Eine alte Brunnen-Sage vom Fläming

Eine alte Brunnensage vom Fläming und
was sie uns kündet vom Kampf um die Heimat

 

Wiesenburger Wappen
aus: Archiv HV WB

Der Brunnen oder „Born“, wie
der Brunnen von den Flämingern genannt wird, spielt auf dem Fläming seit alter Zeit eine
große Rolle.
Auch in Ortsnamen ist der „Born“ enthalten, und ganze Ortschaften sind bei der Gründung danach benannt, wie das Dorf „Borne“,
in der Nähe von Wiesenburg,
wo sich auch, nicht gar fern davon, ein Dorf „Spring“ (= Quell) findet, und das Dorf „Kalten-Born“, in Fläminger Mundart: „Koal-Borne“ genannt, bei Jüterbog auf dem Fläming gelegen, wo sich auch ein Dorf Seehausen, von den Flämingern „Sei=Husen“ genannt,
und ein Dorf Rohrbeck, von den Flämingern:
Rohr- Beecke“ (=Rohr-Bach) genannt, findet.¹)

Zwischen Jüterbog und Treuenbrietzen wiederum liegt
ein Ort: „Tiefen – Brunnen“.
Auch das alte, bekannte Sprichwort vom Fläming weist schon auf den Born oder Brunnen und sagt uns:

„Fläming arm an Born“. 

Galt es doch hier für die eingewanderten Flamen und Holländer, tiefe Brunnen zu graben, um trinkbares Wasser zu erhalten,
so auch auf der alten Wasser-Feste, der Wiesenburg,
die so idyllisch gelegen ist.
Einem verzauberten Schlosse gleich, liegt sie da von frischem
Grün der Wiesen und uralten Bäumen umgeben – eine rechte,
verborgene Waldschöne! – zusammen mit der nicht gar fern

Burg Rabenstein – Folterstuhl

gelegenen Bergfeste Burg Rabenstein mit ihrem hochragenden,
massigen Bergfried – ähnlich
dem 33 Meter hohen Wartturm der Burg Eisenhardt bei Belzig,
der dritten in diesem Burgendreieck des Flämings
– an Naturschönheit etwas ganz Eigenartiges und unvergleichlich Schönes bietend und den Glanzpunkt unseres Flämings bildend.
Sind dies doch noch Stätten, weltentrückt, von mancherlei Sagen umwoben in so wohltuender stiller Einsamkeit gelegen, an denen man angesichts der alten Burgen in der Stille des Waldes noch träumen kann von längst vergangenen Zeiten wie auch die Sagen
sie umsponnen gleich dem Efeugerank ,
das sich bis zum hohen Altan des mächtigen 48 Meter hohen
Turms des Schlosses zu Wiesenburg dicht emporrankt,
Sagen von unglücklicher Liebe eines armen Gärtnerburschen
zum schönen Burgfräulein; von dem klingenden Glöcklein,

um 1953 – Schloss Wiesenburg Parkanlage
aus: Archiv HV WB

das einst die Nixe des Schloßteiches zum Geschenk gebracht hat, das mit seinen klingeln der Gattin den Tod
des in weiteren Ferne weilenden Gatten und Schloßherrn meldet und dann – wie von unsichtbarer Hand ergriffen!

– plötzlich für immer verschwindet; von dem Prinzen, der noch immer im tiefsten Innern des Schlosses verborgen schläft und
seiner Erlösung entgegenharrt, die nur geschehen kann, wenn
eine holde Maid in Herzensreinheit und Unschuld um die Geisterstunde den Eintritt durch das „Männeken-Tor“ hin zu
ihm wagen und den ihn aus seinem Schlummer weckenden und
von schwerem Bann befreienden Kuß auf seine Lippen drücken
wird und nicht mehr zurückschaudert vor dem etwa daher sausenden Wagen mit kohlschwarzen Rossen bespannt,
die Feuer aus den Mäulern speien, und viele andere mehr. –

Ja, wie wird hier die Erinnerung geweckt an eine alte Ritterzeit
mit ihren Waffenklirren und Fanfarenklang und Minnesang.
– Alte „Maeren“ werden in uns lebendig, in denen uns
“ wunders vil geseit“ ist, we es im Nibelungenliede heißt:

„von helden lobebaeren,
von grôzer kuonheit,
von fröuden hôchgezîten,
von weinen und von klagen,
von  küener recken strîten“,

wie es auch Tiedge in das Stammbuch seines Freundes, des Fläminger Komponisten Friedrich Heinrich Himmel, der am
26. November 1776 in Treuenbrießen geboren wurde,
schrieb:

„Auf märkischem Sand brennt die Sonne so heiß
und erzählt uns von Helden,
von denen niemand mehr weiß.“

Auch der auf dem heute so stillen und einsamen, von alten
Bäumen beschatteten Burghofe der Wiesenburg stehenden
Schloß-Brunnen ist von Sagen umwoben.
Der große niederländische Meister, der
„durch die plastische Ausschmückung des Otto-Heinrich-Baues am Heidelberger Schlosse 1558 seinen Weltruhm begründete“,
der Bildhauer Alexander Colins, der von 1526-1612 lebte,
hat auch dem Schloß zu Wiesenburg eine neue – die jetzt noch erhaltene Gestalt gegeben im Jahre 1598, wie ihn dazu der
damalige Graf Benno Friedrich Brand zu Lindau auf Wiesenburg gerufen hatte.
Auch das berühmte Männeken-Tor“ schuf er, wie man erzählt,
den alten biederen Schloßhauptmann Mende damit selbst darstellend, den alten Bärbeißer, der den Künstler mit seinem
ihm „scheußlichen niederdeutschen Dialekt“ wegen der Umgestaltung seiner ihm im alten Gewand viel lieberen Feste durchaus nicht leiden mochte.
Um sich nun auf lustige Weise an dem alten Bärbeißer zu rächen,
der ihn in einer Nacht, als er spät von eine Reise nach Wittenberg heimkehrte, durch das Burgtor nicht mehr einließ, so dass er draußen bleiben musste, gab der Künstler diese Darstellung.

Briefmarke  Wiesenburg – 1981
aus: Archiv HV WB

Auch das auf dem Schloßhofe stehende Brunnen-Häuschen
versah er mit reicherer Verzierung.
Von dem alten Schloßbrunnen
geht im Volksmunde eine alte
Sage, in der noch etwas nachklingt
von den heißen Kämpfen, die hier
einst getobt, als es um die Heimat
ging.
Wie standen sie gerade hier bei Wiesenburg einst in grimmigen
Haß gegenüber:
der slawische Volksstamm der
Wenden und der in der Mitte
des 2. Jahrhundert neu einwandernde germanische Volksstamm der Fläminger, bald als Flamen, bald als Holländer bezeichnet, wie schon seit alter Zeit.
So meldet der Sage, die wir hier wiedergeben, wie sie Fritz Ebers in seinem prächtigen Büchlein, gibt:

„Das Burgenland des Fläming“.
Ein köstliches Heimatbüchlein
für jeden Fläminger!

 

 

 

 

 

„Aus der Wendenzeit her soll auf dem Brunnenboden
ein Schatz ungehoben ruhen. Man erzählt, dass der Brunnenboden eine mächtige Steinplatte bilde.
Unter ihrer Ruhe ein prächtiger Goldschmuck des Wendenkönigs Pribislaw.
Nur in der Nacht zum 1. Mai sei es möglich, ihn zu heben.
In dieser Zeit verlaufe sich nämlich auf eine geheimnisvolle Weise das Wasser, und der Brunnengrund liege trocken da.
Wer nun, ohne ein Wort dabei zu sprechen, die Platte höbe,
könne sich in den Besitz des Schatzes setzen.“

Vor vielen Jahre haben sich denn auch zwei Bewohner Wiesenburgs, eine Flame und eine Wende, aufgemacht, den Schatz zu suchen.
Als die Uhr vom Bergfried die zwölfte Stunde rief, ließen sie sich in den tiefen Brunnenschacht hinab.
Das Wasser war fort, und sie fanden richtig auch die Steinplatte,
die den Schatz verschloß.
Schnell machten sie sich an die Arbeit.
Schaurig hallten die Schläge mit der Hacke an den Brunnenwänden wider und tönten zu den grauen Burgmauern herauf, kamen zurück und ballten sich wieder zu schrecklichem Getöse.
Als die Schatzgräber einen Augenblick Atem schöpften und ihre Köpfe von dem mühseligen Werke aufhoben, bot sich ihnen ein fürchterlicher Anblick.
Auf dem Rande des Brunnenhäuschens saßen entsetzliche Gespenster mit Hörnern, Kuhfüßen und Schwänzen, die bemüht waren, einen Galgen aufzurichten. Den Männern trat bei diesem Blick der kalte Schweiß auf die Stirne.
Aber ihrem Ziele so nahe, wollten sie die Arbeit nicht aufgeben und begannen aufs neue an der Platte zu zerren, die sich bereits zu heben begann.
Hierdurch lebte ihr Mut wieder auf, ihre Kräfte vermehrten sich,
der Stein hob sich schon, als sich vom Brunnenrand her eine schreckliche Stimme hören ließ:

„Welchen von den beiden Geldgierigen soll ich
denn aufhängen?“

Die  Gemeinten erhobenen erschreckt ihre Augen und sahen den Galgen bereits fertig dastehen.

„Den Holländer hängt auf!“
lautete jegt dumpf zur Antwort.

Damit war aber auch des soeben Verurteilten Mut zu Ende,
und mit dem verzweifelten Ausrufe:

„Gnade für mich!“
fiel er in die Knie.

Damit war aber auch das Werk vereitelt.
Ein Donnerschlag ertönte, Galgen und Teufel verschwanden.
Die Platte, hinter der Gold und Silber bereits verführerisch geglänzt hatten, sang in ihre alte Lage zurück und nur die schleunigste Flucht konnte die zwei vor dem Tode des Ertrinkens retten, da der Brunnen bereits anfing, sich schnell wieder mit Wasser zu füllen.

Klingt nicht in dieser Sage wohl eben das, was auch aus der Klage des Wenden-Fürsten Pribislam klingt?

„Wir sind“
– so klagt er im Jahre 1164 – vertrieben aus dem Lande unserer Väter und des Erbes unserer Väter beraubt.
Der Herzog hat uns das Erbe unserer Väter genommen und überall Fremdlinge eingefunden, Flamen und Holländer, Sachsen und Westfalen und andere Nationen .“ ²)

Meint doch der Wende, größeres Recht zu haben auf den im
Boden ruhenden Schatz und hier zu wohnen und zu leben als
der Holländer, da er vordem hier gesessen, ehe der Holländer
(oder Fläminger!) kam! –

Daher die kurze, klare Antwort in dieser Notlage:
Den Holländer hängt auf!

Denn er hat – nach Meinung des Wenden – hier eigentlich nichts zu suchen und hat ihnen ihr bisheriges Wohnland genommen! –

Ja, das war ein heißes Kämpfen und Ringen um die Heimat.
Denn Heimatland war dieses Land doch nun im Laufe
mehrerer Jahrhunderte auch den aus dem Osten einst
hierher vorgedrungenen Wenden geworden.

Doch Heimatland suchen auch die durch die Wasserfluten und andere Nöte aus ihrer alten Heimat, den Niederlanden, vertriebenen und völlig heimatlos gewordenen Flamen und Holländern.
Nur auf den dringenden Ruf der deutschen Fürsten,
in erster Reihe Albrechts des Bären, kommen sie, weil
ihnen verheißen ist, daß sich ihnen hier eine neue Heimat,
ein „herrliches Wohnland“ biete:
„reich an Fleisch, Honig, Mehl, Vögeln usw. und wird es gehörig bebaut! auch an Erdfrüchten“,
wie es schon in dem Aufruf der deutschen Fürsten vom
Jahre 1107 heißt.³)

Und was braucht der Mensch denn mehr?
– “ freilich, wir modernen Menschen unserer so anspruchsvoll gewordenen Zeit meinen wohl, das sei nicht genug!“
– “ wir brauchen ja heute so sehr viel mehr zum Leben!“
– “ aber „der Mensch bedarf“ so heißt es auch Sirach 40, 31″
– “ zu seinem Leben Wasser, Feuer, Eisen, Salz, Mehl, Honig,
Milch, Wein, Oel und Kleider.“

Und alles das finden Sie hier. Auch Salz ist vorhanden und
Feuer schlägt man – wie noch bis in unsere Lage hinein
zuweilen gebraucht!! –  mit dem Feuerstein des Flämings!
– Und in ihren Händen tragen sie als rechte Germanen den
Eschen-Speer mit der Spitze von Eisen, wie sie das Schar von
Eisen an ihren mitgeführten zweirädrigen Karren-Pflug geheftet, den sie erst hierhergebracht, mit dem es ihnen erst möglich war,
den Boden zu „bauen“ als rechten deutschen „Bauern“.

