Grabplatte von Martin Luther

Unstimmigkeiten der lateinischen Inschrift auf der Grabplatte von Martin Luthers Grab in unserer Schlosskirche.

Auf Anfrage eines Berliner Bürgers gab Heimatvereinsmitglied Bernhard Gruhl nachfolgende Antwort, die wir auch in unser Archiv übernommen haben:

Diese Inschrift gibt Luthers Lebensalter mit LXIII Jahren, II Monaten und X Tagen an. Das stimmt nicht mit den in den heutigen Lexika angegebenen Lebensdaten Luthers überein (10. Nov. 1483 -18. Febr. 1546). Danach lebte er nur LXII Jahre, III Monate und X Tage. Am 10. Nov. 1545 konnte er seinen 62. Geburtstag feiern. Bis zum Tod am 18. Febr. 1546 waren es noch 3 Monate bis zum 10. Febr. und 8 Tage nach moderner Zählweise bis zum 18. Febr. Nach antiker Zählweise sind das 9 Tage. Dass hier X Tage angegeben sind, kann viele Gründe haben, die hier nicht näher erörtert werden müssen. Nach unserer heutigen Kenntnis scheint demnach die Grabplatte zwei „Fehler“ zu enthalten: Statt LXII Jahre und III Monate sagt sie LIII und II. Der bekannte Forscher Hans Lietzmann (1875-1942) hat 1911 in einem wissenschaftlichen Artikel vorgeschlagen, eine I bei der Angabe des Lebensalters zu der Monatsangabe zu versetzten. Das ergäbe LXII Jahre und III Monate. So leicht aber lässt sich das Problem leider nicht lösen!
Es gibt viele Zeugnisse, die behaupten, dass Luther, als er starb, bereits 63 Jahre alt war. Die wichtigsten sind folgende:

1. Als Kurfürst Johann Friedrich (R. 1532-47; + 1554) von Luthers Tod erfuhr, stiftete er sofort eine große Bronzegrabplatte für ihn,
die 1548 in Erfurt von Heinrich Ziegler gegossen und später in
der Michaelskirche in Jena angebracht wurde, wo sie heute noch
zu sehen ist. Für die Wittenberger Schlosskirche schuf man 1890 eine Kopie und brachte sie an der Wand neben Luthers Grab an.
Ihre Inschrift, die von Melanchthon und einigen anderen maßgebenden Theologen der Wittenberger Universität verfasst worden ist, sagt eindeutig:
… EX HAC MORTALl VITA EVOCATUS EST ANNO AETATIS SUAE LXIII.
(„Er wurde aus diesem sterblichen Leben abgerufen im Alter von 63 Jahren.“
Vgl. bei Joachim Rogge: Martin Luther / Sein Leben / Seine Zeit / Seine Wirkungen, Berlin 1982, Seite 381 zu Nr. 464.
Also gingen die maßgeblichen Männer kurz nach dem Tod des Reformators davon aus, dass er im Alter von 63 Jahren gestorben sei. Die Übersetzung „in seinem 63. Lebensjahre“
(Naumann S. 120) halte ich für nicht richtig.

2. Im Lutherhaus Wittenberg ist eine Zeichnung von Luthers Famulus Reifenstein zu sehen, die den alten Reformator beim Vortrag zeigt. Die lateinische Inschrift dabei (wohl von Melanchthon stammend?) sagt (übersetzt): „Im Jahre 1546, im Alter von 63 Jahren, am Beginn seines 64. Lebensjahres, starb er am 18. Februar nachts zwischen 2 und 3 Uhr.“ (vgl. Rogge, in dem genannten Buch Seite 291 und dazu die Übersetzung S. 381 oben).

3. Der Wittenberger Professor Carl Gottlob Hofmann versichert in seiner Dissertatio Historico-Theologica de Funere et Sepulcrum D. Martini Lutheri (Historisch-Theologisches Streitgespräch über das Begräbnis und das Grabmal Doktor Martin Luthers, gedruckt in Wittenberg 1746, § XXXVIII), dass Lucas Cranach d. J. (1515-86) auf ein von ihm 1562 für die Universität gemaltes Ganzfigurenbild Luthers in Latein schrieb (hier übersetzt): „Luther lebte LXIII Jahre, III Monate, IX Tage.“ Das entspricht fast genau der Inschrift auf Luthers Grab. Die etwas abweichende Angabe IX Tage gegenüber X auf der Grabplatte zeigt, dass Cranach die Platteninschrift nicht nur abgeschrieben hat, sondern eine eigene Meinung dazu hatte. Leider ist das Bild 1760 in der Schlosskirche beim großen Brand vernichtet worden.

4. Der neulateinische Dichter Balthasar Mentz überliefert uns in seinem Werk über die Wittenberger Grabdenkmäler (Syntagma Epitaphiorum usw., gedruckt Magdeburg 1604, Buch I, Seite 43) ein langes deutsches Gedicht über Luther, das sein Lebensalter mit den Worten angibt: „Also sein lauff durch Gottes gnad / großmütiglich (=geduldig) vollendet hat / Grad in neunmal sieben Jahren / Darin er hat viel tück (Tücke) erfahren.“ Man sah in der Zahl 63 eine besondere Bedeutung, weil sie aus den „heiligen“ Zahlen 3×3=9×7 zusammengesetzt ist. Man glaubte im Altertum und dem folgend im 16. Jh., dass es im Menschenleben besondere Schicksalsjahre gäbe (Klimakterien = „Stufenjahre“, z.B. 7, 14, 21, 28 usw. So ein Schicksalsjahr sollte auch das 63. sein. Ein Zufall, dass auf beiden Grabplatten, der Luthers und der Melanchthons, 63 Jahre angegeben sind?

5. In dem Bericht über Luthers letzte Gespräche mit Tischgenossen in Eisleben und seinen Tod berichten seine Freunde Justus Jonas und Michael Coelius, dass Luther sagte: „… wenn ich D. Martinus dreysechziger sterb / so halt ich nicht / das ihr sechzig oder hundert durch die We1t mit mir sterben / … “ (vgl. „Vom Chrislichen abschied aus diesem tödlichen leben des Ehrwirdigen Herrn D. Martini Lutheri“, als Reprint hr. vom Ev. Predigerseminar Wittenberg im Verlag Joachim Siener Stuttgart 1996, auf der 22. Seite).

6. Zusammenfassend kann man sagen, dass man sich aus verschiedenen Gründen (vielleicht spielten auch astrologische Spekulationen hinein?) über Luthers Geburtsjahr und Alter nicht einig war und es verschieden überliefert hat. Melanchthon war später auf Grund seiner Nachfrage bei Luthers Bruder Jakob und anderen Verwandten der Meinung, dass 1483 das Geburtsjahr des Reformators gewesen sei und hat sich damit durchgesetzt. Ob 1483 stimmt, lässt sich aus den abweichenden Angaben seines Lebensalters auf Grabplatten und in anderen Zeugnissen nicht sicher ableiten.

Literatur: Heimatkalender 2016, S29 bis 45

Bernhard Gruhl
25.11.2017

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