Wittenberger Kinder wurden früher zeitig zur Arbeit erzogen.
Fast alle machten ihre Schularbeiten nach dem Abendbrot.
Ich selbst hatte abends nebenbei den Zigarrenladen Collegienstr. 84 zu bedienen. Als letzter Kunde kam täglich gegen 10 Uhr der Schirmfabrikant, Drechslermeister und Bernsteinbildhauer
August Hesse, Collegienstraße 2.
Heute erzählt er mir wie dumm ich sei, ich hätte Wittenberg noch nie im Schlaf gesehen.
Morgen gehe er in die Anlagen und wenn ich mit wollte, würde er mich wecken. 5 Minuten später schlafe ich. Plötzlich wirft es an mein Fenster. Mein alter Freund steht am Hamlethaus, ich bin nach 3 Minuten bei ihm und er sagt:
„Heute wirst du mehr sehen als mancher Wittenberger.“
Noch ist es dunkel, nichts zeigt sich auf den Straßen.
Vom Turm schlägt es 3 Uhr.
Die alten Häuser sehen jetzt ganz anders aus. Jedes stellt
sich in Parade und grüßt uns im Vorbeigehen.
Hesse, der jedes Haus und Besitzer genau kennt, spricht mit großem Weitblick über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, während wir zum Markt gehen. Auch seinem Häuschen gegenüber dem Hotel zum Adler prophezeit er den Abbruch.
Als wir an der Elbgasse sind weiß ich, daß die Zukunft Wittenbergs außerhalb der jetzigen Stadt liegt.
Der Markt liegt noch im tiefen Schlaf, auch die Tauben vom Kirchturm, die bald ihren Gang zur Stadtmühle antreten, schlafen noch. Nur eine Katze putzt sich an der Apotheke für ihren Kater.
Wir gehen die Elbgasse herunter, blicken noch einmal zurück, wo früher das alte Elbtor beide Häuserseiten der Straße überbrückte. Der Turm am Cranachhaus steht noch, ebenso der Wasserstein am gegenüber liegenden Haus.
Ein Duft von Wasser, Blumen und Wiesen empfängt uns.
Wittenberg hat sich angeputzt wie eine Braut zur Hochzeit.
Links überblicken wir das Wasser des Stadtgrabens, der bis zum Lutherhaus reicht und von blühenden Kastanien im Süden begrenzt wird.
Ein Schock Wildenten fällt klatschend ins Wasser und die Bläßhühner quaken im Rohr.
Am Hause der Wagenbauerei von Gebr. Bräse gehen wir, werfen einen Blick über die Straße, in den blühenden Urwald von August Hartung. Die Jugend nennt dies das Dreieck, den größten Spielplatz der Stadt.
Er begann rechts vom Elbtor, entlang der Elbstraße bis zur Auraschanze. Von da rechts ab bis zur Schloßkirche und zurück die Schildstraße bis zum Elbtor.
Im Dreieck war alles für die Kinder.
Himmelhohe Bäume, Wiese und Wasser im Sommer, Eis zum leddern im Winter, dazu allerhand Tiere.
Damals spielten die Kinder bescheidener als heute, Roller,
Fußball, Fahrrad kannte man nicht.
Die 3-5jährigen faßten sich über kreuz an und sangen:
Ri ra rutsch,
wir fahren in die Kutsch,
in die Kutsche fahren wir,
auf dem Esel reiten wir,
ri ra rutsch.
Die 6-8jährigen machten Schule und das größte Mädchen lehrte: Deine Mutter is schon zwee Jahr verheirath, und
ihr seid 3 Jöhren.
Meine Mutter is erst 3 Jahr verheirath,
un wir sind schon sechse,
und was de buckliche Schulzen is,
die ihre zählen nich,
die is erst Fräulein.
Die Größeren spielten Blindekuh.
Da ein Taschentuch fehlte, band Paule die Hose um und rief:
Den ich erwische, muß mich heiraten.
Vater is ooch so ringeschliddert.
Die großen Jungens hatten einen Zigarrenstummel, sie rauchten und die Mädchen sagten:
Das mit dem Lungenzug haste fein raus, warste aber schon mal richtiggehend besoffen?
Alles ohne Spielzeug, höchstens einen Strick zur Schaukel, und dann ging los:
Schaukel hin un Schaukel her!
