1939.04.27. Unser Heimatland
Eine traurige Erinnerung – E. E. F. Wollkopf
Am 9. Mai d. J. sind 95 Jahre vergangen, seitdem die Armesünderglocke, die im Türmchen unseres Rathauses hängt, zum letzten Male geläutet wurde. Sie begleitete mit ihren traurigen Klängen den Todesgang des Fleischergesellen Ernst Wollkopf, der am 12. Dezember 1831 den Müllerburschen Herrmann auf der bei dem Dorfe Priesitz gelegene Windmühle ermordet hatte und zur Sühne für diesen Raubmord in Wittenberg auf dem Galgenberge in der Nähe des Gasthofes „Grauer Wolf“ hingerichtet wurde.
Ueber den Lebensgang des Mörders und seine Untat teilt die von dem ,,Königlich Preußischen Inquisitoriat zu Wittenberg“ veröffentlichte „Warnungs-Anzeige“ folgendes mit:
Ernst Elias Friedrich Wollkopf, 25 Jahre alt, in dem herzoglich gothaischen Marktflecken Herbsleben geboren, Sohn des dortigen Chirurgus Gottlieb Wollkopf und der Johanna Rebekka geborene Papst, evangelischen Glaubens, erlernte die Fleischerprovision, und nach seiner Lossprechung zum Gesellen trat er im Jahre 1830 die Wanderschaft an, arbeitete im Spätsommer 1831 bei dem Fleischermeister Ernst Hönicke in Pretzsch und machte im nahegelegenen Dorfe Priesitz die Bekanntschaft des aus Wasserhenßsch bei Breslau gebürtigen Mühlburschen Gottfried Herrmann. Schon in seiner Jugend ließ er sich zu Paschereien gebrauchen. Im Jahre 1829 drang er in verbrecherischer Absicht eines nachts durch Eindrücken einer Haustür gewaltsam in ein Haus zu Herbsleben ein, verübte seit dem Jahre 1830 eine Menge kleiner und großer Diebstähle und Betrügereien in Globig, Helmstädt, Rennau, Priesitz, Barleben, Dessau, Rösa, Burgkemnitz, Göttingen, Bietegast usw., machte sich auch der wiederholten Verfälschung seines Passes schuldig. Er liebte den Trunk, war öfter in Geldverlegenheit, welche bei seiner Dienstlosigkeit durch Mangel an Verdienst stieg, und so ward er zum Verbrecher. Auf Mittel sinnend, sich Geld zu verschaffen, verfiel er auf den Gedanken, den Mühlburschen Herrmann, der auf der vom Dorfe Priesitz etwas entfernt liegenden Windmühle übernachtete, zu bestehlen und wenn seinem Entkommen sich ein Hindernis entgegenstellen würde, den Herrmann zu töten. Mit solchen Gedanken und versehen mit einen vorher nicht lange erkauften und frisch geschliffenen Schlachtenmesser ging Wollkopf am 10. Dezember 1831 auf die Priesitzer Windmühle, fand aber dort den Herrmann nicht und mußte, nachdem er bis morgens 4 Uhr vergebens auf dessen Rückkehr gewartet hatte, unverrichteter Sache abgehen. Hierdurch nicht gewarnt, ging er schon am 12. Dezember 1831 abends 10 Uhr wieder auf die Priesitzer Windmühle, die ihm von dem arglosen Herrmann gastfreundlich geöffnet wurde. Um dem Wollkopf ein besseres Nachtquartier, als der beengte Raum in der Windmühle es gestattete, im Dorfe Priesitz zu verschaffen, wollte Herrmann mit Wollkopf von der Windmühle herabgehen. Während er indes die Mühle von außen zu schließen im Begriff war, ergriff Wollkopf auf einmal die silberne Uhrkette des Herrmann und zog damit dessen silberne Taschenuhr aus der Hosentasche heraus, wurde aber augenblicklich von Herrmann ergriffent. Beide rutschten die Mühltreppe herab, und da Herrmann auch am Fuße der Treppe Wollkopf nicht losließ, so zog letzterer sein Messer heraus und stach damit den Herrmann in die Brust. Lautlos fiel dieser nieder, erhielt aber dennoch noch mehrere Stiche mit dem Messer und mehrere Schläge von Wollkopf auf den Kopf. Letzterer eilte nun nach der Windmühle zurück, raffte den größten Teil der dort befindlichen Effekten des Herrmann zusammen, und mit seiner Beute beladen, irrte er unstet von Ort zu Ort. Den Verbrechen folgte bald die Entdeckung. Verschiedene Umstände machen den Wollkopf der Tat verdächtig, und schon am 15. Dezember 1831 wurde er in Kropstädt arretiert und an das unterzeichnete Inquisitoriat eingeliefert. Der überführenden Beweise ungeachtet leugnete er lange sein Verbrechen und legte erst nach drei Monaten das Geständnis der Tat ab, limitierte solches nach neun Monaten, indem er einen seiner Bekannten der Teilnahme an seinem Verbrechen beschuldigte, diesem sogar die Beschuldigung ins Gesicht wiederholte, endlich aber nach Verlauf vieler Monate solche zurück zunehmen sich von freien Stücken bewogen fand. Zwei von den größten Gewalttätigkeiten gegen den Gefangenenwärter uud dessen Gehilfen begleitete Versuche des Wollkopf, sich aus dem Gefängnis zu befreien, scheiterten. Zwei gleichlautende Erkenntnisse des Königlichen Oberlandesgerichts zu Naumburg verurteilten ihn wegen des verübten Raubmordes zum Rad von oben und Seine Majestät der König bestätigten diesen richterlichen Ausspruch durch die Allerhöchste Ordre vom 1. März dieses Jahres.
