Postgeschichte ist ein Stück Kulturgeschichte.
Dem Heimatforscher und Philatelisten bietet die Geschichte unserer Lutherstadt besonders viel Interessantes. Beim Aufbau meiner postalischen Heimatsammlung stieß ich auf ein besonders interessantes Kapitel, das den älteren Lesern noch in Erinnerung sein wird und von dem ich den Jüngeren erzählen möchte.
Im Postgesetz von 1871 hatte sich die Reichspost die Postbeförderung von einem Ort zum anderen vorbehalten. Findige Privatunternehmer merkten bald, daß dem Gesetzgeber ein Versehen unterlaufen war, denn er hatte nicht daran gedacht, die Beförderung innerhalb der Städte auch als Vorrecht für sich zu beanspruchen, so daß es also den Privatunternehmern möglich wurde, als Konkurrenz für die Reichspost Privatpostanstalten in den Städten zu errichten.
Nach und nach bildeten sich in den deutschen Städten 172 verschiedene solcher Anstalten, die schnell und billig arbeiteten, mehrmals am Tage die Briefe zustellten und durch viele bequem angebrachte Briefkästen schnell die Gunst der Bevölkerung erwarben.
Am 2. Juli 1896 gründete Wilhelm Hube die Wittenberger „Privatbrief- beförderungsanstalt Courier“.
Er mietete im Zentrum der Stadt einen Laden als Geschäftszimmer, brachte an der Ladentür einen gelbgestrichenen Briefkasten an und stellte zwei ständige Briefträger namens Pfeiffer und Frindt an. Weitere 26 solcher gelber Courierkästen wurden über das ganze Stadtgebiet verteilt. Die von dem Unternehmen herausgegebenen Briefmarken konnte man außer in der Geschäftsstelle noch bei 35 Kaufleuten in der Stadt und bei den Briefträgern kaufen, für deren Vertrieb sie mit
3 Prozent Gewinn beteiligt wurden.
Der Dienst der beiden Briefträger, die bei stärkerem Verkehr noch durch Hilfskräfte unterstützt wurden, war nicht leicht.
Ihre Arbeitszeit dauerte mit einer Stunde Mittagspause von 6 bis 19 Uhr.
In dieser Zeit mußten sie mehrmals die Kästen leeren und werktags in Stadtbezirk die Post sechsmal täglich austragen. Im Landbezirk wurde drei-
bis viermal in der Woche zugestellt.
Die Entlohnung für 12 Stunden Arbeit in der Woche betrug 14 Mark. Wenn auch die Kaufkraft des Geldes gegenüber heute höher lag, so kommt uns doch heute ein Lohn von knapp 20 Pfennigen fast unfaßbar vor!
Heute zahlen wir für einen Brief im Stadtbezirk an Porto 16 Pfennige.
Die Reichspost nahm damals 10 Pfennige. Bei der Privatpost „Courier“, kostete das Porto für einen normalen Brief bis 250 g nur 3 Pfennige, bis 500 g 6 Pfennige.
Eine Postkarte kostete 2 Pfennige, ein Einschreibebrief mit Geldauftrag 14 Pfg., Pakete bis 5 kg nur 10 Pfg.
Auch Zeitungszustellungen und sogar das Eintreiben von Vereinsbeiträgen übernahm die Anstalt zu geringen Betragen.
