1956.12. Wittenberger Rundblick
Der Zahnabach
Wenn wir jetzt den Wasserlauf des Zahnabaches – die Anwohner nennen ihn die „Zahnsche Bache“ – verfolgen, so werden uns verschiedene Erscheinungen begegnen. die auch der Rischebach aufweist. Dazu kommen aber einige Eigentümlichkeiten. die wir bei diesem und auch anderen Bächen unserer Heimat nicht finden, so daß er zum interessantesten Wasseerlauf unseres Kreises wird.
Ein Blick auf die Landkarte lehrt uns, daß der Bach am Ostfuße des
Michelsberges zwischen Grabo und Jahmo entspringt.
In Gebüschen verborgen, am Rande einer größeren Wiese, liegt seine Quelle, 150 Meter über dem Meeresspiegel.
Andere Nebenquellen auf dem Wiesengelände vergrößern seine Wassermenge.
Munter plätschernd fließt er an Waldrändern entlang und hat im nahen Jahmo schon so viel Kraft, daß er eine Wassermühle treiben kann.
Auch im benachbarten Köpnick dreht er fleißig das Rad der dortigen Mühle, nachdem die Berliner Chaussee über ihn hinweggegangen ist, tritt er in das herrliche „FriedenthaI“ ein und setzt seinen Weg durch den märchenhaft schönen Wald nach Wüstemark fort. „Rotkäppchenweg“ nennen die Einheimischen den Fußweg am Bach entlang,
Einstmals war es ein verbotener Weg, und der Rittergutsbesitzer von Kropstädt hielt streng darauf, daß kein Fremder dieses Paradies betrat.
Heute aber kann sich jeder an der Schönheit der Bach- und Waldlandschaft erfreuen.
Durch Nebenbäche, besonders durch den von Süden kommenden Essigbach stärker geworden, fließt der Bach nun schnell durch ein auf beiden Seiten von dunklen Kiefern umrahmtes friedliches Wiesental zur Häßler-Mühle bei Rahnsdorf.
Hier vereinigt er sich mit einem von Norden zuströmenden Bachlauf. Dieser wird im Volksmunde der „alte Bach“ oder auch der „Drehningsbach“ genannt.
Er ist nämlich der ursprüngliche Zahnabach und nicht der, dessen Lauf wir bisher verfolgt haben.
Der am Michelsberg entspringende Bach hieß vor über 130 Jahren Zernitzbach, wie auch Wüstemark früher Zernitzdorf hieß.
Die Namensänderung erfolgte bei der Landesaufnahme durch die preußischen Generalstäbler um 1830.
Da der Zernitzbach wasserreicher war, bezeichneten sie ihn als den Hauptbach.
Somit entspringt heute der Zahnabach am Michelsberg, während früher sein Ursprung auf dem Hohen Fläming zu suchen war.
Hier beginnt sein Lauf zwischen Garrey und Lobbese mit den zeitweiligen Zuläufen aus den „Lobbese Rummeln“, deren Fortsetzung bis Wergzahna die „Drehningswiesen“ bilden, „Drehning“ ist ein mundartlicher Ausdruck, kommt von „drehe“ her und bedeutet „trocken“.
Man spricht also von „drehen Wiesen“, vom „drehen Tal“ und meint damit trockene Wiesen und ein trockenes Tal.
Vor dem hochgelegenen „Wallberg“ von Wergzahna weitet sich der Bach zu einem von hohen Bäumen umrahmten See, den im Sommer Wanderer gern als Badeplatz aufsuchen.
Unterhalb Wergzahnas verschwindet der Bach überraschend in einem allmählich verlandenden großen Sumpf- und Schilfgelände, und erst 500 Meter südlich davon erscheint er auf einer sumpfigen WiesensteIle wieder und bildet einen neuen Bachlauf.
Diese merkwürdige Unterbrechung des Baches hat schon vor 200 Jahren das Interesse der Professoren der Universität Wittenberg erregt.
