Luther auf der Wartburg

Junker Jörg

Das Wahrzeichen der alten Wartburg ist ein eiserner Drache, welcher einen kaiserlichen Boten verschlingt, und solcher ist noch zu sehen über dem Eingange im alten Ritterhaus.
So sollte auch der Wartburg ihr siegreicher Drachentöter St. Georg nicht fehlen.
Es wurde nämlich einmal spätabends ein gefangener Ritter in die Burg gebracht, der von langem Reiten den Krieg ermüdete war.
Ein Gemach ward ihm angewiesen, und zwei Edelknaben wurden zu seiner Bedienung gestellt.
Er wurde Junker Jörg genannt und so verwahrt, dass ihn nicht jedermann sehen konnte; sogar ein Herzog, der mit hohen Frauen auf die Wartburg kam, bekam ihn nicht zu sehen und zu hören. Zuweilen ging oder ritt dieser fromme Ritter auch aus dem Schlosse, aber stets in Begleitung eines treuen, reisigen Knechtes, der ihn nimmer aus den Augen ließ.
Der Ritter las und schrieb sehr viel; das schien ihm mehr Freude zu machen als Reiten und Jagen.
Oftmals schlug er den Weg in das freundliche, sonniggrüne Helltal ein.
Wenn der Knecht meinte, Junker Jörg werde sein Geschoß nach einem Vogel oder nach einem Hasen oder Reh richten, setzte sich der Junker an eine schöne Stelle, zog ein Buch hervor und las oder sang mit lauter, fröhlicher Stimme ein selbst gedichtetes deutsches, frommes Lied; da hörte der Begleiter still und andächtig zu.
Gern lauschte er auch dem Gesange der Vögel auf Büschen und Bäumen denn es war anmutige Frühlings- und Sommerzeit, und um die ganze Wartburg herum grünte und blühte es, und die Burg stand wie eine Mauerkrone in einem Eichenkranze.

Luther und das Häslein

Eines Tages war Junker Jörg mit dem Burghauptmann und anderen aus der Wartburg zur Jagd ausgezogen.
Aber indes jene dem Getier des Waldes nachstellten, setzte er sich auf den Stamm einer gefallenen Buches und zog aus seinem Wams ein Buch hervor, in dem er eifrig las.
Auf einmal kam durch das hohe Gras ein Häslein gesprungen, das von den Hunden verfolgt wurde, und sprang dem Dasitzenden in den Schoß.
Junker Jörg schlug seinen Mantel um das zitternde Tier, streichelte es zärtlich und sprach:

“ O du arme Kreatur, wie zitterst du und bist so voll Furcht; aber sei getrost, die Jäger und ihre bösen Hunde sollen dir nichts tun.
Siehe, so wie dir geht es auch mir; sind doch der Papst und seine Rotten auch hinter mir her wie die Hunde und möchten mich gern fangen und zu Tode bringen.
Aber es wird ihnen nicht gelingen, denn ich weiß mich in Gottes Schutz, zu dem ich mich flüchte, gleich wie du jetzt in meinen Schoß“

„Als nun die Jagd sich schon weit entfernt hatte, da streichelte er das Häslein noch einmal und ließ es dann aus seinem Schoße wieder fröhlich in den grünen Wald springen.

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