Ein Zeitungsverleger und die Steuerbehörde schlossen Verträge zur Beförderung ihrer Post gegen eine Pauschalsumme ab. Im ersten Geschäftsjahr 1896-1897 wurden etwa 55 000 Sendungen abgefertigt, im zweiten Jahr mehr als das Doppelte, nämlich 126000 Briefe und Karten, 37 Geldbriefe, 242 Einschreibesendungen und 20 Pakete. Allein zum Neujahr 1897 waren es 8000, zur Konfirmation 900 Sendungen. Obwohl das Geschäft so regen Zuspruch hatte, gab der Inhaber am Ende des ersten Geschäftsjahres nach der Bilanz ein Defizit von 2000 Mark an. Dabei waren die Einrichtungs- und Betriebskosten doch äußerst gering gewesen. Die technische Einrichtung des Geschäftszimmers hatte nur 100 Mark gekostet; ein Fahrrad, die Bestelltaschen und Briefkästen hatten zusammen 226 Mark an Unkosten verursacht. Die Briefmarken kosteten in der Herstellung für 1000 Stück zwischen 1 Mark und 1.50 Mark. Ebensoviel Karten anfangs 6 Mark, später 3,50 Mark. 1000 Kartenbriefe wurden von der Druckerei für 8 Mark geliefert. Auch die Löhne können nicht so viel ausgemacht haben, wie wir schon sahen.
Weil der Herr Hube also nicht so recht auf seine Kosten kam, verkaufte er sein Unternehmen 1897 an den Altwarenhändler
Paul Leipziger, der es als Nebenbeschäftigung weiter betrieb.
Aber auch so rentierte es sich nicht so recht und darum wurde der Beförderungsdienst am 20. Mai 1898 eingestellt. Vom Oktober 1898 bis Februar 1899 lebte er dann noch einmal auf, um dann endgültig aufgegeben zu werden.
Die Mißerfolge der Wittenberger Privatpost lagen nicht an einer mangelhaften Betriebsführung, sondern unsere Stadt war mit ihren damals 18 333 Einwohnern einfach ein zu kleines Betätigungsfeld für eine solche Privatbeförderungsanstalt. In größeren Orten rentierten sich ähnliche Unternehmungen wesentlich besser.
Da sie im Ortsverkehr billiger waren als die Reichspost, hatten sie keine Konkurrenz zu befürchten.
Die Reichspost sah diesen Widersacher nicht gern. Der Postminister von Podbielski, der Nachfolger von Heinrich von Stephan, brachte ein Gesetz durch, das mit Wirkung vom 31. März 1900 die Privatpostanstalten verbot.
Die Angestellten der Privatposten wurden zum größten Teil in den Reichsdienst übernommen, so auch die Postboten des „Courier“ Pfeiffer und Frindt.
Die Hallenser Privatpost brachte zum Abschied eine Postkarte heraus, deren eingedruckte 5-Pfennig-Marke mit einem Trauerflor umrandet war. Sie trug folgendes Gedicht als Abschiedsgruß an
ihre Kunden:
Exzellenz Podbielski sagte sich:
„Privatposten“ sind hinderlich,
ich schaff sie darum aus der Welt,
das bringt mir eine Menge Geld.
Des Landes Wohl auch förd’re ich.
Und – lange nicht besann er sich.
Doch weil Courier stets pflichttreu war,
hat er ’ne große Freundesschar,
die Anerkennung ihm gespendet
und tief bedauert, daß er endet.
Er nimmt nun dankbar Abschied heut
für immer bis in Ewigkeit.
Sicher hat mancher Leser schon einmal in alten Postsachen solch eine Marke oder Karte aus dieser Zeit gefunden. Man soll diese Stücke nicht vernichten. Der Heimatsammler sucht und schätzt sie.
Die Wittenberger Marken tragen in einem schlichten Rahmen
oben das Wort „Courier“, in der Mitte und an beiden Seiten die Ziffern und unten die Ortsbezeichnung „Wittenberg“.
Die Werte zu 2 Pfennig sind in grüner,
3 Pfennig in blauer, 10 Pfennig in
blau- grüner und 14 Pfennig in roter Druckfarbe gehalten.
Nur 50 Jahre sind seitdem vergangen und nur ein paar Sammler wissen noch von dieser Einrichtung und vielleicht ein paar alte Wittenberger wer den sich noch daran erinnern. Ich würde mich freuen, von ihnen zu diesem Thema mehr zu hören.
Dr. med. Peter Dosch
aus: „Freiheit“ vom 06.01.1954