Die Stadt Wittenberg bemüht sich heute um die Verschönerung
der Straßen und Plätze und man muß anerkennen, daß besonders
für die Beschaffung von Spielplätzen viel getan wird.
Aberunser alter lieber Arsenalplatz und seine angrenzenden Straßen waren um die Jahrhundertwende uns viel lieber als alle anderen Plätze.
Deshalb wollen wir Überlebenden noch einmal einen Rückblick auf die Entstehung und Bedeutung des Platzes und seiner Straßen machen.
Bis zum Siebenjährigen Krieg war der Platz bebaut und hatte
sogar eine Kirche.
Nach der Beschießung 1760 wurde die Kloster- und Brüderstraße (heute Juristenstraße), die zum Franziskanerkloster führten, notdürftig ausgebaut.
Auch nach der Erstürmung 1814 bebaute man nur die eine Seite der Brüderstraße, wodurch der heutige Arsenalplatz entstand.
An seiner Südseite errichtete man 1855 das Artillerie-Wagenhaus und zwar an der Stelle, wo früher die Scharren (Verkaufsstände der Fleischer) aufgestellt waren. Daher die Scharrenstraße .
Drei Tore führten in das Wagenhaus.
Der mit Infanteriegewehren belegte Teil hatte seinen Eingang vom Arsenalplatz.
Wieviel das waren, sah man erst 1914, als Reserve- und Landwehrregimenter dort ihre Schießprügel empfingen.
In der Bürgermeisterstraße wohnten früher Nr. 16 die Bürgermeister der Stadt.
Sie ist die längste von allen, denn sie geht vom „Bums“ bis zur „Sonne“.
An der Ostseite, im Geschützschuppen waren die 6 Geschütze der Reitenden Abteilung mit Protzen und Beiwagen untergebracht. Wäre er 1937 nicht abgerissen, könnte er manches von unserer Jugend erzählen.
Wir beherrschten ihn gänzlich samt Vater Ganschows Garten mit den Nußbäumen.
An der Südseite waren die Hinterhäuser der Tischlerei Rothe und des Messerschmieds Schulze mit den drei Linden. Außerdem standen noch 14 große Linden an Juristen- und Klosterstraße, die wir täglich erkletterten.
Noch eine hohe Säule steht heute vor Haus Trautmann, Juristenstraße 11.
Als das ehemalige Kloster, frühere Hospital zur Kaserne avancierte, belegte sie die Reitende Abteilung Feld-Regt. Nr. 4.
Anschließend kamen die Pferdeställe 1 – 3 und der Gasthof „Zur Granate“ mit seinen Nußbaumen.
Überall wurde tüchtig exerciert und die Jugend war bald besser
ausgebildet als mancher Rekrut.
Kamen Schausteller auf den Platz, schlossen wir Freundschaft mit ihren Kindern wegen des freien Eintritts.
Zu jeder Jahreszeit beherrschte die Jugend den Platz.
Mit Kreisel und Kugelspiel fing der Frühling an, und mit Schneemann und Käsehitsche endete der Winter.
Viel Ärger hatte der Fiskus wegen der verbogenen Fensterscheiben
im Wagenschuppen. Nebenher kam Grete Malmedes Velociped, worauf wir alle lernten, voll zur Geltung.
Hatte man mal Geld verdient durch Schnaps- oder Wurstfettholen, wurde es umgesetzt.
Für einen Pfennig Süßholz oder Lakritze, für einen Dreier Kuchenkrümel oder Johannisbrot oder als höchstes von Rabenalts eine Sechserschnecke.
Die reifere Jugend holte von Zigarren – Seyfarths 15 Stück Zigaretten mit Spitze für 10 Pfennige.
Bis zur Entfestigung der Stadt war ihr Ausgang nach Norden hermetisch abgeschlossen. Wittenberg hatte nur drei Tore:
Elster-, Elb- und Schloßtor.