Dat gefallt de Meechens sehr!
Krieg man keene Bange.
Geht dir ooch im Schaukelsaus momentan de Puste aus,
dauerts doch nich lange, krieg man keene Bange!
Heute ist noch alles leer und wir stehen bald an der Auraschanze
und gegenüber an Aug. Hartungs Villa. Diese hatte August mit
der Rückseite zur Straßenfront gesetzt, weil er mit der Stadt
in Unfrieden lebte. Er war sehr reich, hatte viele Häuser, war aber manchmal ganz zugängig.
Eine seiner Mieterinnen tadelt ihre Zwanzigjährige:
Aber Trude, mitten in de Woche ziehste een reenes Hemde an?
Ja Mutter, ich will doch mal mit’n Hauswirt über eenen kleenen Mietenachlaß red’n. Un se kriegt’n.
Wir stehen also an der Auraschanze, sehen über die blühenden
Wiesen bis über die Elbe.
Ein wunderschöner Mittag bricht an.
Unser Weg führt rechtsab zur Flut, wo die Wittenberger Bäche
in die Elbe münden.
Unzählige Fische spielen im Wasser wo jetzt das Elektrizitätswerk steht. Daneben sehen wir den Schweinemarkt mit dem Feuerwehr-Übungshaus. An dem Holzhaus fanden meist sonntags die Übungen statt. Gegenüber, fast an der Dessauer Straße, stehen die Buden der Seiler Lehmann, Blügten und Esbach, die hier ihr Geschäft in die Länge zogen.
Wir benutzten die auf der andern Straßenseite befindliche
blühende Kirschenallee, die uns einen Blick auf Schloßkaserne
und Exerzierplatz bot. Halb stehend auf der Dessauer Straße
sehen wir auf das frühere Schloßtor mit der Stadtmühle, sehen
durch die leere Schloß- und Coswigerstraße bis zum Markt.
Dann betreten wir die von Major Eunicke geschaffenen Anlagen,
die unter Verwendung der Wittenberger Festungswerke angelegt
wurden. Mein Begleiter erklärt, wie der kleine Bach, der die ganze Stadt umfließt, das Füllen der Wälle ermöglichte.
Er weist auf die treppenförmig angelegten Wälle hin, deren Tiefe
rechts durch den Kasinogarten, links durch die Berlinerstraße
deutlich sichtbar ist.
Die Anlagen umspannen die Stadt parkartig bis zur Luthereiche am Elstertor.
Viele blühende Stauden ersetzen den teuren Blumenschmuck.
Das Ganze untergliedert sich in: Schloßtor, Kriegerdenkmal, Schwanenteich, Postgrund, Amselgrund und Stadtgraben.
Letzterer wurde wegen seiner besonderen Tiefe und Wasserreichtum als Naturschutzgebiet erklärt und die Fertigstellung des parkartigen Ringes um die Stadt
nachfolgenden Geschlechtern überlassen. Leider ist nicht bekannt,
welch tüchtiger Landschaftsgärtner Plan und Bepflanzung so
musterhaft ausführte, daß keine Stadt der Umgebung mit Wittenberg konkurrieren konnte.
Die teilweise sehr seltenen Bäume trugen auf kleinen Schildern ihren deutschen und botanischen Namen und bildeten für alt und jung eine Fundgrube des Wissens.
Wir gehen auf der ersten Traverse, die als Promenadenweg ausgebaut wurde und sitzen dann im Borkenhäuschen, rechts am Wege. Dieses ist ein aus weißer Birke, rohrbedecktes Sitzgelegenheit mit Blick auf Schloßturm und kleinen Schwanenteich.
Im Weitergehen freuen wir uns über die an der Clausstraße befindliche Wasserkunst mit Fontäne.
Wittenberg hatte 1884 das Wasserwerk an der Straße nach Straach gebaut und verbrauchte den Überschuß durch verschiedene Fontänen und Brunnen in Straßen und Anlagen.
Ferner lesen wir am Wege:
Zum Andenken an die hier erbaute erste preußische Batterie 1814. Leider ging die herrliche Koniferengruppe durch den Stickstoffbefall der Neuzeit zugrunde.
Rechts schweift der Blick zum Schloßturm und Kasinogarten, darunter die vom kleinen Bach gebildeten 2 Teiche,
ganz rechts zur hochgelegenen Pfaffenstraße mit Turnhalle.
