Das Moormännchen von Jahmo

1957.03. Wittenberger Rundblick

Das Flämingdorf Jahmo besteht aus dem Unterdorf und dem Oberdorf. Dicht beim Unterdorf befindet sich ein großes Moorgelände.
Die mit den Wegeverhältnissen vertrauten Einwohner konnten auf einem bestimmten Streifen darüber hinwegschreiten, wenn es nicht geregnet hatte und Sommer war. Ein Abkommen von dem Wege wurde manchem zum Verhängnis.
In früheren Zeiten – so erzählten sich die Alten – hat hier ein großer Tümpel gelegen, der das Moormännchen beherbergte. Diesem Wesen schrieb man übernatürliche Kräfte zu. Es konnte Gutes und Böses tun. Um dieses Männchen immer bei guter Laune zu erhalten, war es üblich, daß die Jahmoer ihm von dem Gebackenen und Geschlachteten immer etwas zukommen ließen.
Diese Sachen warf man einfach in den Tümpel; das Moormännchen würde es schon finden.
Ein armer Häusler hatte einmal diese Gabe ganz vergessen, und als seine einzige Kuh erkrankte, dachte er sofort an das Moormännchen.
Er holte das Versäumte nach und siehe da, die Kuh wurde wieder gesund.
Übler erging es aber einem geizigen Bauern im Oberdorf.
Er hatte geprahlt, daß mit dem Moormännchen alles lauter Schwindel sei und daß er nichts mehr in den Tümpel werfen würde. Wie erschrak er aber, als er eines Nachts aufwachte und ein heller Feuerschein ihn umgab. Seine gefüllte Scheune brannte restlos nieder. Er hatte noch Glück im Unglück, daß ihm das Wohnhaus und der Stall erhalten blieben, Nie wieder hatte er es unterlassen, dem Moormännchen seinen Anteil vorzuenthalten.
Aber auch Gutes läßt sich von dem Moormännchen berichten.
Im baufälligen Armenhause wohnte ein altes Mütterchen, das sich Brennholz im nahen Walde sammelte und nach Hause trug. Das Gehen mit der schweren Last auf dem gebückten Rücken fiel ihm sehr schwer. Von Zeit zu Zeit blieb es stehen und ruhte sich aus. Da kam ein kräftiger Mann des Weges, der der alten Frau die Last abnahm und nach Hause trug. Dabei unterstützte er noch außerdem das Mütterchen beim Gehen, so daß beide schnell zum Armenhause gelangten. Dort bat er die alte Frau, sie solle nur in ihre Stube gehen und sich ausruhen. Inzwischen trug er das Holz in den Schuppen. Wie aber erstaunte die Alte, als sie nach einiger Zeit in den Holzschuppen kam, um dem Fremden zu danken.
Sie fand nämlich das ganze Holz schön zerkleinert und aufgestapelt vor.
Für lange Zeit war ihr eine drückende Sorge genommen. Sie dachte sofort an das Moormännchen, weil man ja im Dorfe wußte, daß sich dieses Geschöpf in mancherlei Gestalt dem Menschen nähern konnte.
Dankbar erzählte sie davon, und bald wußten es alle Leute, wie gut das Moormännchen zu den Armen und Hilfsbedürftigen war.

Spätere Generationen warfen den Tümpel zu, und damit wurde auch das Moormännchen vertrieben. Nur an stillen Winterabenden, wenn alles im tiefen Schnee liegt, dann erzählen die Alten im Dorfe diese Erlebnisse mit dem Moormännchen, das aber niemand wieder zu sehen bekam.

Gustav Gresse

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