November – Herbstzeit – nass – und kalt –
Die Natur bereitet sich auf den Winter vor
Was macht man in dieser Jahreszeit?
Ich sitze im Sessel schaue aus dem Fenster und sehe wie
die Regentropfen am Glas herunter laufen.
Mir ist langweilig.
Ich schaue zum Bücherschrank und der Blick fällt auf eine
kleine Schriftenreihe.
Sie wurde vom Stadtgeschichtlichem Museum Lutherstadt
Wittenberg 1983 herausgegeben.
„Sagen und Geschichten aus dem Kreis Wittenberg“, Teil 1.
Im Inhaltverzeichnis finde ich viele kleine Geschichten,
die es wert sind, wieder einmal gelesen zu werden.
Sagenumwogene Gräber
Spuk in Burgen und Schlössern
Sagen um Orte und ihre Namen
Faustsagen und so weiter.
Ich beginne folgende Geschichte zu lesen:
Freßkahle trägt vier Burschen nach Wittenberg
Eines Tages kam Freßkahle von Braun (Dabrun) am Elbdamm entlanggeschritten
und traf dort auf vier junge Burschen.
Sie lagen erschöpft unter einer alten
Rüster (Ulme) am Wegesrande. Einer bemerkte Kahle und fragte ihn,
wohin sein Weg führe.
Kahle setzte sich zu ihnen und bald waren
sie eifrig ins Gespräch gekommen.
Dabei erfuhr der Wittenberger, dass diese jungen Burschen bereits
eine weite Wanderung hinter sich hatten und vollkommen erschöpft
mit wunden Füßen im Grase lagen.
Er lud sie ein, in seinem Vaterhause einen Imbiss zu nehmen und
dort zu übernachten.
Dann sollten sie am nächsten Tage getrost weiter wandern.
Die vier Burschen nahmen dankbar Kahles Vorschlag an.
Sie erhoben sich, aber so sehr sie sich auch bemühten,
sie konnten vor Schmerzen nicht mehr weiter.
Da packte Freßkahle den einen und setzte ihn auf seinen Buckel,
auf jeden Arm nahm er einen, und den vierten,
der noch im Grase lag, griff er mit den Zähnen auf.
So belastet erreichte er — nachdem er die Wachsdorfer Überfahrt überschritten hatte — den Elbübergang bei Pratau.
Hier setzte er die Burschen erstmalig ab.
Sie waren froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
Nun betraten sie alle die Kahnfähre, denn eine Elbbrücke war am
Anfang des 18. Jahrhunderts nicht vorhanden.
Als sie das Wittenberger Elbufer hinangeschritten waren,
nahmen die Wandersleute wieder ihre mehr oder weniger guten
Plätze ein und, rüstig ausschreitend, kam Kahle mit seiner Last
in der Clausstraße (Puschkinstraße) an.
Vor dem Hause seines Vaters setzte er sie ab.
Nachdem Jakob seiner Mutter erzählt hatte, wo und unter
welchen Umständen er die vier jungen Wanderer aufgefunden
hatte, begrüßte sie freudig die Eintretenden.
Die Amtsfischer vor dem Schlosstore aber, die Freßkahle mit seiner ungewöhnlichen Last vorbeigehen sahen, sprachen noch lange davon und bestätigten das Gesehene später in einer Gerichtsverhandlung unter Eid.