1940.11.26. Wittenberger Tageblatt
Eine sehr wichtige Stellung nahm in einer mittelalterlichen Festung, so auch in Wittenberg, der Werkmeister, d. i. der Artilleriezeugmeister, ein, er war über die Waffen und Schleudermaschinen, später die „Stücke“, das heißt die Geschütze gesetzt, ein kampferfahrener und technisch ausgebildeter Waffenmeister.
In unserem ältesten Stadtbuch von 1332 hören wir von einem „Balistarius“, d. i. Wurfgeschützmeister Johannes Tyce (Tietze), der vom Bürgermeister in die Familie der Stadt aufgenommen wurde; die Stadt lieferte ihm jährlich ein schönes Kleid neben einer Besoldung von 2 M.; dafür mußte Meister Johannes jährlich ein Wurfgeschütz geben, alle anderen Schleudergeschütze in Ordnung halten bzw. wiederherstellen, die Stadt lieferte dazu die Bogen, Sehnen und sonstiges Zubehör. Ferner war der Meister zur Lieferung von jährlich 40 Schock Pfeilschäften verpflichtet, wozu die Stadt wiederum die eisernen Pfeilspitzen gab. Merkwürdig war die Bestimmung, daß der Werkmeister weder das Bürgerrecht erlangte noch infolge dessen bürgerliche Pflichten (Wachdienst, Steuern) auf sich nahm. Er war eben nur „in die Familie der Stadt“ aufgenommen.
Vierzig Jahre später (1372) nahm die Stadt den Meister Jekele, wohl einen Schwaben, als Werkmeister unter ähnlichen Bedingungen an; er erhielt alle Jahre außerdem anderthalb Klafter Holz aus dem Lug solange er der Stadt „Gesinde (Angestellter) ist“: er sollte jährlich der Stadt drei Armbrüste steierischer Art geben und die anderen ohne Bogen und Säulen (?) herrichten, und alle Jahre sämtliche Armbrüste „beschiten“ (einschießen), ferner hatte jährlich zehn Schock Seile ohne Pfeile zu liefern. Das Fällen der Bäume, die der Meister zum Bau von Schleudergeschützen oder Armbrüsten verwendete, geschah auf Kosten der Stadt.
Die Urkunde enthält noch manche niederdeutsche Wortformen.
Eine dritte Urkunde aus dem Jahre 1387, in der von der Annahme eines Meisters Jacob Klingsporer die Rede ist, zeigt eine ähnliche Mischung von Hochdeutsch und Niederdeutsch. Die Zeug- oder Werkmeister hatten also die damalige Artillerie der Stadt, mächtige Wurfmaschinen, die mit starten Bogen große Steine oder Pfeile schleuderten, unter sich; lateinisch heißt eine solche Schleudermaschine in der ersten Urkunde, die lateinisch abgefaßt ist, Balista, verdeutscht „Armborst oder Armbrust“; darunter ist also nicht die kleine Armbrust, die der einzelne Mann führte, zu verstehen, sondern gewaltige Kriegsmaschinen.
Ein für die Wehrkraft des 16. und 17. Jahrhunderts wichtiges Handwerk war das der Plattner, der Verfertiger von Plattenharnischen; es blühte im 16. Jahrhundert in Innsbruck. Nürnberg, Augsburg, aber auch in der kleinen sächsischen Churstadt Wittenberg. Hier hat es sogar eine ganze Dynastie tüchtiger und weitbekannter Plattner gegeben:
1501 belehnte Kurfürst Friedrich der Weise die Plattner Hans Eryngk (Ering) und Andres Rokkenberger mit der vor der Specke vor Abtsdorf gelegenen und noch heute vorhandenen Antoniusmühle, die vordem dem Mönchsorden der Antoniter in Prettin-Lichtenburg gehört hatte und noch heute nach ihnen ihren Namen führt. Kurfürst Friedrich hatte sie für jährlich 60 Scheffel Korn dem Praeceptor des Ordens der Antoniusbrüder, Goswin von Orsoy, dem ersten Kanzler seiner Wittenberger Universität, abgekauft. Die Plattner konnten die Mühle zu „mahlen und zu schleifen, wie ihnen das gefällig ist“, benutzen. Der Plattner Hans Ering ist jedenfalls schon vor 1542 gestorben, sein Genosse Rockenberger aber wurde der Stammvater einer ganzen Reihe von Plattnern.
