1954.04.17. Freiheit Nr. 90
Ostern ist ein altgermanisches Fest, der Frühligsgöttin Ostara gewidmet. Wenn das neue Licht die ersten Grashälmchen hervorlockte, wenn die Bäume anfingen sich mit frischem Grün zu belauben, dann durchzog Ostara segnend die Flur. Nun feierten unsere Vorfahren das Ostarafest.
Die ganze Dorfgemeinschaft zog hinaus — die jungen Burschen meist zu Pferde — und umschritten in feierlichem Zuge die Felder.
Gleichzeitig wurde mit dem Pfluge eine Furche um das Besitztum gezogen, um die Geister des Misswachses, des Unwetters und all die anderen bösen Dämonen den Zugang zur Flur zu verwehren. An den Umgang schieß sich ein Wettkampf im Laufen. Springen und Reiten.
Je höher die Leistungen bei diesem Spiel gesteigert wurden, desto besser gediehen die Früchte im kommenden Jahr. Denn die im Wettkampf entwickelte Kraft übertrug sich nach der Meinung
unserer Vorfahren auf die nächste Ernte. Hierauf erfolgten das
Opfer und die Opfermahlzeit, wobei auch der gemeinsame
Umtrunk nicht vergessen wurde.
Noch heute umgrenzt der Bauer in manchen Gegenden unserer
Heimat zur Osterzeit sein Feld mit dem Pfluge.
Noch heute wird kein größeres Fest ohne Umtrunk und
gemeinsames Mahl gefeiert, wobei allerdings der gemeinsame
Umtrunk durch Zutrinken ersetzt wird.
Ein wichtiges Sinnbild für Leben und Auferstehung war den germanischen Vorfahren das Bi.
Man erkannte den in dem scheinbar toten Gebilde enthaltenen
Keim zu neuem Leben, und man glaubte diese Lebenskraft
übermitteln zu können.
Wer das Ei isst, der nimmt die in ihm schlummernde Lebenskraft auf. Darum vermehrte man zum Frühlingsfest möglichst viele Eier und
beschenkte auch Bekannte und Verwandte damit.
Man überreichte sie aber nicht einfach als Geschenk,
sondern versteckte sie scherzhafterweise in Feld und Flur und
ließ sie aufsuchen.
Noch heute werden am Gründonnerstag und zu Ostern reichlich Eier oder Eierspeisen genossen, nur kennt man die Bedeutung nicht mehr.
Für die Kinder versteckt man wohl noch heute die Eier in Haus,
Hof und Garten und lässt sie aufspüren.
Symbolische Bedeutung hatten auch die jungen Zweige von Haselnuss, Birke und Weide, die der Germane zur Osterzeit in sein Haus brachte. Sie waren ihm Sinnbilder des erwachenden Lebens, der Kraft und der Gesundheit. Er berührte in feierlicher Weise alle seine Familienmitglieder damit, um die heilsamen Kräfte auf sie zu übertragen, dann band er einzelne Zweige zusammen und steckte sie hinter Schränke, über die Flurschwelle oder an die Stall- und Scheunentür und glaubte so einen wirksamen Schutz gegen böse Geister und Unwetter zu haben. Bis auf den heutigen Tag ist es Sitte, bei anbrechendem Frühling Sträuße von jungen Zweigen, namentlich von der Saal- oder Palmweide, ins Haus zu holen, um damit sein Heim zu schmücken und sich an dem hervorsprießenden Grün zu erfreuen. Der ursprüngliche Sinn dieses Brauches ist aber verloren gegangen.
Quellen, Flüsse und Teiche glaubten die Germanen von allerlei Nixen und Wassergeistern belebt. Sie waren den Menschen im Allgemeinen günstig gesinnt und verliehen Wasser, namentlich zur Frühlingszeit,eine heilende Kraft.
Daher gingen auch in der späteren Zeit F rauen und Mädchen am Ostermorgen vor Sonnenaufgang zum Wasser, aber stillschweigend, um die Geister nicht zu stören, füllten ihre Krüge und warfen dann einen Blumenstrauß als Dank und Opfergabe hinein.
Das Wasser wurde im Hause aufbewahrt und blieb das ganze Jahr hindurch frisch. Es wirkte heilend, besonders bei Augenkrankheiten und verschönte das Gesicht.
Auch der Tau hatte einen wohltuenden Einfluss auf den Körper
des Menschen. Wer sich am Ostermorgen vor Sonnenaufgang im
nassen Grase wälzte, blieb das ganze Jahr hindurch gesund.
Sogar die Hand, die über das taufeuchte Gras fuhr, wirkte heilend
bei Berührung auf andere.
So war der Glaube unserer Vorfahren.
Jahrtausende sind über die altgermanischen Sitten und Gebräuche
dahin gerauscht, aber trotzdem haben sie sich in Resten erhalten.
So kärglich diese Überbleibsel auch sein mögen, so sind sie doch
von größter Bedeutung, denn sie geben der Vorgeschichtswissenschaft wichtige Hinweise zur Erforschung der altgermanischen Kultur.
Storm