Als es noch keine Bürgersteige gab

Wenn wir einige Unbequemlichkeiten bei der Verlegung der Gasleitung und S traßenarbei ten in der Innenstadt in Kauf nehmen, so sollten wir daran denken, daß das eine vorübergehende Erscheinung ist.
Anders war das Betreten der Hauptstraßen und engen Gassen in früherer Zeit.
Liest man, daß bereits bei den Römern Steinstraßen mit Randsteinen neben gepflockten Pfahlwegen aus Birke, Tanne und Erle bestanden, daß ferner schon in Babylon zerkleinertes Gestein, also Kleinschlag, zur Anwendung kam und in Pompeji bereits eine Art Asphalt zu finden war, so muß man sich wundern, wie spät erst in Deutschland an Straßenpflaster und Gehwege gedacht wurde. Auch damals kam es schon zu Straßensperrungen und zu Umleitungen.

Die früheste bekannte Pflasterung hatte wohl Prag im mittleren Europa seit 1333. Um 1400 weiß man von Straßenpflasterungen in Bern, Regensburg, Straßburg, Nürnberg, Augsburg, und hölzerne Übergänge kannte man schon früher.
So wurde die alte Handelsstraße Wittenberg – Kemberg mit Faschinen und Pfählen befestigt und deshalb nannten die damaligen Reisenden die Landstraße „den hölzernen Steinweg bei Kemberg“. Es war aber meist nur eine lange Steinreihe in der Mitte der Hauptstraßen in einer alten Stadt vorhanden. Rechts und links war dicker Morast, deshalb versank das Roß des Kaisers Friedrich III. in Tuttlingen bis an die Schenkel im Schmutz.

In Wittenberg war es bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts auch nicht anders.

Außer diesem Mittelstreifen, der auch von Karrenfahrern und Reitern benutzt wurde, die den Fußgänger in den Dreck stießen, gab es keine Bürgersteige. Daher heißt es auch in einem alten Studentenlied: „Wo sind sie, die vom „breiten Stein nicht wanken und nicht wichen?“

Die Bäche waren offen und vor den Häusern in der Mittelstraße standen kleine Holzhäuschen, die nach unten in den Bach mündeten, ihr Zweck war leicht zu erkennen. Auf einem schmalen Grünstreifen unmittelbar am Hause konnte man dort auch Ziegen und Schafe weiden sehen.

Heinrich Kühne