In einem Protokoll haben sie diese Tatsache als einen unterirdischen Bachlauf erklärt und die dadurch vorhandene Landbrücke nach dem sächsischen Landesherrn „Augustusbrücke“ – im Volksmund heißt sie aber „Poltersprung“ – genannt.
Der Chronist schreibt darüber:
„Die bei diesem Städtchen (gemeint ist Zahna) gelegene Brücke, so man den Poltersprung nennt, hielte man vor diesem für die breiteste und festeste Brücke in Sachsen, von welcher als etwas besonderes zu merken, daß dieses Wasser in der sogenannten „Nacht-Henige“ im Herbst und Frühlinge wohl eine Hand hoch herfür quillet und seines Polterns halber, so es verursacht , der Poltersprung genannt wird, sich wieder in die Erde versickert,
und über tausend Schritte weit mit vielem Geräusche an
einem anderen Orte wieder zum Vorschein kommt.“
Bald danach nimmt das von nun an eifrig nach Süden strebende Gewässer den von Westen kommenden Kropstädter Bach auf, der mit dem Graben des ehemaligen Kropstädter Schlosses in Verbindung steht.
Es wird wenig bekannt sein, daß man im 18. Jahrhundert dort Perlenmuscheln fing.
In einem Bericht aus „Rößigs Produktenkunde“ (1803/04) heißt es:
„Man fischt Perlenmuscheln an verschiedenen Orten in Sachsen. Der eigentliche und vorzügliche Perlenfang ist in der Elster im Vogtlande, ferner in einem Bache eine Stunde von Chemnitz nach Zschopau zu; ingleichen zu Kropstädt bei Zahna in dem Schloßgraben, wo die Perlen sehr hell sind.“
Johann Traugott Werzner, ein Wittenberger Schriftsteller, hat 1798 eine Muschel gesehen, die eine Perle enthielt und aus einem Graben zu Kropstädt stammte.
Da wir sonst keine weiteren genauen Nachrichten über den Perlenfang zu Kropstädt besitzen, ist sicher anzunehmen, daß der Ertrag nicht von großer Bedeutung gewesen sein kann.
Der durch die Vereinigung unterhalb der Häßler-Mühle ziemlich wasserreich gewordene Zahna-Bach berührt zwischen Rahnsdorf und Zahna die Fischermühle, deren früherer Name „Dornbuschmühle“ von der zum Schutze angelegten Dornheckenumzäunung herstammt. Nach dem Durchfließen der Wassertore im Eisenbahndamm nimmt ihn hinter Zahna das weite Wiesental bei der Stadt Zahna auf.
Die „Oßnitz“ von Woltersdorf und der „Kalte Bach“ sind die beiden Nebenbäche, die im Zahnaer Stadtgebiet ihr Wasser in den Hauptbach ergießen, rasch fließend durchströmt der Zahna-Bach
die Dorfgemarkungen von Külso (Ortsteil von Dietrichsdorf), Dietrichsdorf selbst und strebt danach bei Gallin der Elbe zu.
Doch erreicht er sie nur zu Hochwasserzeiten. denn normalerweise wird sein Lauf bei Mühlanger (Ortsteil Prühlitz) zur „Rothen Mühle“ und von da zur „Hohndorfer Renne“ abgeleitet.
Dadurch ergießt er sein Wasser gegenüber von Luthersbrunnen in die EIbe.
Auf seiner letzten Wegstrecke hat er noch einige kleine Nebenbäche
aufgenommen, die ihm von Zörnigall, Bülzig und Wiesigk zufließen.
So klein und unscheinbarder Zahnabach auch aussieht,
seine wirtschaftliche Bedeutung war und ist groß.
Er ist ein echter Mühlenbach,
denn trotz seines kurzen Laufs trieb er die Räder von
10 Wassermühlen an.
Wassermühlen:
– die Mühlen in Jahmo,
– Köpenick,
– Friedenthal bei Kropstädt und Wüstemark,
– die Häßler-Mühle bei Rahnsdorf,
– die Fischermühle und die
– Neumühle (einst Heiligengeistmühle genannt) bei Zahna, die
– Külsoer und die
– Dietrichsdorfer Mühle und die
– „Rothe Mühle“ in Prühlitz (Ortsteil von Mühlanger).