Über letzteres entwickelte sich der Verkehr durch die Clausstraße. Die beiden letzten Häuser der späteren Juristenstraße innerhalb der Festung waren rechts die juristische Fakultät der Universität (später Städt. Krankenhaus), links das Konsistorium Wittenberg (später bedeckte Reitbahn).
Nach der Entfestigung wurde der Durchbruch nach Norden vorgenommen, die Juristenstraße entwickelte sich nun zu einer Hauptgeschäftsstraße der Stadt.
Der Arsenalplatz hat dazu entscheidend mitgewirkt.
Da die Straße stets vom Markt ihren Eingang hatte, fangen wir
mit unseren Betrachtungen auch mit den Häusern 1 und 2 (jetzt
Sparkasse) an.
Um 1900 stand hier ein altes Giebelhaus mit der Gastwirtschaft Teuerkauf. Dort verkehrte viel Landbevölkerung, weshalb er seine Gaststube mit ausgestopften Tieren aller Art schmückte.
Teuerkauf war fast blind. Beim Einschenken hielt er den Daumen ins Glas, und wenn dieser naß wurde, war das Glas voll.
Hier wohnte auch der Friseur Pape, der die Liebespärchen schmuck machte, ehe sie sich vom Rendant Schmidt, eine Treppe höher, das Prädikat „Heiratsfähig“ holten.
Dann gingen sie zu Goldschmied-Schmidt, der ihnen die Eheringe anschmiedete.
In Krankheitsfällen stand Dr. Thassilo Schmidt Nr. 14 – 16 zur Verfügung.
Waren die Ringe von Goldschmied-Schmidt geplatzt,
schmiedete Schmied – Schmidt in Nr. 17 die Paare mit Wagenreifen
zusammen. Folglich blieb alles in der Straße.
Das Haus Nr. 3, frühere Stadtpfeiferei, diente dem Militärfiskus zu Wohnungen.
Franz Steinborn, der Sattlermeister und Besitzer des Hauses Nr. 4 hatte sogar ein lebensgroßes, gesatteltes Pferd im Schaufenster. Wir ersehen schon hieraus, daß das Militär der Straße seinen Stempel aufdrückte, denn alle Gasthöfe sind vertreten.
Die Fleischerei Kärnbach in Nr. 5 hatte dauernd Hochbetrieb. Täglich vor 5 Uhr hörte man, wie der Meister die Gesellen, das Haus und die ganze Nachbarschaft unsanft aus den Betten holte.
Wegen ruhestörenden Lärms empfahl ihn der weise Schiedsmann Mittelschwädt, künftig einen Strohhalm in den Mund zu nehmen. Kärnbach brauchte soviel Stroh, daß der Preis um das doppelte stieg.
Bei Rabenalts, in Nr. 6, heute Bäckerei Daniel, trug man um 5 Uhr die erste Backware aus. Die Bäckerjungen trugen im Winter, mit Laternen bewaffnet, die Ware im Beutel zur Kundschaft und hingen sie an die Küchentür.
Sonnabends zahlte die Hausfrau im Laden.
Im Hause Nr. 7 hatte der stadtbekannte Otto Wollschläger seinen Kolonialwarenladen, dem er später die von Offizieren und Einjährigen stets besuchte Gastwirtschaft zufügte.
Viele lustige Streiche sind hier ausgeheckt worden.
– Einst gastierte eine arme Seiltänzertruppe auf dem Platz und
ist bald bei Otto in Schulden.
Plötzlich steht im Tageblatt folgende Annonce:
– Morgen Abend 8 Uhr wird auf dem Arsenalplatz ein bekannter Wittenberger Kaufmann über das 25 m hohe Seil gehen.
Um regen Besuch bitten die Seiltänzer. –
Ganz Wittenberg ist auf den Beinen, die Seiltänzer leisten ihr Bestes. Als man aber mit der angekündigten Sensation beginnen wollte, war wohl das Seil, nicht aber Otto Wollschläger da.
Das Experiment wurde vertagt.