Links des Weges grüßt uns ein aus rotem Sandstein hergestellter Gedenkstein, der auf die 1873 befohlene Entfestigung der Stadt hinweist. In einem Bogen des Weges liegt der schönste und wertvollste Teil der Anlagen, der botanische Garten.
Die schon vorn erwähnten nun ca. 20 Jahre alten Park- und Trauerbäume stehen in voller Schönheit, ebenso die Sträucher, Vorsträucher und Staudengruppen.
Hier sehen wir immergrüne Pflanzen, Moorbeet- und Wasserpflanzen, Schlingpflanzen zu einem Ganzen vereint. 2 Treppen für die Steinpflanzen bestimmt, führten zum unteren Hauptweg neben dem Bach. Alles was zu einem Steingarten gehört, vom bescheidenen Veilchen bis zu Edelweiß ist alles vertreten und Etikettiert. Selbst Giftpflanzen wie Tollkirsche, Digitalis, Maiblume stehen am hohen Hang.
Viele Bänke sind zum Ausruhen angebracht.
Wohl alle Besucher der Lutherstätten, Schulen und Vereine kommen durch einen Gang in unseren Anlagen auf ihre Kosten.
Über dem Ganzen steht auf der obersten Traverse des Denkmal für Major Eunicke, dem Schöpfer der Anlagen von 1893 im Blumenschmuck.
Rechts führt ein Weg zum Kriegerdenkmal. Wir bleiben aber auf unserem hohen Weg, um der Tante und dem Schirm einen Besuch abzustatten.
Eine Birkenbrücke führt uns über den Bach zur Tante.
Dieses ist eine lebensgroße Figur, die auf einer Wasserkunst steht. Geduldig und von großer Güte wird sie von den Kindern bald als
Oma, bald als Köchin, fromme Schwester oder Feuerwehrmann an-
und ausgezogen.
Der Schirm an der Kreisgarten-Ecke Berlinerstrasse ist ein fester runder Raum zum Spielen der Kleinkinder bei Regen.
Bürger und Liebespaare, die ihre Wohnung vergessen haben,
finden hier kostenlose Schlafgelegenheit.
Über dem Eingang lesen wir:
Ich schütze dich mit Dach und Wänden,
drum schütze mich vor Bubenhänden.
An besondern lesen wir die angebrachten Tafeln:
Die Anlagen werden dem Schutze des Publikums empfohlen.
Stadt und Schule arbeiten zusammen, alle hatten Respekt vor
der Knute des Schuldirektors Hause.
Die Promenaden-Kommision unter dem verdienten Stadtrat Leonhardt mit den Mitgliedern Heidenreich, Dr. Wachs, Lauter und den Kunstgärtnern Böhme, Blumenthal und M. Sichler übernahmen ehrenamtlich das Erbe Majors Eunicke.
Gegenüber des Schirmes, wo jetzt die Reitbahn der Artillerie steht, ist das Akazien-Wäldchen, der Kampfplatz der Jugend.
Hier bekriegen wir uns nach Herzenslust, waren aber sofort einig, wenn der gemeinsame Feind nahte.
Dies war der von der Stadt eingesetzte Hüter der Anlagen, Vater Gäbelt. Wir umringten ihn und sangen:
Gäbelt mit dem Besenstiel,
haut die Kinder gar zu viel.
Gar zuviel ist ungesund,
Gäbelt is een Schweinehund.
Heute schläft er noch und wir kehren zu unserm Anlagen-Hauptweg zurück. Wir umkreisen die Kasematte, die zur Aufbewahrung von Geräten dient. Mein Begleiter weist auf die große Weide, die schon zu seiner Jugend genau so groß war, weil sie auf der Wasserader der nahen Fontäne wurzelt. Gleich darauf sind wir an der Krähe.
Das Kriegerdenkmal schmückt oben ein fliegender Adler, ebenso rechts und links je 2 Adler, die man Krähe nannte.
Hier sind die Pflanzungen besonders blühend und von SW blickt Schloßturm und Kasematte durch.
Nun stehen wir am Städtischen Krankenhaus, sehen in die tiefe Reitbahn, wo jetzt Art .- Kaserne steht und weiter geht es an den Pferdeställen vorbei.
Vor der Wachstube der alten Art .- Kaserne steht der Posten.