Am Oßnitznebenbach lagen bei Zahna noch die „Krakauer Mühle“ und die „Hagenmühle“, an einem namenlosen Bach bei Hohndorf
die „Kleine Mühle“ und am Bülziger Bach in Bülzig zwei Mühlen. Diese 15 Wassermühlen wurden von einem Bach mit seinen Nebenbächen getrieben. Eine gewaltige Leistung für solch ein kleines Wässerlein!
In einem Mühlenverzeichnis des Amtes Wittenberg von 1721 werden 56 Wassermühlen aufgezählt.
Etwa ein Viertel entfällt also auf das Gebiet des Zahnabaches.
Die interessanteste der genannten Mühlen ist die unter Denkmalsschutz stehende Külsoer Mühle.
Sie ist der älteste Mahlbetrieb unseres Kreises, das älteste Kulturdenkmal.
Am 3. Februar 1356, also vor rund 600 Jahren, wird sie schon in einer Schenkungsurkunde des Zahnaer Schloßherrn erwähnt.
Viele wanderfrohe Heimatfreunde besuchen im Sommer diese landschaftlich schön gelegene alte Mühle und finden dort Erholung und aufmerksame Bewirtung.
Schon in den fernen Tagen der Vorzeit war das Tal des Zahnabaches von größter Wichtigkeit für die Bewohner unserer Gegend.
Unter der grünen Rasendecke ruht eine Schicht Raseneisenstein, dessen Vorhandensein heute noch an dem rotbraunen Wasser der Abzugsgräben zu erkennen ist.
In der Latènezeit, der vorgeschichtlichen Eisenzeit von 400 v. u. Z. bis zum Beginn unserer Zeitrechnung wurde dieser Raseneisenstein von den hier siedelnden Elbgermanen verarbeitet.
Auf einem einzigen Ackerstück bei Zahna wurden Reste von 16 Eisenschmelzöfen festgestellt. Da auf den benachbarten Flurstücken ebenfalls zahlreiche Spuren vorgeschichtlicher Eisenbearbeitung erkennbar sind, kann man annehmen, daß
dort ein Eisenhüttenwerk mit mehr als 50 Schmelzöfen bestand. Also vor mehr als 2000 Jahren war am Zahna-Bach ein großes „Industriegebiet“!
Aber auch Unheil kann der Zahna-Bach über seine Anwohner bringen.
Bei plötzlichem Tauwetter nach schneereichen Wintern führt
er so viel Wasser vom Hohen Fläming herab, daß das Wiesental weithin überschwemmt wird.
In Zahna wird das Hochwasser die „Greye“ genannt, weil es aus
der Umgebung von Garrey kommt, das im Volksmunde Greye genannt wird. Es wird oft vor allem den Bewohnern der
Jüterboger Straße gefährlich.
Da diese Straße nämlich das Wiesental in seiner vollen Breite
sperrt, dringt hier das Wasser in die Häuser und Höfe ein und
setzt auch die an sich hochliegende Straße unter Wasser.
Wer im heißen Sommer hier geht, kann es kaum glauben,
daß am 9. Februar 1940 das „Greyewasser“ 1 ,20 Meter hoch
auf den Wiesen vor der Jüterboger Straße stand.
Ehedem war der Zahnabach ein sehr fischreiches Gewässer.
Der Fischreichtum war so groß, daß die Zahnaer Gesindeordnung aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts vorschrieb, daß das Gesinde nicht mehr als dreimal in der Woche Fisch zu essen brauche.
Heute findet man nur noch einige Forellen und Hechte.
An den einstigen Reichtum erinnern aber noch die sieben Fische
im Wappen der Stad Zahna.
R. Möbius