Fastnachten und Zempern rings um Wittenberg

im Titelbild: Herr Julius Riemer,
Leiter des Naturkundlichen-Völkerkundlichen Museum Wittenberg

Kaum ist der Neujahrstrubel vorbei, dann erscheinen in unserer „Freiheit“ wie seit über 100 Jahren regelmäßig Anzeigen, daß in diesem oder jenem Dorfe unseres Kreises Fastnachten stattfinden. In katholischen Gegenden beginnt das über 40 Tage anhaltende Osterfasten. So gleichlautend die beiden Worte sind, so haben sie dennoch miteinander in ihrer Bedeutung nichts zu tun.

Fastnachten hängt mit Faseln zusammen. nicht mit Fasten.
Späße undNarreteien waren um diese Zeit in Schwung, und dies alles nannte man Faselei. Von all den schönen Bräuchen ist nach und nach viel verschwunden. Erst ganz allmählich und unter mancherlei Schwierigkeiten leben einige davon wieder auf. So ist mir bekannt, wie schwer es in manchen Orten in diesen Jahren war, einen „Platzmeister“ für die Fastnachten zufinden. Früher war es die größte Ehre, die ein Bursche in seiner Jugend erringen konnte, wenn er zum Platzmeister oder Platzknecht gewählt wurde. Diese jungen Männer wurden als Festordner und Kassenverwalter während der Fastnachten eingesetzt. Auf dem Saal tanzten sie mit den Dorfschönen und gaben sie dann nach einigen Runden an einen anderen Tanzpartner ab. Dies nannte man „Antanzen“. Lehnt ein Mädchen den neuen Tänzer ab, so wird ein Tusch geblasen und sie muß den Saal verlassen. Dieser Brauch ist noch überall anzutreffen. Ich hörte im vergangenen Jahr auch davon, wie eine dieser Abweisenden unter Protestrufen der jungen Burschen vorzeitig nach Hause gehen mußte.
Wie sieht nun ein richtiger Platzknecht aus?
Als Zeichen seiner Würde hängen ihm viele bunte Bänder
von der Brust herab.
Als Abschluß hat er einen Strauß bunter Papierblumen an
der Schulter. Auch der Hut oder Zylinder ist geschmückt.
Die Platzknechte führen ferner den Umzug an, der von Haus zu Haus, in dem ein junges Mädchen wohnt, das am Fastnachtstreiben teilnimmt, unter Musikbegleitung durch den Ort zum Gasthof geleitet wird. Zu Paaren geordnet geht es unter allerlei Scherzworten durch jeden Ortswinkel.
In manchen Dörfern unseres Kreises ist auch heute genau wie in alter Zeit das Zempern üblich. So einfach, wie es sich mancher HeimatschriftsteIler der Vergangenheit hier machte, ist es mit der Erklärung des Wortes nicht abgetan. Man sagte damals:

„Das Wort stammt von dem lateinische Wort decem, gleich zehn, den Zehnten nehmen. Der Brauch weist auf die Zeit der Naturalwirtschaft, in welcher der zehnte Teil der Feldfrüchte als Steuer erhoben wurde.“

Man sah hierbei nur das heutige Zempern, das das Einsammeln von Lebensmitteln anläßlich des Umzuges der jungen Burschen durch das Dorf darstellt. Diese Gaben werden von den Eltern der Dorfschönen gespendet die dafür ein Ständchen bekommen.
In der Regel werden diese nahrhaften Sachen einige Tage nach
den Fastnachten beim „Zemperschmaus“ verzehrt, manchmaI sollen sie auch versteigert werden.
Diese ganze Angelegenheit hatte aber früher einen ganz anderen Sinn, denn Fastnachten gehört zu den Frühlingsgebräuchen unserer Vorfahren. Sie wurden örtlich verschieden in ganz Deutschland ausgestaltet. Der alte Winter wurde davongejagt und der junge, neue Frühling mit großer Fröhlichkeit erwartet und eingebracht. Neben den bei uns noch bestehenden Umzügen, Tanzen und Gabensammeln, geschah es anderswo durch Vermummung, Lärmen, Springen, Schrecken, Schlagen, Wahrheitssagen, Totschlagen des Winters und anderes. Im Westen und Süden unseres Vaterlandes hat sich das Verkleiden und Maskieren bis heute stärker erhalten als bei uns im ehemaligen Kolonisierungsgebiet des Mittelalters. Im Althochdeutschen finden wir das Wort „scema“, das soviel wie Larve oder Maske bedeutet. Dieses Wort findet man aber später nicht mehr erwähnt, bis es im Fränkischen als „Schembart“ oder „Schempert“ wieder erscheint.
Damit war aber stets ein Umlauf verbunden mit Charaktermasken, die in den reichen süddeutschen Städten kunstvoll angefertigt,
aber auch in den entlegenen Dörfern als Arbeiten wahrer Volkskunst selbst geschnitzt wurden.
Hier finden wir deutlich den Zusammerhang des Wortes Schempert mit unserem Zempern, und unser Umzug mit seinen Platzknechten ist der Rest des Brauches.
In den an der EIbe gelegenen Orten wurde das Schifferfastnachten besonders gefeiert. So trug man früher zum Beispiel in Elster auf der „Zemperstange“ das Modell eines Segelschiffes. Es wurde von den Schiffern in schmucker Tracht im Umzug getragen. Während die Bewohner der Elbaue mehr den „Guten Montag“ (Erntefest) feiern, waren Fastnachten in den Flämingdörfern das größte Fest. Im alten Piesteritz waren Hüfnerfastnachten. Hier handelte es sich wohl um Männerfastnachten. Daran dürfen in der Regel nur Verheiratete teilnehmen. Die oben geschilderten Fastnachtsbräuche beziehen sich auf Jugendfastnachten.
Auch in unserer alten Fläming- und ehemals mit stark bäuerlichem Einschlag bestehenden Stadt Wittenberg wurde Fastnachten gefeiert. Bis heute hat sich der Brauch in der Schloßvorstadt und in Friedrichstadt erhalten. Im Jahre 1671 klagte der Seydaer Pfarrer händeringend. daß „die Knechte im Städtchen auf den Dörfern zu ihrer Fastnachtsfeier nach Bratwürsten gehen“. Er sah dieses als eine Entehrung der Fastenzeit an. Ihm zum Trotz wurde aber dennoch Fastnachten weiter gefeiert. Möge dieser Brauch aus alter Zeit auch unter den neuen ökonomischen Verhältnissen auf dem Lande weiterhin erhalten bleiben. Möge sich niemand diesem lustigen Treiben unserer Jugend verschließen, sondern selbst mitmachen. Sonst könnte es vorkommen, daß man ihm den alten Zemperspruch zurufen würde:

Hühnermist und Taubenmist,
In dem Hause gibt es nichts!
Ist das Licht eine Schande,
In dem ganzen Lande?

Heinrich Kühne †

aus: „Wittenberger Rundblick“ vom Feb. 1956