Altes Eisen

Von den meisten Wittenbergern ganz unbemerkt, hat sich zu den vielen wertvollen Sehens- und Merkwürdigkeiten unserer Lutherstadt eine neue gesellt, die ihnen zwar keineswegs weder in ihrem Umfang noch in ihrer Bedeutung den Rang streitig machen will, die es aber trotz ihrer Bescheidenheit und ihrer scheinbaren „Unansehnlichkeit“ verdient, daß ihr ein paar Worte gewidmet und Aufmerksamkeit und Verständnis der Allgemeinheit für sie geweckt werden.

Für „altes Eisen“ hat man gewöhnlich nicht viel übrig, und eine Sache, die zum alten Eisen geworfen wird, ist gemeinhin nicht viel wert. Und doch handelt es sich hier um Dinge, die zum großen Teil zwischen altem Eisen gefunden wurden und meistens sogar selbst altes Eisen sind. Dennoch haben sie besonderen Wert, und zwar nicht nur für den Sammler, sondern auch für die Geschichte des deutschen Handwerks und der deutschen Kultur.

Hinter unserem Rathause steht ein schönes, hochgeschossiges, altes Bürgerhaus. Seine weit geöffneten Torflügel geben den Eintritt zu einer breiten Durchfahrt frei, deren hell getünchten Wände neuerdings einen eigenartigen Schmuck tragen:
gußeiserne Ofenplatten, nicht immer noch ganz vollkantig, mit abgebrochenen Ecken – altes Eisen.

Einige von ihnen haben ein recht ansehnliches Alter, stammen sie doch aus den ersten hundert Jahren des künstlerischen Eisengusses. Jede Gegend hat eine ihr eigentümliche Kunst, jede Kunst ihre bestimmte Heimat. Im licht- und farbenreichen Süden entwickelt sich die Malerei; Griechenland und Italien veranlaßten schon frühzeitig ihre Bewohner aus den gefügigen Steinen ihrer Berge Statuen, Säulen usw. herzustellen, und in dem waldreichen Gelände der Voralpen und Mitteleuropas entfaltet sich die Holzschnitzerei. Die Kunst des Eisengusses ist zweifellos auf westdeutschem Boden entstanden. Wo der Sage nach Wieland der Schmied schon seine unübertrefflichen Schwerter schmiedete, da ist sicher auch die Heimat des Eisengusses zu suchen; das Nebeneinandervorkommen von Eisenerzen, Holz und Kohle läßt diese Annahme als sehr wahrscheinlich zu. In China hat man bereits 700 v. Chr. Eisen in kunstvolle Formen gegossen, wie eine 13 Meter hohe Pagode aus dieser Zeit beweist. In Deutschland stellte man noch fast bis zur Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts durch Guß aus Eisen nur Töpfe, Pfannen, Krüge und ähnliche kleine Gebrauchsgegenstände her. Nach der Erfindung des Schießpulvers goß man auch Geschützkugeln. Aus Siegen wird im Jahre 1444 berichtet, daß man dreißig eiserne Geschütze herstellte. Der Gießer verzierte die Kanonen gern mit Wappenbildern und Ornamenten. Diese aber ließen sich viel eindrucksvoller und leichter anbringen auf den ebenen Platten der in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts in Westdeutschland in Gebrauch gekommenen eisernen Oefen. Zu ihrer Herstellung entwickelt sich eine besondere Industrie zunächst im Rheinland, später auch in Hessen und im Harz.

Der Ofen, „der stille Tröster in kalten, sonnenlosen Tagen“, erfreut sich in unserem Vaterlande seit alter Zeit besonderer Wertschätzung. Diese offenbarte sich nicht nur in seinem sorgfältigen, die Wärme des Feuers gut ausnutzenden inneren Ausbau, sondern auch in der Ausschmückung seines Aeußeren. Hier hatte die Volkskunst schon lange Gelegenheit zur Betätigung gefunden; das beweisen die freilich nur in geringer Zahl aus dem Mittelalter erhaltenen Oefen zur Genüge. Uns Wittenbergern dürfte allen der figurenreiche Kachelofen der Lutherstube bekannt sein.

Das ausgehende Mittelalter und auch die beginnende Neuzeit hatten ein brennendes Bedürfnis nach sinnfälliger Anschaulichkeit, darum wurden Ton- und Glaskrüge, Truhen und Schränke, ja selbst Rüstungen und Häuser mit bildlichen Darstellungen geschmückt. Der Ofen, der in langen Wintertagen und -abenden willkommener Gesellschafter war, blieb nicht ausgenommen. Gerade die Bilder, die seine Platten belebten, mögen wohl oft Gelegenheit zu besinnlicher Unterhaltung gegeben haben.