Die Mühle brannte 1514 ab, wurde aber von den beider Meistern auf eigene Kosten wieder aufgebaut und ihnen nunmehr vom Kurfürsten erblich überlassen, doch sollten sie und ihre Erben jährlich dem Landesherrn 36 Scheffel Korn (ca. 3800 kg) zu Martini geben, durften nur zwei Räder, das eine zum Mahlen, das andere zum Schleifen, benutzen und sollten Aufträge des Kurfürsten vor allen anderen ausführen, auch behielt Friedrich sich und seinen Erben das Vorkaufsrecht vor.
1544 wurde dem damaligen Besitzer, dem Plattner Sigmund Rockenberger, auf „kurfürstlichen Befehl und Königl. Dänische Vorbitte“ (also auf Anordnung des Kurfürsten August und der Kurfürstin Anna, die eine königlich dänische Prinzessin war) von den 36 Scheffeln ein Wispel erlassen, also 24 Scheffel, „doch solle er in Wittenberg bleiben und sein Plattnerhandwerk treiben“;
daraus kann man schließen, daß dieser Sigmund Rockenberger ein sehr tüchtiger Plattner gewesen sein muß, denn dem Fürstenpaar lag augenscheinlich viel daran, daß er in seinen Diensten blieb.
Von 1547 bis 1553 scheint die Mühle im Besitz zweier Töchter des Sigmund gewesen zu sein, 1553 wieder in seinem eigenen;
1554 aber verkaufte er sein Stadthaus mit Werkstätte, die zwischen der Schloßkirche und dem Coswiger Tor (Schloßtor) lagen, während die Mühle seiner Gattin und seinen Kindern Anna, Sigmund dem Jüngeren, Margareta, Hans und Andreas dem Jüngeren zufiel. Der jüngere Sigmund übernahm die berühmte Werkstatt, die jedoch 1607 nach seinem Tode nebst dem Wohnhaus in den Besitz des Küsters der Schloßkirche, Georg Lelius, überging.
Die Antoniusmühle war bereits 1582 mit „aller und jeder Gerechtigkeit, allem Mühlengerät und was sonsten Erdt-, Wind- und Nagelfeste ist“ von den Rockenbergischen Erben zur Deckung ihrer Schulden für 1450 Gulden an den Amtsschosser von Annaberg, David Gock, erb- und eigentümlich verkauft worden.
Nach mehreren Zwischenbesitzern ging die Mühle 1637 mit dem dazu gehörigen Acker (außer der Breite und Gehölz, sonst Niemegks-Breite genannt) in den Besitz von Martin Schildhauer für 1200 Gulden über. Die Rockenberger haben namentlich sogenannte „Rennzeuge“ Plattenharnische für Mann und Roß zu den scharfen Stechen geschaffen, die sich in Norddeutschland länger als in Süddeutschland erhielten, wo sich bereits um 1540 das italienische Stechen über die Planke (vallia) verbreitete.
Die Rockenberger müssen als Plattner berühmt gewesen sein. Wir hören, daß Herzog Heinrich d. J. von Braunschweig bei ihnen ein Rennzeug bestellt, außerdem stammt der Plattenharnisch und die Pferderüstung des zweiten Pferdes mit Reiter im historischen Museum in Dresden, ein Stück von hervorragender Arbeit mit schönem Aetzwerk, und dem eingeätzten Monogramm auf dem Brustpanzer des Pferdes S. R. W. sicherlich von .,S(igmundus) R(odenberger) W(ittenbergensis)“.
Heinrich Heubner
aus: Arbeitsmaterial Heinrich Kühne† Karton 07 Mappe 40 archiviert und digitalisiert vom HV WB