Diesmal erschien Otto in Frack und Zylinder, kletterte kühn bis zum Mast, ging aber nicht auf das Seil, sondern rechts und links drüber weg. Mit dem Rufe: „Jetzt habt Ihr einen schwindelfreien Kaufmann gesehen“, verschwand er in die Unterwelt.
Die Seiltänzer zogen schuldenfrei von dannen. –
Nebenan wurde bei Gustav Kunze, in Nr. 8, der Bedarf für den
Nachwuchs hergestellt. Gustav fabrizierte die stabilsten Kinderwagen mit Stange, blanker Wachstuchlaube und Gardine,
während die Kochfrau Schrader fast allen jungen Ehepaaren
die erste Suppe einbrockte.
Unser heutiges Versammlungslokal („Luftschiff“) war früher
„Zum Kronprinz“ Inh. Gottfried Wildgrube.
Er hatte viel Landkundschaft, was sich bis heute erhalten hat.
Das Haus Nr. 10 hatte für alle Bedeutung. Wäre es nicht da, gäbe es in Wittenberg keine Zuckertüte, die Wurst müßte man auf die Faust nehmen, die Brötchen in die Hosentasche und für manche Zwecke müßte man Gras nehmen. So aber sitzt Bickel drin und macht Papier, Papier für alle Zwecke.
Trotzdem er 1907 außerhalb der Stadt verzog, bleibt ihm doch
die Juristenstraße treu.
Seine Gastwirtschaft, Pächter Lindner, war für die Artillerie eine gern besuchte Stätte.
Buchbinder Trautmanns Haus Nr. 11 war das stärkstbewohnte der
Straße.
Fleischer Proßmann, Zigarren-Seyfarth, Schuster, Wassermeister, Bierfahrer, 6 Witwen und 3 Arbeiter wohnten hier
glücklich und zufrieden.
Der Arsenalplatz gibt allen Beschäftigung und Brot.
Zuletzt kommen wir noch auf dieser Seite in Nr. 12 auf den Schnaps. Früher war der Besitzer Rüpel, und weil es beim Tanz stets Keile gab, nannte man ihn Hau-Rüpel.
Um Ruhe zu schaffen, baute er im Garten die erste Freitanzdiele
der Stadt. Diese benutzte der Lehrer Lausch nach Gründung des
Turnvereins 1862 zu Turnstunden im Freien.
1890 gründete hier Richard Schnellrath seine Großdestillation. Seine Waren wurden begehrt in Stadt und Land.
Wer den Schnaps nicht verdünnte, kriegte Löcher ins Hemd.
Die linke Ecke der Straße, ehemaliges Konsistorium, wurde um 1900 als bedeckte Reitbahn verwendet.
Gegenüber die rechte Ecke, beherbergte früher die Juristische
Fakultät, heute das Städt. Krankenhaus. Hier finden wir
Dr. Thassilo Schmidt mit seinen Heilgehilfen Weißenburg und
Prof. Max Zerling bei der Arbeit.
Wer den Kopf verlor, bekam hier einen neuen.
Unterbrochen wurde die rechte Straßenseite durch den Eingang in die Klosterstraße, den Arsenalplatz, das Artillerie – Wagenhaus und den Eingang in die Scharrenstraße.
An der Ecke war das vorn erwähnte Haus von Schmied – Schmidt.
Im Eckladen von Klempnermeister Elfert waren Lampen, Zylinder,
Petroleum usw. zu haben. Seine Klempnerei stellte verbogene
Gießkannen, Dachrennen und Kochtöpfe wieder her.
Später kaufte Goldschmied – Schmidt das Haus und baute es in seiner heutigen Gestalt mit Uhrenladen auf.
Im Nebenhaus sitzt Wilhelm Gehricke mit seinem feinen Delikateßladen für zahlungsfähige Kunden.
Seinen Nachbar, den Kürschnermeister Friedrich Matthies können wir noch heute begrüßen. Er betreibt mit 87 Jahren
sein Geschäft wie vordem. Schon damals machte er die Mützen
für die Soldaten, die Pelze für die Damen, und brauchte ein
junges Mädchen eine neue Miese, machte sie Miesen-Matthies.