Die ältesten noch vorhandenen gußeisernen Ofenplatten stehen mit ihrer Ausschmückung noch ganz unter dem Einfluß des mittelalterlichen Kunstgeschmacks; auch setzt die noch unvollkommen ausgebildete Technik dem guten Willen gewisse Schranken, die erst allmählich durch ein verbessertes Gieß- und Formverfahren erweitert werden. Massige Ornamente, Gestalten von Heiligen, breit und wuchtig in die Fläche hineingesetzt, bilden den ersten Schmuck. Gotisches Maßwerk, krabbenbesetzte Spitzbögen, kunstvoll verschlungene Zweige und Reben bedeuten schon einen Fortschritt. Die im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts in Deutschland einziehende Renaissance bemächtigt sich auch der Ofenplatten. Putten und Delphine treiben darauf ihre neckischen Spiele; Darstellungen aus der antiken Heldensage füllen ihre Flächen mit heroischen Bildern. Die Eisengießereien in Hessen und im Harz aber bevorzugen mehr Bibelbilder, wofür Luther durch sein Auftreten und seine Bibelübersehung weitgehendes Interesse geweckt hat. Die „Hochzeit zu Kana„, der „verlorene Sohn„, der „reiche Mann und der arme Lazarus“ werden besonders gern abgebildet. Oft steht auch der ganze Bibeltext neben dem Bilde.
Dr. Kippenberger schreibt in seinem Werke
„Die Kunst der Ofenplatten“:
„Die großen Oefen, bedeckt mit Szenenbildern aus der Bibel, stellen eine monumentale Form der Bilderbibel dar; eindringlichst mögen sie betrachtet worden sein, wenn die Leute im Winter um den Ofen herum saßen und die Geschichten der Bibel wie aktuelle Ereignisse miteinander besprachen. Die Bibelöfen entsprangen so viel weniger einem ästhetischen Bedürfnis als vielmehr, wie es eigentlicher Kunst wesenhaft ist, einer seelischen und geistigen Notwendigkeit. So widersprechen die Ofenplatten dem, was wohl gesagt worden ist, daß die Reformation keinen künstlerischen Niederschlag gefunden habe. Sie waren eigentliche Volkskunst und sind als solche über alle Länder, in denen das neue Bekenntnis sich durchsetzte, verbreitet worden.
Deutsche Bilderbibelplatten mit deutschen Unterschriften wurden in der ganzen Welt damaliger Zeit betrachtet. Sie waren Flugblätter der in Deutschland unter Stürmen machtvoll erwachten geistigen Bewegung.“

Neben dieser ideellen Bedeutung der gußelsernen Ofenplatten war ihre wirtschaftliche nicht geringer. Deutsche Eisengießereien belieferten lange Zelt die nordischen Länder, Holland, Ost-Frankreich und England mit gußeisernen Oefen, bis dort eigene Industrien entstanden, die aber gern für die Ausschmückung ihrer Erzeugnisse deutsche Vorbilder und Modelle benutzten, so daß der Charakter dieser Kunst im Grund deutsch blieb. In der „neuen Welt“ entwickelte sich in Pennsylvanien unter dem Einfluß deutscher Auswanderer, die in der Fremde ihren mit Bildern aus der heiligen Schrift geschmückten heimischen Ofen nicht missen konnten, eine eigene Industrie, die anfänglich alte Platten einfach nachgoß, später aber dazu überging, nach den Arbeiten deutscher Formenschneider neue Platten mit biblischen Bildern zu gießen.

In den Zimmern der städtischen Häuser sucht man heute den massigen Ofen mit eisernen, bilderreichen Wänden vergeblich. Auch aus den Amtsstuben des Rates und anderer hoher Behörden, wo er mit seiner Wuchtigkeit, wappengeschmückt, Würde und Repräsentation nachdrücklichst unterstrich, ist er verschwunden. Nur hin und wieder finden sich noch kümmerliche Reste in alten ländlichen Wohnhäusern. Die meisten Platten sind infolge geringer Wertschätzung des Materials und infolge der Unkenntnis ihres kulturellen Wertes der Verschrottung und Einschmelzung verfallen, oder sie dienen, von vielen eilenden Füßen glatt getreten, als Deckel für Regenrinnen usw.

Mit Freuden ist es darum zu begrüßen, wenn in Sammlungen künstlerische Ofenplatten als Dokumente eines einst weit verbreiteten und sehr beliebten Zweiges deutscher Volkskunst erhalten bleiben; erhalten bleiben als Zeugnisse einer Zeit, die im inneren Herzen spürte, was sie erschuf mit ihrer Hand, einer Zeit, die bei der Ausgestaltung der Wohnräume nicht rücksichtslos den Grundsatz der strengen Sachlichkeit vertrat, die nicht nur dem nüchternen Verstande, sondern auch dem besinnlichen deutschen Gemüte Rechnung trug.

Altes Eisen?

Friedrich Belding †

aus: Blätter für Heimatgeschichte November 1932

 

Quellen: Dr. A. Kippenberger: „Die Kunst der Ofenplatten.“
Dazu verschiedene Abhandlungen aus den Jahrgängen
31, 34. 36, 46 der Zeitschrift Stahl und Eisen.“