenen und verjährten Wohnrechts im Rathaus die Abfindungs-summe von 30.000 Mark zu zahlen. Aufgrund dieses Beschlusses kam dann auch der entsprechende Vertrag zwischen diesem und der Stadt zustande.
Nach Bewilligung der erforderlichen Mittel durch den Landtag nahm der Justizfiskus nun sehr bald den Neubau des Amtsgerichts-gebäudes und des angrenzenden Gefängnisses in Angriff. Im Frühjahr 1907 begannen die Erdarbeiten, und bereits am 4. Dezember 1909 konnte – wie bereits bemerkt – die stilvollen fertigen Bauten ihrer Bestimmung übergeben werden.

Quelle:
Geschichte der Stadt Wittenberg, Richard Erfurth 1910

Elke Hurdelbrink

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