1966.09.21. Wittenberger Rundblick
Fragt man die Schüler anläßlich des Besuches des Stadtmuseums (Melanchthonhaus) nach den ältesten Innungen in unserer Stadt, so kommt stets die Anwort:
„Die Schmiede-Innung.“
Der Schmied ist so tief im Volksbewußtsein verwurzelt, daß man dabei den Bäcker, den Schuhmacher, den Fleischer und den Schneider zunächst völlig vergißt. In der Tat gehört die Zunft der Schmiede mit zu den ältesten Vereinigungen der Handwerksmeister, doch können wir sie erst 1435 nachweisen, während die vier genannten anderen Innungen bereits 1424 urkundlich erwähnt werden. Man unterschied damals Schmiede, Kleinschmiede (Schlosser), Messerschmiede und dazu gehörten eigenartigerweise noch einige Zeit die Böttcher.
Diese trennten sich dann erst 1630.
1557 werden ausdrücklich die Schmiedehandwerker als Hufschmiede bezeichnet. 1613 werden auch auswärtige Meister genannt, so Martin Reinicke aus Straach. Ihre Zahl betrug insgesamt 14, während es 1726 dann 17 Meister waren. Darunter erschien der Pratauer Meister Peter Lößer.
Aus einer Aufstellung geht klar hervor, daß sich das Schmiedehandwerk viele Generationen lang in ein und derselben Famille befand. Das Schmiedegeschlecht der Wernickes war über 300 Jahre in unserem Kreis ansässig, auch ist der Name Boy über 100 Jahre lang nachzuweisen. Doch wollen wir heute einmal einen Schmiedemeister aufsuchen, der hier in Wittenberg wohnt.
Herr Friedrich Wisch in der Annendorfer Straße ist der vierte Handwerksmeister seiner Familie, die seit 1846 in Wittenberg das Schmiedehandwerk betreibt. Damals zog der Urgroßvater des Genannten als Wandergeselle von Neustadt an der Dosse zur Lutherstadt und übernahm eine 1837 neuerbaute Schmiede am äußersten Ende der Ernst-Thälmann-Straße, wo sich heute die Firma Niethardt befindet.
Viele alte Wittenberger können sich sicherlich noch auf das lodernde Schmiedefeuer dort entsinnen. Die Wagenräder und ganze Ackerwagen standen vor dem Schmiedetor, wie das allgemein üblich war. Mit dem zunehmenden Verkehr wurde es so hinderlich, daß man 1935 die Schmiede zum Eingang der Annendorfer Straße verlegte. Dort betreibt Herr Wisch das Handwerk weiter. Der Besucher der Werkstatt ist angenehm überrascht, welche Ordnung und Sauberkeit dort herrschen. Alles liegt an seiner richtigen Stelle und griffbereit. Als ich ihn aufsuchte, war kein Pferd zum Beschlagen da. Ich ließ mich belehren, daß sich das Schmiedehandwerk völlig auf die neue Entwicklung umgestellt hat. Schon immer wurde neben dem Hufbeschlag oft auch der Kutschenbau betrieben, dieser wurde wiederum von dem modernen Fahrzeug abgelöst. Reparaturen aller Art werden hier durchgeführt, auf dem Dorfe sind es mehr die Landmaschinen, die beim Dorfschmied von heute zu finden sind. Dieser Zustand wurde um 1950 ganz augenscheinlich und hängt eng mit der Sozialisierung der Landwirtschaft zusammen.
Meine Frage, ob denn überhaupt noch Pferde beschlagen werden, wurde dahin beantwortet, daß der Hufbeschlag zwar zurückgegangen sei, aber niemals ganz aufhören wird.
Die meisten Schmiedemeister sind heute Mitglieder einer LPG oder – wie Meister Wisch- in unserer Wittenberger GPG „Convallaria“.
Im Werkstattgeschehen selbst hat sich im großen und ganzen dadurch nichts geändert. Das schließt nicht aus, daß dem hilfsbedürftigen Fuhrmann auf der Landstraße, der auch heute nicht ganz ausgestorben ist, Unterstützung zuteil wird. Ueberblicken wir die noch vorhandenen Meister, so kommen wir auf etwa die gleiche Anzahl wie in früheren Jahrhunderten. Das liegt daran, daß sich nur eine beschränkte Anzahl wirklich im Orte halten konnte, stets wurde etwas Landwirtschaft mit betrieben. Die Lage der Schmiede, meist am Ortsausgang oder an günstigen Stellen an der Landstraße, war mit Ueberlegung gewählt. Das kann man noch heute gut feststellen. Auch die alte Schmiede der Familie Wisch ist hierfür ein gutes Beispiel. Das ging sogar soweit, daß beim Kauf der Schmiede im Kaufvertrag schriftlich festgelegt wurde, daß der vorherige Besitzer niemals in einem bestimmten Umkreis der verkauften Schmiede eine neue errichten durfte. Ganz energisch mußte Urgroßvater Wisch sich dagegen wehren, weil der alte Besitzer diese Klausel umgehen wollte.
Lehrlinge gibt es immer wieder, die für das Handwerk Interesse haben. Manche haben nach der Lehrzeit gute Aussichten, in andere Berufe der Metallindustrie zu gehen, falls sie nicht beim ehrsamen Handwerk der „Flammer“, wie sie einst Andreas Haberland in einem Gedicht bezeichnete, verbleiben wollen. In der Schmiede der Familie Wisch, der Vater des jetzigen Meisters war in vielen Ehrenamtern des Handwerks und sehr angesehen unter seinen Berufsgenossen, waren neben dem Meister meist der Sohn und Nachfolger, ein Geselle und zwei Lehrlinge tätig.
Als Volkskundler mußte ich mich doch noch nach der Behandlung von Pferden erkundigen, die früher vom Schmiedemeister auf dem Lande durchgeführt wurde. Auch der Großvater von Meister Wisch wurde noch um 1900 bis nach den Flämingdörfern geholt, um hier und da Verrenkungen in Ordnung zu bringen oder sogenannte „Schieferzähne“ mit einem eigens dafür mitgebrachten Meißel zu behandeln. Das Netz der Tierärzte war zu dieser Zeit noch sehr weitmaschig, auch wollte man das Geld sparen. Schnelle Hilfe war notwendig und reiche Erfahrung ersetzte in vielen Fällen die wissenschaftliche Ausbildung. Schon seit Jahrzehnten hat sich das grundsätzlich geändert, diese Methoden gehören der Vergangenheit an – glaube ich.
Die Arbeit des Schmiedes ist eine schwere, das ist allgemein bekannt. Meine Frage nach der Unfallquote wurde dahin beantwortet, daß sie nicht höher liege als in anderen Berufen.
Man muß nur wachsam sein und eine gute Beobachtungsgabe haben, wie sich das Pferd verhält. meinte Meister Wisch, dann ging er wieder an die Arbeit.
Heinrich Kühne