So musste wahrlich dies Land hier den Heimatlosen als für die sehnlichst gesuchte, lange schon schmerzlich entbehrte Hof- und Wohn-Stätte geeignet erscheinen nicht gar weit von dem großen Elbstrom gelegen, ja als die sehnlichst gesuchte:
„betere stee“,
um in ihren eigenen Sprache zu reden, die man hier bis heute spricht, wie es schon in dem alten „Uitwykelingslied“:
„Naer Oostland willen wy ryden“
als Ziel der Auswanderer bezeichnet ist für ihren Zug von Westen nach dem Osten.
Und Heimatland war es ja längst schon den Germanen gewesen in
alter Zeit, bis sie durch die vordringenden Slawen aus ihren Wohnsitzen verdrängt worden waren!
Und Germanen kehren nun mit den Flamen und Holländer wieder in das alte Germanenland, – in die alte Heimat der Germanen, – das neu nun bietet:
Heimat den Heimatlosen!
Und eine große Aufgabe wartete hier, eine Aufgabe, die die Slawen auch während der Jahrhunderte, die sie hier wohnhaft gewesen waren, nicht zu erfüllen vermocht hatten, an die nun diese flämischen „Bure“ gingen mit einer Zähigkeit und Ausdauer ohnegleichen:
die Bebauung des Ackers !

Mit ihrem Schar von Eisen – von ihnen selbst in ihrer Sprache kurz nur als : “ ‚t Isen“ bezeichnet! pflügen sie zum ersten Male hier den Boden und brechen die Scholle! –

Und herzliches „willekom“ – ohne das der Fläminger nirgends je eintritt!! – bot man ihnen darum dort – in dem „hoogen huis“,
auch dort auf der alten Wiesenburg, der „feinen“!

Und sie hoben den Schatz aus der Tiefe!

Und sie holten – was die Wenden zuvor nicht vermocht – das
drunten frisch quellende Waffer herauf!
Und sie macht urbar das Land, das ihr Väter Erbe ist, dass nun weithin die goldenen Aehren wogen wie Meeres wogen vom
Wind bewegt.
Und sie brachten mit sich – außer Axt und Spaten und Pflugschar
und Speer von Eisen – noch eins:
das Kreuz Christi und die Frohbotschaft von dem, der die
Liebe ist, und der uns lehrt auch die Volksstämme so mit
ihrer Sonderheit und Eigenart:
Liebet euch untereinander gleich wie ich euch geliebet habe!“

Heiß entbrannte noch einmal der Kampf um die Heimat
zwischen Wenden und Flämingern, zwischen Slawen und
Germanen, wie Wilhelm Kotzbe in seinem Werke:
„Und deutsch sei die Erde“
„Aus der Zeit deutscher Größe“
und Müller von Davenport in seiner Erzählung aus der Zeit
Albrecht des Bären:
„Die Blume von Wiesenburg“
ergreifend diesen Kampf um die Heimat geschildert haben.

Und die Entscheidung fällt!:
Den Germanen soll das alte Germanenland wieder zu eigen gehören:
„Horch! Die alten Eichen rauschen!“
Und was durch ihre Wipfel braust, das ist der Heimat Lied,
wie es auch klingt als Sage von Mund zu Mund von der Heimat Lieb und Leide, von der Heimat Not und Freude:

„Un wier‘ de Welt ook noch sou scheen.
Un wier‘ min Hus man noch sou feen:
heem is heem!“

Otto Bölke

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¹) (Die Fläminger sagen hier auf dem Fläming noch heute wie in der alten Heimat die Flamen und Holländer:
de Sei ( =die See) für: der See“,
und de Beede (die Bach) für: der Bach“.
Vgl. hierzu: Bölke:
„Die flämische Siedlung zwischen Wittenberg und Jüterbog:

Ein kleines Flandern in Deutschland“) und Bölke:
“ Das Stabat mater Dolorosa als Sprachprobe in flämischer Sprache“
in den „Blättern für Heimatgeschichte“ (Wittenberger Zeitung“)
Nr. 2/3 – 4/5 und Nr. 7 vom März undApril 1930).

²) siehe hierzu:
Bölke: „Die Geschichte eines Flämingborfes nach alten Urfunden und Chroniken“ Zahna 1912 6. 21 ff. und Seite 125 ff.

³) siehe hierzu:
Bölke: „Die Geschichte eines Flämingdorfes nach alten Urkunden und Chroniken“ 6. 21 ff. und S. 137 ff.).