„Kuckuckbier“ reichte nicht

Gasthof zum schwarzen Baer um 1890
aus: Archiv des HV WB

Das Biertrinken gehörte in früherer Zeit zur alltäglichen Nahrung, man sprach deshalb auch von der „Braunahrung“. Jede Stadt hatte damals die Einwohnerschaft mit Hausbesitz in VoIlbürger und in Budelinge eingeteilt. Nur die Vollbürger hatten gleichzeitig mit anderen Vorrechten auch das eigene Brauen, was deutlich aus der städtischen „Willkür“ vom Jahre 1504 hervorgeht.
Vor der Reformation, also vor dem großen Ansturm der Studenten, wurden im Jahre 1510 über das ganze Jahr verteilt, insgesamt 850 sogenannte „Brauzeichen “ von dem Rat der Stadt gegen Entrichtung einer Gebühr ausgegeben.

Hotel zum Goldenen Adler um 1530
aus: Archiv des HV WB

In der Regel brauten die Hausbesitzer drei- bis viermal im Jahre, manche aber auch gar nicht, andere wiederum bis zu sechsmal. Später ging der städtische Braumeister zu einigen Besitzern hin und erledigte die Arbeit gegen Entgelt. Nachdem nun die große Zeit der Wittenberger Hochschule vorbei war, ließ auch das Brauen nach, was für das Jahr 1730 dann so aussah, daß nur noch 345,5 Gebräude durchgeführt wurden, obgleich die Stadt eine große Anzahl neuer Häuser gegenüber 1510 hatte.
Das Wittenberger Bier war zu dünn, was einmal Bugenhagen an den Kurfürsten berichtete und dabei das Torgauer Bier besonders hervorhob. Aber auch anderes Bier der Umgebung war besser, als das Wittenberger, das meist nur als Tischbier, also im Haushalt, Verwendung fand. In den Gasthöfen „Schwarzer Adler“ (heute Hotel „Goldener Adler“), „Schwarzer Bär“ und im Ratskeller kamen Biere aus Belzig, Coswig, Eilenburg, Jessen, Zahna, Schmiedeberg, Kropstädt, Bleesern. Seyda, Pretzsch, Dessau, Kemberg und Löbejün zum Ausschank. Da diese Orte in der näheren Umgebung der Stadt lagen, war die Einfuhrsteuer nicht zu hoch.

Hotel Goldener Adler um 1940
aus: Archiv des HV WB

Anders war es mit dem berühmten Einbecker Bier, das hier schon 1510 bei besonderen Anlässen, wie Fürstenbesuchen und Ratswahlen, getrunken wurde. Durch die spätere hohe Besteuerung lohnte sich der weite Transport mit Pferd und Wagen nach hier nicht
mehr, ähnlich verhielt es sich später mit dem nicht weniger berühmten Zerbster Bier. Dieses gute Getränk löste das Einbecker Bier ab, es wurde bis nach Dresden bei Geschenksendungen transportiert. Der Rat der Stadt versorgte damit bestimmte Hofschranzen, die einflußreiche Positionen inne hatten und nun schneller ols sonst die Angelegenheiten zum Wohle des Rates der Stadt Wittenberg erledigten.
Als beispielsweise zwei sächsische Prinzen im Wittenberger Schloß im Jahre 1642 übernachteten, erhielten sie als Ratsgeschenk rund 60 Liter Rheinwein und ein Faß Zerbster Bier. Diese fremden Biere wurden auch von Wittenberger Professoren eingelegt, das ging dann soweit, daß selbst die Universität und eine große Anzahl hochgestellter Lehrer durch kurfürstlichen Befehl zur Ordnung gerufen werden mußten. Sie kümmerten sich mehr um den Bierausschank, als um die Lehrtätigkeit. Vor allem aber schmälerten sie das Einkommen im Ratskeller, was sich die Herren Senatoren natürlich nicht gefallen ließen
Als dann die Steuerlast immer größer wurde, mußte man leider auf das gute Zerbster Qualitätsbier verzichten und mit dem Bier aus den genannten Ort vorlieb nehmen. Nach 1700 kam dann allmählich der sogenannte Broihahn auf, ein Weizenbier, das bald viel getrunken wurde. Gingen aber die Wittenberger Bürger aus der dumpfen, sommerlichen heißen Innenstadt in die Vorgärten, die vor den Stadttoren lagen, so konnten sie in drei Schänken einkehren.
Dort gab es allerdings für sie nur „Wittenbergisch“ Bier, denn nur dieses durfte laut Konzessionsbewiiligung dortausgeschenkt werden.

Heinrich Kühne †

aus: „Freiheit“ vom 04.07.1970