Im letzten Haus der Straße wohnte der einzige Strumpfwirker,
Heinrich Schütz. Die Wittenberger Frauen strickten selber,
holten aber die Wolle aus dem reellen Geschäft.
Nicht unerwähnt wollen wir die „Weintraube“ Inh. I. Kehse lassen. Sie zählt zwar zu Markt 22, reicht aber mit ihrer großen Zimmerflucht und den Läden bis weit in die Juristenstraße hinein.
Viele Besucher Wittenbergs fanden hier immer Wohnung und
aufmerksame Bedienung. –
Haben wir jetzt das Geschäftliche der Juristenstraße für die
Nachwelt festgehalten, wollen wir nun ins Militärische übergehen. Für jeden Artilleristen Wittenbergs ist der Arsenalplatz ein Begriff. Hier bekam er den Schliff fürs Leben. Anfänglich war es schwer.
Die 3 Bauernjungen sind erstmalig von Muttern weg.
Sie essen und trinken bei Lindners, bis die Wirtin Geld verlangt. „Schreibt Eurer Mutter, Sonntag werdet Ihr erschossen,
weil Ihr die Kanone verbogen habt, wenn sie nicht sofort 100
Mark schickt“.
Schon Freitag bringt die Post dreimal 100 Mark für die Kanonenreparatur.
Der krumme Gottlieb hat keine Mutter mehr, dafür erhält er ein krankes Pferd zum Pflegen.
Während Gottlieb exerciert, nimmt Roßarzt Grökel das Pferd in
den Isolierstall. Gottlieb glaubt, sein Pferd ist gemaust und als die anderen essen, maust er die 1,80 m hohe Kracke vom
Brauereiwagen und bringt sie in den Artilleriestall.
Für die mutige Tat darf er seinen Hauptmann vor versammeltem Kriegsvolk dreimal anbrüllen:
„Ich bin ein Riesenroß mit Eichenlaub und Schwertern.“ –
Auch ernste Sachen passieren.
Ein schmucker Leutnant bewirbt sich um die Tochter der Regimentskommandeuse und schickt täglich Blumen.
Dem neuen Burschen schärft er ein:
„Du mußt immer wiederholen, was zu bestellen ist und alles genau
ausrichten. Jetzt holst Du die Blumen von Schulze am Holzmarkt
und trägst sie zu meiner Braut.“
Schulze fragt: „Haste Geld? – Neee! – Na, das sind heute Treibhausnelken, die kosten 5 Groschen das Stück, das macht zusammen 125,40 Mk., bestelle das, und wenn der Herr Leutnant die alte Kuh nicht bald heiratet, muß er sich Suppengrün auf den Tisch stellen.“
Die Kommandeuse nimmt ihm die Blumen ab, sie hört seine Bestellung von den Treibhausnelken für 5 Groschen, vom
Rest von 125,40 Mk. und der alten Kuh mit dem Suppengrün.
Leider ist dem armen Burschen die Antwort entfallen, als er die
Treppe herunterflog. Der Leutnant wurde versetzt, Schulzes
Blumenladen fürs Militär gesperrt.
Otto Zimmermann, heute Markt 8, wurde Nachfolger am Holzmarkt.
Als die blinden Hessen aus Kassel 1899 die Mannschaften der
3. Batterie zu stellen hatten, kamen die Wittenberger Mädel in Druck. Alle ihre Vorzüge wurden von den blinden Hessen übersehen. Erst die hübsche Mamsell in Proßmanns Fleischerladen lockte sie mit Wurstzippeln an, suchte sich einen Mann heraus, fütterte ihn gut und hat ihn sogar heute noch.
Deshalb wünschen wir unserem Stammtischbruder Hoff und seiner lieben Frau, geb. Proßmann, zur goldenen Hochzeit alles Gute.
Um unseren Rundgang durch die angrenzenden Straßen zu vervollständigen, müssen wir auf das Haus von Schmied – Schmidt an
der Scharrenstraßenecke zurückgehen.