Heute Feuerwehr.
Kaum 100 m weiter ist der Platz an der Sonne.
Das erste junge Pärchen tritt schon aus der Sonnetür, und aus dem Fenster ruft uns die Wartenburger Minna zu:
Uff eenmal lacht ne Fliege!
Die woll’n verheirat sin un ham in een Bette geschlafen?
Unser Blick geht durch die Bürgermeisterstraße auf die Stadtkirche. Vor uns steht die 1857 erbaute katholische Kirche.
Plötzlich wird es in der Straße lebendig. An der Scharrenstraße-Ecke liegt die Wittenberger Hauptwache.
Ein Hornist tritt aus der Tür und bläst:
Haabt ihr denn nuun noch nicht lange genug geschlaafen?
Die neue Kavalierkaserne, die Art .- Kaserne, die Friedericianum in der Collegienstraße fällt ein.
Weit über die Elbe schallt es 3 mal vom Brückenkopf:
Habt ihr denn nun noch nicht lange genug geschlaafen?
Wittenberg erwacht!
Vom Turm schlägt es 5 Uhr, auch Kantum tutet und wirft sein Fenster zu.
Wir wenden uns dem Schwanenteich zu mit seiner kleinen Insel und den tief über dem Wasser hängenden Trauerweiden. Auch hier
ist die erste Traverse als Weg ausgebaut. An der Nordseite
steht ein Kahn und das Winterhaus der Schwäne.
Mitten auf dem Weg der Mauerstraßen-Seite steht ein Denk- und Warnmal an alle, was besagt, daß hier mehrere Kinder und ihr Retter ertranken.
Wir schwammen nie im Schwanenteich, höchstens wenn wir beim
Krebsen hinein fielen. Er ist sehr fischreich. Als ihn die Stadt
verpachten wollte, berief sie die Wittenberger Fischottern
Stadtrat Rob. Sichler, Bäckermeister Schmidt, Kneipzangenfabrikant Stockert zum Probefischzug.
Der Fang bestand aus 2 Kinderwagen, 2 Matrazen, 1 Leierkasten und 6 Nachttöpfen.
Die Fische saßen auf dem Grund der treppenförmigen Festungswerke. Nur im Winter herrscht Leben auf dem Teich.
Schiel-Augelein (Theo Faust) fegt die Eisbahn.
Zum Anschnallen lehnt ihn die Damenwelt ab, weil er zu sehr schielt. Dafür ruft er immer:
Trampelt nich alle uff eenen Haufen, ihr taut die ganze Eisbahn
uff. Schnürpels Mariechen hat blos een Dreier.
Nee Fräulein, vorn Dreier kannste bei mir nich loofen.
Der Schport kost immer eenen Sechser!
Na ich hab doch man blos eenen Schlittschuh!
Die Reg .- Kapelle spielt am Nordufer, viele Zuschauer sind erschienen. Ein dick eingewickeltes Pärchen steht am Ufer.
Oskar mich friert, das Hemde is schon wieder aus de Strümpfe
gerutscht! Auch Großmutter setzt sich ein bißchen, damit ihr
Oller ooch mal was uff de Bank hat. Papsel-Klebing und Brotzel-
Miene machen ihr Geschäft, jeder freut sich.
Heute, am schönen Maitag, ist das Wasser unheimlich still, nur zwei Schwäne gründeln am Ufer. Den Brunnen und die grün berankte Treppe (spätere Heydrichtreppe) zur Mauerstraße lassen wir
rechts liegen. Wir blicken an der Breitseite des Teiches zurück
zum Nordufer, zum Birkenwäldchen an der Lutherstraße (heute
Schule) mit Art .- Reitbahn und Kavalier-Kaserne.
Dann führt unser Weg an der Dänenbastion vorbei, direkt auf den Eingang des neuen Gymnasiums.
Nach meinem Begleiter ist dieses Haus mit seinen 2 Blutbuchen und seinem bepflanzten Vorplatz das schönste der Stadt.
Nach Überschreiten der verlängerten Neustraße betreten wir den Postgrund. Rechts liegt verlassen unsere Rodelbahn, die wir so oft auf Schultornister, Schieferkasten und Hosenboden herunter rutschten.
Heute grünt sie wieder.
Die ganze rechte Seite bis zum Querweg, Mauer-
Lutherstraße ist gelb von Pusteblumen im frischen Rasen.