Heute früh 6 Uhr ist jene Strafe an dem Wollkopf vollstreckt worden, welches zur Warnung hierdurch öffentlich bekannt gemacht wird.
Wittenberg, den 9. Mai 1834.
Königlich Preußisches Inquisitoriat
Redlich
Von den letzten drei Lebenstagen des Verurteilten erzählt der mit der Seelsorge an ihm betraute Stadtpfarrer Magister Seelfisch in einem im „Wittenberger Kreisblatt“ unter dem 17. Mai 1834 abgedrucken längeren Berichte. Darnach hörte Wollkopf die Bekanntgabe des vom Könige bestätigten Todesurteils durch den Kriminalrat Redlich mit Ruhe und Fassung an. Die gleiche Ruhe zeigte er auch beim Verlesen und Unterzeichnen des aufgenommenen Protokolls. Er sprach hierauf die Bitte aus, an seine Geschwister – beide Eltern waren bereits tot – einen Brief schreiben zu dürfen, was ihm auch gewährt wurde.
Während der Mörder auch nach Verkündigung des Todesurteils seinem Schicksale anfangs mit scheinbarer Ruhe entgegensah, bemächtigte sich seiner in der letzten Nacht vor der Hinrichtung eine heftige Aufregung, die ihn dem geistlichen Zuspruch zugänglich machte und zur Reue trieb. Mit sichtbarer Fassung trat er denn seinen letzten Gang an.
Ein Augenzeuge der Ereignisse teilt uns nach seinen eigenen Erinnerungen darüber noch folgendes mit:
„Am 9. Mai früh 5 Uhr kleidete sich der Verurteilte zu der Exekution an und bestieg dann gefesselt den im Hofe des Gefängnisses bereitstehenden Wagen, der von einer Abteilung Artillerie begleitet wurde und sich unter dem Klang der Armsünderglocke in Bewegung setzte. Trotz der frühen Morgenstunde war der Weg, den der traurige Zug nahm, von einer großen Menge Neugieriger besetzt. Um den Blicken der Gaffer nicht mehr zu begegnen, zog Wollkopf seine Mütze über das Gesicht. Der Richtplatz am Galgenfelde in der Nähe des ,,Grauen Wolfes“ war von einem im Viereck aufgestellten Kommando Infanterie abgesperrt. Dahinter aber stand Kopf an Kopf gedrängt die Menge, welche das traurige Schauspiel von nah und fern herbei gelockt hatte. Selbst die umstehenden Bäume hatte man erklettert, um den Abschluß des blutigen Dramas desto besser sehen zu können. Nachdem der Zug mit dem Verurteilten angekommen war, stieg dieser vom Wagen. Noch einmal wurde ihm das Todesurteil vorgelesen und die bestätigende Unterschrift des Königs gezeigt. Hierauf ergriffen ihn die Gehilfen des Scharfrichters, der das Todesurteil durch Rädern von der Brust ab nach unten vollzog.“
Es war das letzte Mal, daß in Wittenberg eine Hinrichtung vollzogen wurde. Und es ist für jedes gesittete Empfinden erfreulich, daß sich heute derartige traurige Akte in strenger Abgeschlossenheit vollziehen und nicht mehr dazu dienen, die Schaulust einer müßigen Menge zu befriedigen. Wie tief jenes Ereignis aber Wittenbergs Einwohner erregte, kann man daraus erkennen, daß der damalige Superintendent D. Heubner die Hinrichtung zum Anlaß einer besonderen Predigt nahm:
„die christliche Betrachtung schwerer gerichteter Verbrecher“, die er am Sonntag Exaudi (11. Mai 1834) in der Stadtkirche hielt und dann auch auf vielfaches Verlangen in der damaligen Zimmermannschen Buchhandlung im Druck erscheinen ließ.
aus: Wittenberger Bürgergeschichten
-r.