Sein rechter Nachbar neben der Schmiede, die von Karl Peschke bewirtschaftet wurde, war die alte Loge.
Durch die Übernahme durch Wilhelm Hanisch bekam sie beim Militär und der Jugend besondere Bedeutung.
Hier lernten wir 17 – 19jährigen Trinken nachkomment.
Hanisch unterrichtete uns im Billard, Skat und anderen Spielen.
In der ersten Etage wohnte der Hauslehrer und Gerichtsvollzieher Malmede.
Als er sich später an die Luft setzte und an den Stadtgraben zog, übernahm sein Kollege Hampe Wohnung und Außenbezirk Wittenberg. Seine Frau begleitete ihn auf dem ersten einzigen auswechselbarem Tandem der Stadt.
Am Tage fuhr er vorne und abends fuhr seine Flamme vorne, dann sparten sie die Laterne.
Der Durchgang zum Markt, wo früher ein kleines Haus mit Käsehandlung stand, führte zur Eisenhandlung Knoke & Giesicke. Das Haus Nr. 3 gehörte Richard Gehe. Er war Gendarm, wenn er nicht besoffen war. Ganz im Gegensatz zu seiner
guten Frau, die für die Arsenalplatzkinder unersetzlich war.
Das Gesellschaftshaus Markt 16 stößt mit seinem Garten, worin
sich die Schwester der Luthereiche befand, in die Scharrenstraße und bildet das Haus Nr. 2.
Als man damals die Luthereiche pflanzte, wurden gleichzeitig noch 2 Eichen als Reserve gepflanzt.
Diese im Garten des Gesellschaftshauses, die andere im Kamtschatka-Garten.
Alle 3 Eichen entwickelten sich prächtig.
Die unter Naturschutz stehende Eiche im Gesellschaftshaus wich
erst 1945 den baulichen Veränderungen.
Das letzte Privathaus Nr. 1 hat zum Besitzer Malermeister Baudach. Früher hatte Schuhmachermeister August Peschel hier seine Werkstatt und seine interessante Kanarienvogelzucht.
Die Ecke zur Bürgermeisterstraße bildete die Hauptwache Wittenberg, wo Vater Philipp manchem Soldaten unfreiwillige Kost und Logis gab.
Die gegenüberliegende Seite fing mit dem Artilleriedepot an.
Daneben das Vorderhaus des seit 1817 bestehenden Tischlermeisters Herrmann Rothe mit anschließender Werkstatt. Die Ecke zum Arsenalplatz bildete die einzige Messerschmiede der Stadt von Karl Schulze.
Angeschlossen war eine Scherenschleiferei mit Hundeantrieb. Später ist die Hundetretmühle in Elektrisch umgewandelt, wie es der Sohn Dutti noch heute betreibt.
Gegenüber der Hauptwache stoßen wir auf das Haus des Schneidermeisters Schallert. Er hat tüchtig genähnudelt und war beim Stammtisch und allen Vereinen ob seiner Redekunst gern gesehen. Mit seiner Frau Mariechen, geb. Eschebach, war er kinderlos.
Das Haus kaufte unser Freund Peschke, Scharrenstraße.
Als Nachbar, in Nr. 17, der einzige Büchsenmacher der Stadt, Oskar Gutheil, der alle Büchsen schußfertig machte. Das ehemalige Bürgermeister – Giesehaus verwandelte sich in eine Selterwasserfabrik Lorenz. Als es beim Selterwasser nichts mehr zum Verdünnen gab, gründete man eine Molkerei und fabrizierte Storchen-Butter.
Seit der Zeit haben wir weder Milch noch Butter.
Hier wohnte auch der Major a.D. Cemberg, der das ganze Jahr Zigarettenabschnitte sammelte.
Den Erlös erhielt das Militär-Waisenhaus.
Im November holte Zigarren – Rennert, Collegienstraße, die
umfangreichen Säcke vom Boden.