In der Turnhalle ist es heute noch still, aber die Vögel singen, der ganze linke Wall blüht, sogar der kleine Bach begleitet uns.
Nach Überschreiten des Querganges kommen wir an den letzten Resten der ehemaligen Stadtmauer vorbei. Das 1883 gegründete Paul-Gerhardt-Stift hat sich an der Mauerstraße vorgebaut.
Vor uns liegt an der Großen Friedrich Straße die neue Post und das Etablissement von Alb. Muth,
Zur Reichspost.
Der Amselgrund nimmt uns auf. Muth hat seinen Grottengarten
an der linken Seite gebaut, während rechts am Wall unter hohen
Bäumen ein Spielplatz eingerichtet ist. In gewundenen Linien
führt der Weg, längs des kleinen Baches, vorbei an der Fontäne
zum schön bepflanzten Vorplatz der Luthereiche. Gegenüber an
der Straßenecke ist noch der Schirm zu erwähnen. Er steht wie
ein großer Pilz, der um seinen Stiel Sitzgelegenheit für an-
und abfahrende Reisende bietet.
Am 2. Sept. 1895 wurde er durch die Sedaneiche ersetzt. Der von der Bahn kommende Besucher der Stadt erhält gerade durch die musterhafte Bepflanzung des Amselgrundes den besten Eindruck. Auch die linken Anlagen vor dem Augusteum tragen dazu bei. Zurückblickend sehen wir vor uns das alte Elstertor, den Großen Giebel des
Lutherhauses, die Post, während uns durch die Mittelstraße
die Türme der Stadtkirche grüßen.
Als letzte Etappe unseres Rundganges kommen wir zum Stadtgraben. Gleich hinter dem Garten des Lutherhauses finden
wir unseren kleinen Bach, der hart an der Mauer des Donnersberges hervortritt und zur Mitte des Stadtgrabens fließt.
Wir überschreiten ihn, halten uns auf dem schmalen Weg, der
am Mauer-Stacket entlanggeht. Dieser führt bis über die Hinterfront der Friedericianum-Kaserne hinaus und endet in die
Schildstraße. Dichtes Rohr wächst von unserem schmalen Weg
bis zur gegenüber liegenden Kastanienallee.
Fast alle Wasservögel sind vertreten, Bekassinen, Taucher, Bleßhuhn, Wildenten nisten hier und bevölkern mit ihren Jungen das freie Wasser.
Auch andere sonst scheue Vögel nisten hier und z. B.
Wildtaube, Drosseln und alle Singvögel. Im Herbst übernachten
Tausende von Zugvögeln im Rohr und liefern uns die begehrten
Krammetsvögel. Über allen kreist der auf hoher Silberpappel
horstende Milan. Der Vogelreichtum bewirkt, daß die Gärten
Wittenbergs frei von Ungeziefer sind.
Natürlich sind auch Ratten da, die dort seit Luthers Zeiten Sitz und Stimme haben.
Wir fingen die Tierchen lebendig und benutzten sie zum Abrichten der jungen Maikatzen und Hunde.
Nun steigen wir die hohe Böschung zur Schildstraße an, welche
die Gärten von Collegienstraße 63 bis zum Schloß abschließt.
Vom Garten Collegienstraße 81 (Krüger) führt ein schmaler Weg
quer durch den Stadtgraben und endet am Bahnübergang zur
Elbbrücke. Mit vieler Mühe haben ihn die Soldaten, die zum
Brückenkopf blasen und trommeln gingen, angelegt.
Eine Brücke führt über den 2 m breiten Bach, ein Kahn steht daneben.
Der Weg ist nur im Hochsommer zu benutzen.
Den Kahn zum Reinfallen benutzt die Jugend.
Der Stadtgraben ist sehr fischreich, deshalb der Fisch im Wappen der Stadt. Die Ausmaße des Fischreichtums sah man erst, als Färbereiabwässer der Stadt alle vernichteten.
Wir begehen die Schildstraße, eilen die Elbgasse herauf, wünschen Louis Fahrenberg, der an der Auraschanze seine grüne Bude öffnen will, ein gutes Geschäft und verabschieden uns am „Schwarzen Adler“.
Vom Turm schlägt es 6 Uhr. Die kleine Glocke mahnt zur Arbeit
– bim bim bim bim