Offiziere, ihre Damen und Kinder, alle Leute, die den alten Herrn erfreuen wollten, kauften ein Pfund für 50 Pfg. Cemberg glaubte, es sei eigenhändig für ihn gesammelt. Vor Weihnachten kaufte Rennert
von Cemberg die Spitzen zurück und brachte sie bis zum nächsten
Jahr auf den Boden.
Das folgende Haus Nr. 15 Heydrich, für Parfümerie und Essenzen, ist jetzt durch Hermann Rothe in eine Möbelwerkstatt verwandelt. Kohlentriebels Haus ist als reines Privathaus zu betrachten.
Außer unserem Freund Peschel, Schuhmachermeister, der lange im Nebenhaus wohnte, ist kein Betrieb vorhanden.
Dafür ist das Haus Nr. 13, dem Kaufmann Benda gehörend, vom Tapeziermeister Großmann erworben und mit Laden und
Werkstatt versehen.
Im Nebenhaus hat der Friseur, Heilgehilfe und Professor der Zahnathletik Max Zerling seinen Sitz.
Seine Bedeutung erhielt er durch Dr. Thassilo Schmidt im Städt.
Krankenhaus.
Die Schützengesellschaft hat ihn als Platzmeister der Vogelwiese in gutem Andenken.
Jetzt stehen wir vor dem Haus der katholischen Kirchengemeinde. Der Eingang zur Kirche ist in der Bürgermeisterstraße, wo auch der Pfarrer, der Freiherr von Schorlemer und Wand wohnten.
Hatte die Jugend abends das Klingeln an den Türen der Läden beendet, dann sangen sie vor der Kirchentür die katholische
Lithurgie.
Zeigte sich Schorlemer am Fenster oder lief sogar hinterher, dann war das Glück des Tages vollbracht.
Blieb aber selbst in der im Parterre befindlichen Schule das Fenster
geschlossen, dann versuchten wir es bei Bonbocks Malen.
Dort erklang der Wiener Walzer:
„Male, Male, lebt denn meine Male noch?“
Male stand schon mit dem Besen hinter der Haustür, und
die Jagd begann. Wurden Spaziergänger oder Passanten von Malen
angefallen, dann war alles erreicht.
Mit Malens Tod wurde es still am Platz der „Sonne“.
Wer aber abends zwischen „Granate“ und „Sonne“ geht und es knistert im Granatengebälk und klappert mit Pietzners Sargdeckel und huscht von der Sonne über die Straße, das ist keine Katze! Das ist unsere Male. Sie sucht uns, die Kinder vom Arsenalplatz.
Der Gasthof zur Sonne ist um 1900 von Wilhelm Frankenhäuser bewirtschaftet. Er wurde besonders von Geschäftsleuten der Stadt und dem Unteroffizierkorps besucht.
Der Sohn Paul machte die Sonne zu einem stets besetzten Hotelbetrieb.
Bäckermeister Schmidt lieferte die Backware für Pferdestall, „Granate“, Kirche und „Sonne“.
Haus Nr. 6 ist vom Lehrer Balzer an Tischlermeister Pietzner
verkauft, kam durch dessen Tochter an den bekannten Fuhrherren
Schach, der heute sein Sarglager dort aufstellt.
Die „Granate“ Nr. 5 Besitzer Zigarren-Rennert und Pächter W. Schugk, schloß sich an den Pferdestall 1 – 3 an, wurde als Stall 4 bezeichnet.
Fehlte ein Mann, so hieß es stets, auf Stall 4, also im Dienst.
So hatte jeder seine Kundschaft, Stadt-, Land-, Offiziers-,
Einjährigen-, Unteroffiziers- und Mannschaftskundschaft.
Alle lebten vereint von unserem lieben Arsenalplatz.
Hinter der Hauptwache befanden sich noch die Häuser Kranepuhl,
Spruch und Rahn, sowie gegenüber die alten Wittenberger Gaststätten Nr. 20 und 21 „Wolfsschlucht“ und „Bums“, womit wir
unseren Rundgang um den Arsenalplatz beenden.
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